Überleben in Notzeiten

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Wiener Aktionismus, Fluxus, Nouveau Réalisme und Pop Art: Kunst der 1960er Jahre im internationalen Vergleich: gegen die alten Werte und den abstrakten Elfenbeinturm.

Bandagierte Halbnackte, zuckende Filmsequenzen, inszenierte Dokumentarfotografien, blutbeschüttete Leinwände, konservierte Essensreste, abgerissene Plakatfragmente, ein zerstörtes Klavier, eine Sammlung pistolenähnlicher Objekte, billige Druckwaren, ein Wellpappeschachtelturm und ähnliche skurrile Zusammenstellungen meist billiger Materialien erobern monatelang drei Ebenen einer Kulturinstitution. Angesichts eines derartigen Sammelsuriums möchte man beherzt fragen: Za wos brauchma des?

Skurriles Sammelsurium

Zunächst braucht es einmal einen genauen Blick, es könnte sich unter dem Angehäuften ja etwas Brauchbares, etwas Verwertbares finden lassen. In Zeiten der Not, die bekanntlich erfinderisch machen - und dass wir in Zeiten der Not leben, versteht sich von selbst -, in diesen Zeiten der Not kann man sich daraus vielleicht eine nützliche Überlebensmaschine zusammenbauen. Also machen wir uns auf die Suche.

Das, was sich unter dem Titel "Fokus 01. Rebellion und Aufbruch, Kunst der 60er Jahre" im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig durchstöbern lässt, versammelt Ergebnisse von einigen der damals wichtigsten Strömungen: Wiener Aktionismus, Fluxus, Nouveau Réalisme und Pop Art. So unterschiedlich sie auch sein mögen, in ihrem Grundansatz, in dem Wissen darüber, wogegen sie sich stellen wollten, waren sie sich einig. Innerhalb des Kunstbetriebes galt es, die vorherrschende abstrakte Malerei und das Informel aus deren Elfenbeinturm zu holen und - damit verbunden - auf gesellschaftlicher Ebene endlich die landläufigen Wertvorstellungen, die zwar die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges hervorgebracht hatten, aber dennoch tonangebend waren, zu korrigieren. In ihrer großen Skepsis gegenüber der Übertragung der mehr oder minder heilen Wirklichkeit auf ein Stück Papier oder eine Leinwand, was letztlich immer einen illusionistischen Charakter annehmen musste, ersetzten sie Pinsel und Pigmente durch reale Körper, Gegenstände und Substanzen und erzeugten damit Unmittelbarkeit. Um dies noch zu steigern, gingen sie zu einer direkten Arbeitsweise vor Publikum in Form von Aktionen und Interventionen über.

Aktionen vor Publikum

Die Wiener Aktionisten bemühten sich vor dem Hintergrund, wie sie meinten, wertkonservativ-autoritärer Strukturen um eine unverfälschtere Erfahrung der Wirklichkeit, was sie durch die Inszenierung von intensiviertem sinnlichem wie psychischem Erleben zu erreichen suchten. Im Rückgriff auf tiefenpsychologisch fundierte Ängste stellen sie in ihren Aktionen vor allem sexuell motivierte Bedürfnisse in den Mittelpunkt, paaren diese mit dem Ausleben von Aggressionen, auch Autoaggressionen und der Konzentration auf tabuisierte körperliche Funktionen. Wenn Rudolf Schwarzkogler in seinem "Sigmund-Freud-Bild" die Kastrationsangst materiell umsetzt, dann zeigt sich hier - wie bei allen anderen Aktivitäten -, dass es sich um ein männliches Unternehmen handelt, Frauen sind nur als Statisten zugelassen. Letztlich inszenierte Schwarzkogler aber feinsinnige Körperanalysen in einer ungewohnten Ausdrucksweise. Wenngleich in manchen Aspekten das Destruktive, das Otto Muehl im Sinne von "Man kann nur etwas schaffen, indem man zerstört" für sich zum Paradigma erhoben hatte, zu sehr die Oberhand gewann und das Überschreiten von Ekelschranken zum Selbstzweck degenerierte, bleiben die grundsätzlich gestellten Anfragen gültig und betreffen. Und wenn sich die Aktionisten in lästerlicher Weise religiös besetzten Bildinhalten zuwenden, dann hilft kein bilddogmatisches Donnerwetter. Vielmehr dient es dem Nachforschen, wie sehr wir aus dem Bild Gottes ein Idol gemacht haben, das die Künstler nun demontieren - ob sie dies nun bewusst so sehen oder nicht, bleibt für Rezipienten ohnedies zweitrangig.

Auf formal andere Weise gingen die weiteren Strömungen in ihren Arbeiten vor, für sie stand nicht die vom Expressionismus beeinflusste Innenschau im Mittelpunkt wie bei den Aktionisten, sie kümmerten sich um die Oberfläche der Dinge, um das, was uns als Erscheinung unmittelbar betrifft.

Dinge zeigen eine Person

Exemplarisch für die Vorgangsweise bei ihren Materialbildern und Assemblagen lässt sich Armans "Portrait robot de Ben" seines Freundes Ben Vautier nennen: die Dinge, mit denen sich eine Person umgibt, sind für deren Kennzeichnung entscheidender als ihr Gesicht. Gleichzeitig ironisiert die Oberfläche all dieser Dinge unseren Zugang zur Wirklichkeit. Takako Saito zeigt eine Reihe von Schachspielen, deren Figuren äußerlich völlig gleich sind, sie unterscheiden sich nur durch Geruch, Gewicht oder Geräusche. Und Yoko Ono beschränkt sich bei ihrem Spiel ausschließlich auf Bauernfiguren, die in einheitlichem Weiß gehalten sind. Als ob bei dieser Metapher des königlichen Spiels für unsere Kommunikation nicht schon gereicht hätte, dass es beim Schach ja nicht darauf ankommt, durchsichtig zu agieren, sondern Verblüffung und Unsicherheit zu erzeugen.

Wir brauchen dieses Sammelsurium: Nicht weil sich die Künstler als Richter aufspielen könnten, sondern weil sie als Schöpfer die "unermüdlichen Fürsprecher des lebendigen Menschen" sind, wie Albert Camus feststellte. Und lebendige Menschen wollen wir doch alle sein - schon gar in Zeiten der Not.

Fokus 01. Rebellion & Aufbruch,

Kunst der 60er Jahre

Museum Moderner Kunst Stiftung

Ludwig, Museumsplatz 1, 1010 Wien

Bis 16. November Di - So 10 -18 Uhr

Do bis 21 Uhr.

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