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Kunst der Zeitwende

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Kaum eine Zeit, in der sich so wie in der unseren die diametral entgegengesetztesten Formen abiösen, ja selbst ein und derselbe Künstler übergangslos von einem Extrem in das andere hinüberwechselte. Aber wie darf man der Kunst ihre Unvollkommenheit verargen! Sie ist doch Ausdruck ihrer Zeit, einer Zeit, die ihr Antlitz ununterbrochen ändert, sich in wenigen Jahrzehnten von bürgerlicher Plüschromantik zum Trümmerfeld zerstörter Industriestädte verwandelt hat. Und so unbeständig und unsicher die Zeit selbst und ihre Kunst, so unsicher auch unser Urteil darüber, so oberflächlich schematisch unsere Einteilung in verschiedene Stilarten, wo es sich doch nur um Ansätze handelt, die erst nach einer neuen Art suchten oder suchen. Dennoch müssen wir uns vorläufig an diese kurzlebigen Begriffe halten, um wenigstens notdürftig einen Weg durch das Dickicht zu finden.

Es ist ein sehr schönes Verdienst der Grazer Galerie Moser, statt landläufiger Ausstellungen lebendige Kunstwissenschaft zu bringen. Durch das Nebeneinander von Werken verschiedener, sich gegenseitig ablösender, bekämpfenderoderbefruchtender Stile wird die Ausstellung „Kunst der Zeitwende" so wie manche frühere weit mehr als bloße Sehenswürdigkeit für Ästheten und Fachleute, wirkt das Dargebotene unmittelbar als Ausdruck einer Zeit und ihrer Wende, wird es sichtbare Geistesgeschichte, wie sie die Älteren von uns mit-, die Jüngeren nacherlebt haben, ohne sich selbst ein so klares Bild gelben zu können, wie die Kunst es vermag.

Einiges bleibt vielleicht lückenhaft, äußere Gründe mögen oft maßgebend gewesen sein, daß der eine oder der andere Künstler oft oder allzu selten vertreten ist.

Wollen wir also dennoch einen Stil, einen „Ismus“ nennen, der der Ausstellung ihr Gepräge gibt, so ist es zweifellos der Impressionismus. Er ist die große Mitte, die Schlüsselstellung, in der die entgegengesetztesten Richtungen des 19. Jahrhunderts, die Nachromantik und der Naturalismus, münden, zum anderen wachsen aus ihm die neuen Bewegungen, der Expressionismus und die neue Sachlichkeit.

Im Stimmungszauber des Impressionismus findet die längst ihrer Seele beraubte Romantik eine neue Heimat, in der Unmittelbarkeit der Eindruckswiedergabe erwacht die erstarrte Wirklichkeit des Naturalismus zu Leben. Immer tiefer dringt nun der Mensch ins Geheimnis dieser neuentdeckten Daseinsschau, bis er, labyrintisch verstrickt, im Schrei des Expressionismus sich befreien will oder in der Ruhe eines neuen Realismus nach Ausrast sucht. Aber nur andeutungsweise ist dieses Vor- und Nachher in der Ausstellung vertreten, es geht ja auch um die Zeitwende selbst, also vor allem um das Medium der Eindruckskumst.

Wie aus verklungener Zeit, wie verlorene Heimat — die kleinen Handzeichnungen eines Chodowieckis, Kaulbachs oder L. Richters. Aber über sie hinweg rast die Zeit und trägt uns fort. Den unbändigen Stolz auf neu errungenes Wissen und industriellen Fortschritt soll eine repräsentativ-ornamentale Kunst zur Schau stellen — und doch, ist dieses Atelier Makarts, wie es uns die Radierung Ungers zeigt, nicht ein Berauschen an Samt und Seide, an falscher Romantik, ein maßloses En trückt-sein-Wollen vom nüchternen Alltag in ein erträumtes Märchenland? Und zeigt dies nicht noch deutlicher Makarts eigenes „Idyll“, das er abseits seiner breiten Straße geschaffen haben muß, wo er wirklich Nymphen belauschen konnte? E. Schleichs Herbstlandschaft ist von ähnlicher Wirkung, endlich bei Klimt vollzieht sich die Wandlung. So fein und gekonnt sein Supraporte, in seinen Spätwerken findet er sich selbst. Zugleich in ihm seine Zeit. Aus dem schmalen, unvollendeten Damenantlitz, seinem „letztbegonnenen Werk“, spricht eine neue Zeit, keine satte, selbstzufriedene mehr — ungewisse Angst begleitet den Schritt ins unbekannte Neuland. Die Zeit wird haltlos. Die Scheinideale sind zusammengebrochen. Doch aus allem Verworrenen, ja Verzweifelten, das nun hereinbricht, darf man eines erkennen: das Wiedererwachen einer sich ihrer selbst bewußten Seele. Die Kunst wird echter, ehrlicher und somit sittlicher. Der Mensch tritt aus der Illumination wieder unter den gestirnten Himmel. Und wenn er sich neuerdings einem Taumel, einem Rausch hingibt, so ist es kein Rausch an selbstgeschaffenem Feuerwerk mehr, sondern einer an der Größe des Alls, dessen, was da über und in ihm. Und dies ist bereits viel. Sehr viel.

Daß auf diesem Wege fortgeschritten wird, beweisen die weiteren Bilder der Austeilung, in der sehr maßvoll die Spreu vom Weizen getrennt, die Schaumschlägereien, die die kommenden Epochen begleiteten, nicht gezeigt werden.

Aus der großen Zahl der vertretenen Künstler können nur die bezeichnendsten erwähnt werden. Von Liebermann zu Corinth zieht der erwähnte Weg vom Eindrucks- zum Geheimnisvollen, Schieies „Mädchen mit blauer Schürze“ läßt eine bisher unbekannte Macht der Farbe ahnen, während Staeger und hier auch Thoma von der romantischen Form her zum wahrhaft Geheimnisvollen finden. Wie menschlich? Spiegelbilder, doch ohne jeden karikierenden Zug, die Tierstudien Slevogts, die eu dem Besten der Schau gehören. Alles Grauen der Gegenwart spricht uns aus den gebrochenen Augen der gefangenen Bauern aus einer Radierung

Käthe Kollwitz’ m — hier ist die Karikatur furchtbarer Ernst geworden. Und abseits der anderen ein kleiner, unschuldiger, dennoch gefesselter Bub, der zusammenbricht. Und keiner kümmert sich um ihn ...

Naturalistische Zustandsschilderung ist zum Seelenspiegel, zum überdimensionalen Seelen-

spiegei geworden.

Wenn daneben ausgesprochen impressionistisch anmutende Werke, wie die Aquarelle und Ölgemälde von Putz mit ihrer glutvollen

Farbwirkung, aber auch die atmosphäre- durchpulssen Berglandschaften O’Lynchs mit zum stärksten, unmittelbarsten Erlebnis der Ausstellung werden, so beweist dies, daß wir noch immer an der Wende stehen, daß alle Verwirrung von Erkenntnis und Ausdruck kein historischer Ablauf, sondern Zustand ist. Kunst der Zeitwende ist kein Kapitel Kunstgeschichte, sondern Ausdruck suchender Gegenwart.

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