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Studium ohne Ende

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In der deutschen Bundesrepublik haben jüngst Studenten demonstriert: In erster Linie wegen des sogenannten „Bildungsnotstandes“, dessen Größe in bundesdeutscher Manier reichlich übertrieben wird, aber dann auch wegen der ungebührlichen und immer noch wachsenden Verlängerung der Studiendauer.

Der CDU-Abgeordnete Dr. Hans Dichgans, Vorkämpfer einer sinnvollen Verkürzung des Studiums, hat schon im Deutschen Bundestag die Frage der andauernden Verlängerung des Studiums zur Sprache gebracht. Mit einstimmiger Entschließung hat der Deutsche Bundestag am 9. Dezember 1964 den Wunsch ausgedrückt, daß der Hochschüler bei Bedachtnahme auf seine Wehrdienstleistung sein akademisches Studium normal mit dem 26. Lebensjahr abschließen solle.

Dr. Dichgans hat errechnet, daß der Schüler heute bis zum Abitur 15.000 Stunden in der Schule sitzen, jedoch nur 5000 Stunden für Hausarbeiten reservieren muß. Das Durchschnittsalter des Abiturienten nach den 15.000 Schulstunden beträgt 20,5 Jahre. Dr. Dichgans ist nun der Ansicht, es sei möglich, durch eine angemessene und die Lehrziele beachtende Verkürzung der Studienzeit das Durchschnittsalter des Abiturienten bis auf 18,5 Jahre herabzusetzen. Zu diesem Zweck wäre unter anderem notwendig, die Schulzeit wieder von 13 auf 12 Jahre zu senken und den Schulbeginn mit dem 5. Lebensjahr festzusetzen wie in den meisten westlichen Ländern.

Die neuen Anforderungen

Neben der Bundesrepublik haben lediglich Österreich und Island bis zum Abitur schon (noch?) 13 Schuljahre (in Österreich 4 Jahre Volksschule und 9 Jahre Höhere Schule). Alle westlichen Staaten finden mit 12 Schuljahren vor der Hochschule das Auslangen (!). Den Forderungen nach Verkürzung der Studiendauer entsprechend den Vorschlägen von Dr. Dichgans, die also bereits bei den Zubringerschulen für die Hochschulen ansetzen müßte, stehen freilich tatsächliche oder vermeintliche Notwendigkeiten gegenüber, welche die „Höheren Schulen“ verhalten, den Lehrstoff zumindest qualitativ zu erweitern und an das von der Gesellschaft und den Schülern abgeforderte und ständig wachsende Wissenssoll anzupassen. Man verlangt, daß in der naturwissenschaftlichen Fächergruppe erheblich mehr Lehrstoff vorgetragen wird als früher, ebenso sollen Fremdsprachen intensiver unterrichtet werden, aber auch für neue Gegenstände, wie Zeitgeschichte, Politische Wissenschaften, ja auch für Verkehrserziehung u. ä., wird Platz gefordert. Die Vertreter der klassischen Fächer wollen anderseits nichts von ihrem bisweilen reichlichen Bestand abgeben. Darüber hinaus werden auch noch Fächer, die bisher sogenannte „Nebenfächer“ gewesen sind, anforderungsmäßig ebenfalls zu Hauptfächern.

Die Schüler sind jedenfalls heute in und außerhalb der Schule in einem Umfang engagiert, der keinesfalls mit der alten Schule vergleichbar ist, obwohl manche das immer wieder behaupten.

Erst mit 31 berufsreif!

Der deutsche Studienassessor (s. Dr. Dichgans im „Echo der Zeit“, Recklinghausen, 32/1965) wird heute im Durchschnitt 31 Jahre alt, bis er einen normalen Monatsbezug erhält;

der französische Gymnasiallehrer dagegen nur 23 Jahre (ebenso ist es in England und in den USA).

Daß sich der Studienassessor in der Bundesrepublik erst im vierten (!) Jahrzehnt seines Lebens wirtschaftlich selbst erhalten kann, erklärt sich dadurch, daß er mit 20,4 Jahren die Oberschule verläßt, dann 18 Monate Wehrdienst ableisten muß, in Deutschland (Nordrhein-Westfalen) 14,6 Semester an der Hochschule zu studieren und anschließend 2 Jahre Referendarzeit zu absolvieren hat. Das bedeutet, vom obigen Zahlenbeispiel ausgehend, daß in der BRD die Beirufsreife erst 8 Jahre später erlangt wird als in den anderen Ländern des Westens. Nach Ermittlungen von Dr. Dichgans besteht jedoch in der beruflichen Qualität ausländischer und deutscher Lehrer kein wesentlicher Unterschied.

Die Folgen

Wenn die Vollendung des Studiums tatsächlich dauernd hinausgeschoben wird, bedeutet das:

• längere wirtschaftliche Bindung der Studierenden an die Versorgung durch das Elternhaus. Die Eltern müssen für die Nation von Jahr zu Jahr wachsende Lasten tragen, die ihnen beispielsweise in der BRD (und in Österreich) von der Öffentlichkeit nicht oder kaum abgenommen werden. Die Stipendierung der Hochschüler hat in Österreich vielen Unbemittelten, vor allem Studenten aus den Bundesländern, merkbar geholfen, anderseits aber erhebliche Ungerechtigkeiten geschaffen, da zum Beispiel wohl bei Lohnempfängern, nicht aber in gleicher Weise bei anderen Einkommensbeziehern die Einkommensverhältnisse völlig eindeutig offen liegen, wodurch eine gleichmäßige Zuteilung der Stipendien kaum möglich ist.

• Die sogenannten Jungakademiker sind ihrem Alter nach heute vielfach keine jungen Akademiker mehr, sondern meist „rüstige Dreißiger“. Die Alterspyramide der Akademiker ruht auf einer Basis, die bereits von älteren Jahrgängen gebildet wird. Es fehlt die breite Schichte von tatsächlich noch jungen, risikobereiten, expansiven Akademikern, ein Umstand, der sich vor allem im Unterricht an den Höheren Schulen negativ auszuwirken beginnt.

• Mit dem Altwerden bereits auf dem Hochschulboden kommen immer mehr die Studentenehen auf und entsteht ein innerstudentisches Familienleben mit einem eigenartigen und keineswegs studienfördernden Philistertum.

• Schließlich führt die lange Dauer auch dazu, vom Studium abzuschrek-ken. Viele durchaus für ein Studium geeignete dynamische Typen scheuen die Last langjähriger wirtschaftlicher Abhängigkeit und ziehen ein frühes Berufsleben vor. Darüber hinaus hält trotz allen Stipendien die Länge der Studiendauer weiterhin Arbeiterkinder und junge Menschen, die nicht in einer Hochschulstadt wohnen, vom Studium ab.

Auswege und Vorschläge

Für Dr. Dichgans bietet sich nun als eine Lösung nicht allein die Verkürzung der Studienzeit an den Zubringerschulen an, sondern auch eine Änderung in der Unterrichtsform an den Hochschulen. Auf den bundesdeutschen Hochschulen wird je Kalenderjahr lediglich in 22 Wochen ein Sohulbetrieb aufrechterhalten. So dauert (nach Dr. Dichgans) das erste Semester eines Juristen nur 10 Wochen, hierauf hat der Erstsemestrige bereits wieder 3 Monate Ferien. Daher der Vorschlag, die Vorlesungszeiten auf 34 Wochen zu erhöhen.

Darüber hinaus ist Dr. Dichgans der Ansicht, daß die Spezialisierung nicht Sache der Hochschule sein könne, sondern daß die Dienstgeber für die spezifische Weiterbildung der Jungakademiker zu sorgen hätten, wodurch sich auf der Hochschule Zeit einsparen ließe.

Jedenfalls kann die in Österreich gründlich bedachte und durchaus demokratisch vorbereitete Studienreform, die dahin zielt, nicht jeden Hochschüler zu zwingen, die höchsten akademischen Grade anstreben zu müssen, einer sinnvollen Verkürzung der Studiendauer dienen.

Eine Verminderung der Studienzeit bereits an den Höheren Schulen wäre eine Radikallösung, die ernstlich überlegt werden, jedenfalls aber im Gespräch bleiben muß.

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