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Jazzforschung gilt als Geheimtip im Palais des Erzherzogs Johann

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Lin Geräusch-Cocktail sondergleichen empfängt den Besucher, der das altehrwürdige Palais Meran - die ehemalige Sommerresidenz Erzherzog Johanns - in Graz betritt. Ein Synkopen schlagendes Saxophon, elektronische Musik, Blockflöten, eine mühsam „gerührte” Trommel und einige nebeneinander auf gedämpften Klavieren werkende, ihre Fingerübungen über Kopfhörer kontrollierende Studenten ergeben einen beträchtlichen Pegel, der seinen letzten „Schliff durch den vorbeibrausenden Verkehr erhält. Daß darüber hinaus noch auf den engen Gängen und in allen möglichen Winkeln Studenten stehen, sitzen, lernen und üben, fallt dem so Phongestreßten dann nur mehr am Rande auf.

„Bei uns an der Hochschule steht zweifellos das Bau- und Raumproblem an erster Stelle”, erklärt dann auch Rektor Prof. Dr. Friedrich Korcak. Verständlich: denn das alte Gebäude wurde ja auch nicht zu dem Zweck gebaut, für den man es heute verwendet

Sechs Dependancen in alten Palais

Probleme, wie sie im Palais Meran auftreten, gibt es übrigens auch in den sechs Dependancen der Hochschule, die über den Grazer Stadtbereich verstreut sind: alles alte Palais oder ähnliche Bauwerke.

„Wir haben an unserer Hochschule daher auch keinen Konzertsaal, keine eigene Bühne, keine eigene Bibliothek, keinen Abhörplatz für Platten und Tonbänder und keine eigenen Ubungsräume”, zählt Rektor Prof. Korcak die wichtigsten Punkte seines Problem-Kataloges auf. Das völlige Fehlen von Übungsräumen bringt es mit sich, daß die Studenten auf die Unterrichtsräume angewiesen sind. Die sind aber nut zwischen sechs und acht oder von 19 bis 22 Uhr frei.

Und eine an sich hervorragende Bibliothek mit rund 85.000 Bänden, die mit der Landesmusikschule fusioniert ist, liegt räumlich weit getrennt von der Hochschule. „Mit dem Auto braucht man etwa eine halbe Stunde, wenn man etwas aus der Bibliothek will”, berichtet Prof. Korcak.

Das Raumproblem wird in absehbarer Zeit auch kaum zu lösen sein, auch Wenn schon ein Hoffnungsschimmer am Horizont aufgetaucht ist. Der Bund hat zwar ein größeres Nachbargrundstück, eine alte Badeanstalt samt Park, bereits angekauft.

Ähnliche Probleme gibt es in der Expositur der Hochschule in Oberschützen, die aus geographischen Rücksichten auf viele Studenten im Burgenland eingerichtet wurde. Außer Gesangsausbildung und Jazz sind hier für 75 Studenten alle Studienrichtungen vorhanden. Der Studienbetrieb verteilt sich, trotz der Kleinheit des Ortes, auf vier bis fünf Objekte.

Spezifisch für Oberschützen ist das Fach Evangelische Kirchenmusik. Verständlich, ist dieser burgenländische Ort doch ein Zentrum der Evangelischen in Österreich. Als Ausgleich dafür wird in Graz katholische Kirchenmusik unterrichtet. Die auch bei der Expositur bestehenden Raumprobleme könnten beseitigt werden, wenn der Plan eines neuen Kulturzentrums in Oberschützen verwirklicht würde. Aber auch das wird noch seine Zeit dauern.

Für die Absolventen der Hochschule, die als geprüfte Musikschullehrer, als AHS-Lehrer, als Regisseure oder Dirigenten die Ausbildungsstätte verlassen, gibt es bisher keine Probleme, in ihren Berufen gut unterzukommen. Auch Instrumentalsten und Sänger finden immer noch genügend Anstellungsmöglichkeiten, letztere vor allem im Ausland.

„Bei den Dirigenten gibt es verständlicherweise relativ wenig Absolventen, die aber durchwegs Karriere gemacht haben”, berichtet Rektor Korcak. So hat Günther Neuhold, der in Hannover im Engagement ist, erst kürzlich beim Swarowski-Wettbewerb in Wien einen zweiten Platz errungen, wobei kein erster Platz vergeben wurde. Und Hans Graf leitete 1975/76 das Bagdad-Symphonie-Or- chester und wird ab Herbst als Solo- Chorrepetitor an der Wiener Staatsoper arbeiten.

Nach wie vor besteht in den Musikschulen Österreichs ein großer Bedarf an geprüften Lehrern, und bei den AHS-Professoren ist die neue Kombination Musikerziehung-Instrumen- tal-Musikerziehung sehr beliebt.

Die Studienrichtung Musikerziehung ist überhaupt eine der größten Abteilungen der Hochschule: bei den Kandidaten für die Gymnasiallaufbahn ist in den letzten Jahren ein Zuwachs von 130 Prozent zu verzeichnen gewesen. Die Instrumental- und Gesangslehrer wiederum wählen die pädagogische Ausbildung häufig als „Sicherheitsnetz” neben dem Erwerb des künstlerischen Diplomes. Rektor Korcak: „Auch der Künstler kann nie wissen, ob er nicht einmal auch etwas von Pädagogik verstehen muß.”

Einem aktuellen Problem wird übrigens eine Enquete gewidmet sein, die am 15. Oktober in Leoben im Anschluß an den Wettbewerb „Jugend musiziert” stattfinden wird: Fünf- Tage-Woche und Musikerziehung. Rektor Korcak meint: „Die Auswirkungen könnten, wenn man nicht vorsorgt, vor allem für die Musikschulen katastrophal sein!”

Als „echte Serviceleistungen” der Hochschule für Berufstätige gelten die Lehrgänge für musikalische Früherziehung und für Blaskapellen-Leiter.

Der Lehrgang für musikalische Früherziehung ist in erster Linie für Kindergärtnerinnen, Volksschullehrer, Horterzieher und Instrumental- Lehrer gedacht, die schon draußen in der Praxis stehen. Er erstreckt sich über vier Semester und findet einmal pro Woche statt. Die 20 Absolventen (Korcak: „Mehr können wir beim besten Willen nicht unterbringen”) werden für diesen Lehrgang von ihren Dienstgebern in der Regel freigestellt.

Noch opferbereiter sind die Interessen für den ebenfalls viersemestrigen Lehrgang für Blaskapellen-Leiter. Der Unterricht, der Freitag nachmittag und Samstag stattfindet, zieht begeisterte Blasmusiker aus der gesamten

Steiermark an. „Die Leute nehmen oft stundenlange Fahrten mit dem Auto in Kauf, nur um sich fprtbilden zu können und das Niveau ihrer Kapelle zu verbessern”, zeigt sich der Rektor der Hochschule beeindruckt.

Im Sommersemester 1976/77 waren 675 Studenten in Graz, 75 in der Expositur Oberschützen inskribiert. Die Studenten kommen vor allem aus dem eigenen Bundesland, aber auch aus dem Burgenland, aus Kärnten und Oberösterreich. „Mit zwölf bis 15 Prozent Ausländern dürften wir im Gegensatz zu Wien und Salzburg ein recht vernünftiges und ausgewogenes Verhältnis haben”, meint der Rektor. Von den ausländischen Studenten, die aus aller Welt kommen, ist übrigens der größte Teil am Institut für Jazzforschung inskribiert. Denn für Jazzfreunde ist Graz seit rund 20 Jahren ein Geheimtip. Da an der Hochschule eine Aufnahmeprüfung verlangt wird, ist übrigens die Drop-out-Rate, also die Zahl der Studienabbrecher, außerordentlich gering.

Wer die künstlerische Laufbahn gewählt hat, kann sein Studium mit einem Diplom abschließen, für Musikerzieher ist die Sponsion zum Mag art der Abschluß, für Instrumentalisten und Sänger gibt es die Lehrbefähigungsprüfung.

Die Zahl der Studenten an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz wird in absehbarer Zeit sicher nicht größer werden. „Dazu”, meint Rektor Prof. Korcak, „ist einfach kein Platz mehr vorhanden.”

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