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Digital In Arbeit

Wolf Dietrich hätte dran sein Vergnügen

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„Ich habe sechzig Schüler zwischen siebzehn und siebzig Jahren“, stellt Corneille fest, der in der Internationalen Som- merakademie für bildende Kunst auf der Festung Hohensalzburg eine Klasse für abstrakte Malerei leitet, „ich habe keine Erfahrung in der Erteilung von Unterricht, habe nie an einer Akademie gelehrt, aber mit meinen Schülern verstehe ich mich ausgezeichnet.“ Die jungen Herren mit Bart und die Mädchen in Jeans und fleckigen Kitteln, die eifrig an der Arbeit sind, nicken zustimmend. Es herrscht eine kameradschaftliche Atmosphäre, die weit von jedem Akademiebetrieb entfernt ist. So war es in der abstrakten Klasse schon in den fünf Jahren, in denen sie von Emilio Vedova geleitet wurde. Damals war die Zeit der großen Unruhe unter den Studenten, die sich in Happenings Luft machte, an die der Leiter der Akademie, Professor Stuppäck, der sein dorniges Amt 1963 von Oskar Kokoschka übernommen hat, mit Schaudern zurückdenkt.

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„Ich habe sechzig Schüler zwischen siebzehn und siebzig Jahren“, stellt Corneille fest, der in der Internationalen Som- merakademie für bildende Kunst auf der Festung Hohensalzburg eine Klasse für abstrakte Malerei leitet, „ich habe keine Erfahrung in der Erteilung von Unterricht, habe nie an einer Akademie gelehrt, aber mit meinen Schülern verstehe ich mich ausgezeichnet.“ Die jungen Herren mit Bart und die Mädchen in Jeans und fleckigen Kitteln, die eifrig an der Arbeit sind, nicken zustimmend. Es herrscht eine kameradschaftliche Atmosphäre, die weit von jedem Akademiebetrieb entfernt ist. So war es in der abstrakten Klasse schon in den fünf Jahren, in denen sie von Emilio Vedova geleitet wurde. Damals war die Zeit der großen Unruhe unter den Studenten, die sich in Happenings Luft machte, an die der Leiter der Akademie, Professor Stuppäck, der sein dorniges Amt 1963 von Oskar Kokoschka übernommen hat, mit Schaudern zurückdenkt.

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An den Wänden hängen, wie in allen Klassen des Hauses, die Ergebnisse der Arbeit der letzten Tage. Corneille verwendet im Unterricht Vorlagen, bunte Photos aus amerikanischen Illustrierten, die in einem allmählichen Abstraktionsprozeß in die eigene Sprache des Schülers umgesetzt werden. Man kann diesen Prozeß an Hand einzelner Blätter — es wird zumeist in öl auf Papier gearbeitet — verfolgen. Corneille be- brachtet diese Arbeitsweise als Lok- kerungsübung. Sie dient einerseits der Befreiung der Hand, anderseits dem gestaltpsychologischen Prozeß von der vorgegebenen Form zur freien Assoziation.

„Wir können nur die Impulse geben“, meint Corneilles Assistent Peter Klasen, „und wir geben sie nur jenen, die ihrer bedürfen, der da braucht unsere Impulse nicht…“ Dabei weist Klasen auf den beliebten Benjamin der Klasse, der unbekümmert um das Gerede rund um ihn herum an heiteren, großmaschigen Elementen pinselt, die offenbar von amerikanischer Popart beeinflußt sind.

„Wir wollen dem einzelnen helfen, seinen eigenen Stil zu finden“, sagt Corneille, „nichts wäre für mich schlimmer, als wenn aus diesem Kurs lauter kleine : Corneilles herauskommen würden.“

Die Begegnung mit Corneille muß für die Schüler etwas Faszinierendes haben, ist er doch einer der Väter des abstrakten Expressionismus, einer der Begründer der „Cobra“- Gruppe (1948 bis 1951), die aus der Geschichte der europäischen abstrakten Malerei nicht weggedacht werden kann.

Probleme des Sehens, die auf dieser Sommerakademie, die einst von ihrem Gründer als „Schule des

Sehens“ bezeichnet worden war, eine besondere Rolle spielen, stehen auch im Kurs „Bildnerisches Gestalten“ im Vordergrund. Claus Pack, Max Rieder und Matthias Herbst unterweisen ihre Schüler hier in der Auseinandersetzung mit Problemen der Form und der Farbgestaltung auf der Fläche. Dieser Kurs will ein Wegweiser sein für bildnerisch Begabte, die Anregung für ihr Schaffen und einen Weg, auf dem sie vorwärts gelangen können, suchen.

„Meine Schüler sollen erkennen“, meint Pack, „daß die Kunst ein Spiel ist, aber kein leichtes. Sie sollen sich mit ihrer Umwelt gestalterisch auseinandersetzen, darum gehen wir zeitweise in die Landschaft.“ In dieser Klasse wird nicht nur nach dem menschlichen Modell gearbeitet, man bemüht sich auch um das Stilleben. Theoretische Vorträge spielen hier eine größere Rolle als in den anderen Kursen. Die Vorträge behandeln teils kunsthistorische Probleme, teils grundsätzliche Fragen der Gestaltung. Auch die kunsthistorischen Erörterungen führen immer wieder zur praktischen Nutzanwendung an der Staffelei.

In der Klasse für figurative Malerei, die Rudolf Szyszkowitz leitet, gibt es keinen Bleistift. Die Akte, die hier entstehen, werden unmittelbar in Wasserfarben aufs Papier gebracht. Auch hier geht es dem Leh rer darum, seinen Schülern die Tektonik des menschlichen Körpers zu erschließen, ihnen ein Gefühl für sein Volumen, seine Raumverdrängung zu geben. Die Schüler verwenden gern helle, leuchtkräftige Farben. Große Aktblätter entstehen in gemeinsamer Arbeit. Zwei Schüler malen abwechselnd an dem Blatt. Sie sollen einander nicht beeinflussen. Jeder setzt seine eigenen, ihm bedeutsam erscheinenden Akzente. „Es ist wie beim Fußball“, sagt Professor Szyszkowitz, der seine reiche Erfahrung als Lehrer in die Waagschale werfen kann. Die Homogenität der erzielten Ergebnisse ist erstaunlich. Wesentliche Anregungen empfangen die Schüler der Szyszkowitz-Klasse bei den Proben von Festspielaufführungen, denen sie beiwohnen dürfen. Sie zeichnen bei diesen Proben im Dunklen, eine gute Übung für die Wiedergabe von Formen ohne unmittelbare Gestaltungskontrolle durch das eigene Auge. Natürlich hat „Wozzeck“ den gestalterischen Sinn und das emotionale Aussagebedürfnis der Schüler am stärksten ange regt. In einem Nebenraum sind drei Damen mit einer „Hafenszene“ beschäftigt. Der Lehrer gibt nur das Thema an, die Schüler müssen es in gemeinsamer Bemühung erarbeiten, wobei sie unabhängig voneinander ihre Akzente setzen sollen. Diese Übung dient der Anregung der gestalterischen Phantasie.

Auch hier wird die Absicht geäußert, den Schülern „keine Masche“ zu vermitteln, sondern ihnen die Verwirklichung der eigenen Persönlichkeit zu erleichtern.

Bei den Architekten geht es streng wissenschaftlich zu. Hier stehen Sozialstruktur und Verhaltensforschung im Vordergrund. Die technische Problematik wird nur in zweiter Linie herangezogen. „Technisch ist heute fast alles möglich“, erklärt Frei Otto, der Leiter der Klasse. Diese Überzeugung erregt bei einem Mann, der durch seine kühnen Konstruktionen in Montreal und München die Überdachung riesiger Räume erst möglich gemacht hat, keinerlei Erstaunen.

In verschiedenen Ecken beschäftigen sich Studenten mit Problemen von Floating Structures, pneumatischen Gebilden aus Gummimembrane, Schalendächern und Minimalflächen. Besonderes Interesse erregen die „dreidimensionalen Gärten“, die in Modellform angelegt werden und der Erkenntnis über die Daseinsbedingungen der Pflanze dienen. „Da das Verhalten der Pflanze dem des Menschen ähnlich ist, können Rückschlüsse auf die menschliche Verhaltensforschung gemacht werden.“

Ein beträchtlicher Teil der Seminarteilnehmer — es handelt sich durchweg um Architekturstudenten des letzten Jahrgangs — ist mit Fragen der Urbanistik beschäftigt. Diese Herrschaften sind selten in den Werkstatträume’n anzutreffen, zumeist stehen die jungen Damen und Herren in den Höfen der Festung, wo sie Verkehrsskizzen an- legen und eine sequentielle Studie der bevorzugten Ausblicke erarbeiten. Fragen der Soziologie, der Touristik und ihrer Infrastruktur haben in diesem Jahr die Beschäftigung mit Problemen der Salzburger Altstadt abgelöst, die in den letzten Jahren, in denen das Seminar von Jakob B. Bakema und Georges Candilis geleitet wurde, vorherrschend gewesen waren.

Weitere Werkstätten (für drucktechnische Verfahren, Bildhauerei, Bühnenbild) sind in der Residenz untergebracht, ihnen konnte unser Besuch an diesem Tage nicht gelten.

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