Herrschaftsbilder von Weiblichkeit

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Ob halbnackte "Osterhöschen" in der Unterwäsche-Werbung oder rigide Verhüllungsvorschriften für Musliminnen: Was beide Phänomene verbindet, ist die männliche Herrschaft über das Frauen-Bild. Plädoyer für eine Umkehrung des Blickes.

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Ob halbnackte "Osterhöschen" in der Unterwäsche-Werbung oder rigide Verhüllungsvorschriften für Musliminnen: Was beide Phänomene verbindet, ist die männliche Herrschaft über das Frauen-Bild. Plädoyer für eine Umkehrung des Blickes.

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Wissen ist Macht - das war (vielleicht) einmal. Heute gilt: Bild ist Macht. Die archaische Vorstellung, dass mit der Fotografie die Seele gestohlen würde, ist seltsam aktuell geworden. Oder was sonst geschieht, wenn ein Jugendlicher die Nacktfotos seiner Ex-Freundin, die ihm als vertraulicher Liebesbeweis einst übermittelt worden waren, via Facebook mit hundert Mitschülern teilt? Es ist nicht der nackte Körper, der das besondere Interesse erregt, es ist der nackte Körper des Mädchens, dessen Namen, ja das man persönlich kennt, aber eben nicht so persönlich. Dieses Bild zu teilen, verleiht dem Bildbesitzer jene Macht über die Seele, die er über den Körper der vormals Verehrten schon verloren hat. Bilder sind heute Macht, die längst nicht mehr nur die Mächtigen haben wie in früheren Jahrhunderten, als Maler, ihre Materialen und ihre Kunst nicht billig waren. Das Bild ist oft genug die Rache des kleinen Mannes.

Männlich geprägter Blick

Bilder waren und sind wesentlicher Teil eines Herrschaftsdiskurses im Habermas'schen Sinn: Wer darf Bilder von wem machen? Wer wem das Bildermachen verbieten? Wer generiert und verbreitet wessen Bilder? Bilder waren und sind darüber hinaus aber auch Herrschaftsdiskurs in einem sehr buchstäblichen Sinn: Männer, die ihre Herrschaft über Frauen durch Bilder zum Ausdruck bringen wollen. Der Blick auf die Welt und das daraus resultierende Bild ist allzu oft ein männlicher Blick und das Bild des anderen Geschlechts ein vom männlichen Blick geprägtes. Die Museen der westlichen Welt sind voll von künstlerisch anspruchsvollen weiblichen "Produkten" männlicher Blicke, die postmodernen Plakatwände der Städte und Internetforen nicht minder: Bilder von leicht bis gar nicht bekleideten Frauen, die auf triviale Produkte wie Unterwäsche und die männliche Herrschaft über den weiblichen Körper hinweisen sollen. Der "Gebrauch" des Frauenbildes als Symbol männlicher Bildherrschaft kann natürlich genauso gut in rigiden Verhüllungsgeboten und Darstellungsverboten zum Ausdruck kommen. Die zentrale Frage ist nicht, wie viel nackte Haut gezeigt wird, sondern, dass die Frau auf ihren Bildstatus reduziert wird, während die Bildrechte im einen wie im anderen Fall in männlicher Hand bleiben. Für Frauen gilt hier, was früher in bürgerlichen Haushalten über Kinder gesagt wurde: Man soll sie sehen, aber nicht hören. Man(n) soll Frauen ansehen und sich sein Bild von ihnen machen können, "das Frauenbild" eben, eine Stimme haben die Bilder aber weder in knappen Höschen noch unter dem Schleier.

Der heraufbeschworene Krieg der Kulturen (und Religionen) ist auch ein Krieg der Bilder: Unsere nackten Frauen gegen eure verschleierten. Und kulturelle Adaption (in die eine oder andere Richtung) darf dann als geglückt angesehen werden, wenn alle das gleiche "Frauenbild" haben.

Wo sie von der männlichen Norm abweichen, sind Frauenbilder sehr rasch Gegenbilder, nachhaltige Irritationen des gewohnten Blicks und des ikonographischen Herrschaftsgefüges: Ob eine in Nazarenerästhetik am Kreuz hängende Frau bei Bettina Rheims, Plus-Size Models oder Frauen mit Kopftuch als Modebloggerinnen -allein der Anspruch, das Bild als Frau selbst bestimmen zu können, es in männliche Blick-und Bildkonstruktionen einzuschmuggeln, provoziert beim Betrachter Ängste, die wenig mit dem Gesehenen zu tun haben, aber viel mit der Erkenntnis des Machtverlustes über das Frauenbild.

Ironisierung und Umkehrung

Kann es herrschaftsfreie Bilder geben? So verlockend die Vorstellung egalitärer Bildmacht auch sein mag, so utopisch ist sie, ja ein kurzer Blick auf die Bilder vermeintlich egalitärer Ideologien genügt, um sie als von totalitärer Macht erzwungene Kompositionen der Egalität zu demaskieren -und auch als Herrschaftsbilder im Sinn ungleicher Geschlechterverhältnisse, bis hin zum Kopftuch der sozialistischen Heldin der Arbeit.

Was dann? Selbstermächtigung durch Ironisierung des männlichen Blicks wird von weiblichen Künstlerinnen bereits seit geraumer Zeit praktiziert, leider nicht immer unter Rücksicht auf die begrenzte Ironiefähigkeit vieler Zeitgenossinnen und -genossen. Selbstinszenierung in der gewohnten Blickrichtung, also als gefälliger weiblicher Körper mit einer auf den zweiten Blick erkennbaren Agenda, ist eine umstrittene Strategie, wie Femen, Emma Watson und Ivanka Trump bereits erfahren durften: Viele Männer sehen einfach nur (halb)nackte Frauenbilder und viele Frauen nur Kollaboration mit der männlichen Blickherrschaft. Bleibt eine Umkehrung des Blickes und damit der Bildmacht: In einzelnen Fällen sicher einen Versuch wert, wie im eingangs zitierten Beispiel des im sozialen Netzwerk geteilten Nacktbildes der Freundin, sofern ein ebenso textilfreies Gegenbild des Ex-Freundes existiert. Bis mehrere tausend Jahre männliche Blickund Bildmacht wirklich gebrochen werden, wird es aber noch dauern. Inzwischen geht es in der Bilderflut des digitalen Spätkapitalismus vor allem darum, Selbstbilder zu verkaufen und das Copyright auf die Seele trotzdem zu behalten.

Die Autorin ist Professorin für Religionswissenschaft an der Kath.-Theolog. Fakultät Graz.

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