Empfehlenswerte Blickwechsel

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"Blickwechsel und Einblicke" holt 200 Jahre weibliches Kunstschaffen aus dem Depot des Historischen Museums.

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"Blickwechsel und Einblicke" holt 200 Jahre weibliches Kunstschaffen aus dem Depot des Historischen Museums.

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Angelika Kauffmann ist der Leonardo daVinci unter Österreichs Künstlerinnen: Wie die Mona Lisa im Louvre ist ihr Porträt des Josef Johann Graf Fries aus dem Jahr 1787 in der Wiener Hermesvilla unter Glas ausgestellt. Es stellt einen bleichen, melancholischen, jungen Mann auf Bildungsreise dar. Im Hintergrund eine antike Statue, die einzige Möglichkeit für eine Frau, einen Nackten zu malen. Aktzeichnen war Frauen lange verboten, genauso wie die malerische Ausbildung an der Akademie. Die meisten lernten von ihren Vätern oder wurden Kopistinnen, was eine einschlägige Inventarliste des Kunsthistorischen Museums beweist. Die hohe Meisterschaft, die Frauen dabei erlangten, beweist Maria Schöffmanns Kopie der "Braut" von Rembrandt.

Eigenständige künstlerische Schöpfungen traute man der "natürlichen" Neigung der Frau nicht zu, sie war höchstens der Nachahmung fähig. Daß es trotz allem bemerkenswert viele Individualistinnen gab, die auf Umwegen ihre eigene Sicht der Welt entwickeln und ausdrücken konnten, zeigt dieser Querschnitt aus der Sammlung des Historischen Museums der Stadt Wien. Zu verdanken ist Auswahl, Hängung und Zusammenstellung des Katalogs gleichfalls einer Frau: Elke Doppler, eine engagierte, idealistische, junge, freie Mitarbeiterin, hat die Schau kuratiert. Thematisch nach Landschaften, Porträts, Stilleben & Interieur, Moderner Grafik, Skulptur und ähnlichem gegliedert, gewährt der Raum "Selbstbildnis" besonders aufschlußreich Einblick in weibliche Künstlerseelen.

Der eigene Charakter kommt dabei genauso zur Geltung wie gesellschaftliche Konventionen, der Stellenwert weiblicher Malerei und die erwünschte Fremdsicht. Bemerkenswert ist das Werk der Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries: uneitel, in einem weißen Arbeitskittel, blickt die Künstlerin selbstbewußt aus dem dunkelroten Hintergrund, der sich mit dem Haar schon fast abstrakt auflöst und vermischt. Die rechte Hand resolut in die Hüfte gestemmt, genügt sie sich selbst, wählt ein eindrucksvolles Hochformat und stellt sich bildfüllend dar. Als eine der ersten Frauen hat sie auch Skulpturen geschaffen, ihre Umsetzung einer Hexe und einer Somnambulen war so fortschrittlich, daß die expressiven Steinfiguren noch in den 70er Jahren einem Vandalenakt zum Opfer fielen.

Entstanden ist das Selbstporträt, das auch Ries' malerisches Talent beweist, 1902. Fast zeitgleich porträtierte sich Kollegin Anne Renate Granitsch deutlich anders: Die damals 30jährige sieht wie ein junges Mädchen aus. Gut gekleidet, mit mondänem Hut und verträumtem Blick, steht die Berufsmalerin im Grünen vor der Staffelei, als ob die Farbpalette ein Freizeitutensil wäre. Ein Selbstbildnis aus dem Jahr 1944 zeigt sie älter im explizit feminin gestalteten Atelier. Teils ist der mit Bleistift gezogene Raster noch zu sehen, in zarten, matten, blaugrünen Farben hat sie ihr Gesicht, Grünpflanzen und Töpfe besonders ausgearbeitet.

Dagegen mutet die Selbstsicht von Olga Wisinger-Florian aus dem Jahr 1896 wesentlich mutiger an: sie verschanzt sich hinter der Darstellung ihres Ateliers, um doch im Spiegel ihr ganzes Können zu zeigen: als stimmungsvolle Farbkomposition ist darin die Künstlerin zu erkennen, auch die Staffelei fehlt nicht. Soviel Witz gestand die Gesellschaft damals nur Männern zu. Hedwig Friedländers Darstellung des Vaters an der Staffelei ist von rührender Innigkeit, sie beweist die hohe Bewunderung für die väterlichen Lehrmeister. Auch Marie von Ebner-Eschenbach, Franz Grillparzer, Elias Canetti und andere Prominente finden sich höchst aufschlußreich von Frauenhand porträtiert. Landschaftsszenen eines längst entschwundenen Wien, Kunstgewerbe, hochwertige Grafiken mit durchaus sozialen Anliegen und moderne Strömungen der Abstraktion, sowie Neuentdeckungen neben prominenten Namen wie Tina Blau, Broncia Koller-Pinell oder Franziska Zach runden den empfehlenswerten Blickwechsel ab.

"Blickwechsel und Einblicke". Hermesvilla, Lainzer Tiergarten, 1130 Wien. Di.-So. 10-18 Uhr, bis 24. April 2000.

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