Wer fliehen konnte, ließ die Werke zurück

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Anerkennung im Kunstbetrieb um 1900 war für Frauen nicht selbstverständlich - waren sie jüdischer Herkunft, wurden ihre erkämpften Karrieren 1938 jäh unterbrochen. Das Jüdische Museum Wien erinnert an emigrierte und ermordete Künstlerinnen der Wiener Moderne.

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Anerkennung im Kunstbetrieb um 1900 war für Frauen nicht selbstverständlich - waren sie jüdischer Herkunft, wurden ihre erkämpften Karrieren 1938 jäh unterbrochen. Das Jüdische Museum Wien erinnert an emigrierte und ermordete Künstlerinnen der Wiener Moderne.

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Raffinierte Kompositionen, extreme Plastizität, insgesamt ein Musterbeispiel der Neuen Sachlichkeit: Die Bilder der Malerin Bettina Ehrlich-Bauer (1903 bis 1985) zeugen von einer souveränen künstlerischen Handschrift, die in der österreichischen Kunstgeschichte einzigartig ist. Leider aber sind alle ihre Gemälde - bis auf "Jonny spielt auf"(1928), eine Reaktion auf Ernst Kreneks gleichnamige Oper -verschollen. Denn die jüdische Künstlerin floh 1938 nach dem "Anschluss" ins englische Exil. Während sie dabei half, das grafische Werk und einige der Plastiken ihres Ehemannes Georg Ehrlich zu verpacken und nach England zu verschiffen, blieb ihr eigenes Werk in Wien zurück. Erhalten sind lediglich schwarzweiße Werkfotografien.

Eines dieser Fotos ist - nachträglich digital eingefärbt - das Sujet der Ausstellung "Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938" im Jüdischen Museum Wien. Die Geschichte von Ehrlich-Bauer, die sich nach 1938 der Illustration von Kinderbüchern und der Textilmalerei zuwandte, ist exemplarisch für eine Fülle von Malerinnen, Bildhauerinnen und Grafikerinnen im Wien der ausgehenden Donaumonarchie und der Zwischenkriegszeit, die durch Vertreibung, Emigration oder Ermordung vielfach in Vergessenheit geraten sind.

Mit Frauen in die Moderne

Der Aufbruch in die Moderne war nicht allein Männersache, vielmehr war daran auch eine Reihe von Künstlerinnen beteiligt, die sich trotz der schlechten Rahmenbedingungen für Frauen im Kunstbetrieb durchsetzen konnten. Ein überdurchschnittlicher Anteil dieser Künstlerinnen kam aus assimilierten jüdischen Familien. Malerinnen wie Tina Blau (die bis April auch im Mittelpunkt einer Schau in der Wiener Albertina steht), Broncia Koller-Pinell, Marie-Louise von Motesiczky oder die Keramikerinnen Vally Wieselthier und Susi Singer haben heute ihren Platz in der Kunstgeschichte. Doch viele andere sind - zu Unrecht - in Vergessenheit geraten, wie die Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries, die Malerinnen Grete Wolf-Krakauer und Helene Taussig oder die Malerin und Graphikerin Lili Réthi.

Als Salonièren oder Mäzeninnen waren Jüdinnen im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert sehr präsent. Von einer offiziellen künstlerischen Ausbildung waren sie - wie überhaupt aus dem akademischen Leben - ausgeschlossen, eine künstlerische Laufbahn für Frauen war nahezu undenkbar. Ein Besuch der Kunstakademien war erst ab 1920 möglich, daher besuchten viele die eigens für Frauen errichteten Kunstschulen. Besonders in jüdischen Familien, in denen seit jeher die Bildung der Töchter ein Anliegen war, wurde Mädchen Gelegenheit zu einer künstlerischen Ausbildung geboten. Manche erhielten sogar teuren Privatunterricht bei arrivierten Künstlern und bekamen später ein eigenes Atelier eingerichtet.

Deportiert und ermordet

Die mühsam erkämpfte Anerkennung währte nur kurz, denn die Lebenswege jüdischer Künstlerinnen wurden durch den Holocaust gebrochen. Flucht und Vertreibung beendeten die Karrieren dieser Frauen jäh. Jene, die flüchten konnten, mussten alles hinter sich lassen und rangen im Exil um ihre Existenz, ganz zu schweigen von einem Neuanfang in der Kunstwelt. Vielen gelang die Flucht allerdings nicht. Sie wurden deportiert und ermordet, wodurch auch die Erinnerungen an so manche dieser Künstlerinnen verloren gingen.

Vor dem "Anschluss" im März 1938 hatte die jüdische Herkunft dieser Frauen keine Rolle gespielt. Politische Verfolgung gab es freilich auch im Austrofaschismus: Die Malerin, Textilkünstlerin und Innenarchitektin Friedl Dicker-Brandeis etwa wurde 1934 wegen ihres Engagements für die Kommunistische Partei verhaftet. In der aktuellen Ausstellung des Jüdischen Museums ist ihr eindringliches Selbstporträt "Verhör II" zu sehen, in dem sie sich nach ihrer Freilassung mit Gesichtsverletzungen und blutigem Haar darstellte. Dicker-Brandeis wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, organisierte dort heimlich einen an den Prinzipien des Bauhauses orientierten Zeichenunterricht für Kinder und wurde 1944 in Auschwitz ermordet.

Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938 bis 1. Mai, Jüdisches Museum Wien Sonntag bis Freitag, 10 -18 Uhr www.jmw.at

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