"...weil sich doch sonst niemand drum kümmert"

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"Zwischenmenschliche Kontakte" und "Engagement für die Gemeinschaft" sind die stärksten Motive für bürgerschaftliches Engagement.

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"Zwischenmenschliche Kontakte" und "Engagement für die Gemeinschaft" sind die stärksten Motive für bürgerschaftliches Engagement.

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Bürgergesellschaftliches beziehungsweise ehrenamtliches Engagement ist in Österreich stark verbreitet: Nach den Ergebnissen der Studie ("Bürgergesellschaft") des Fessel GfK Institutes (4.500 Befragte ab 15 Jahren) sind drei Viertel der (erwachsenen) Österreicher Mitglieder von Vereinen oder Verbänden, zumindest 36 Prozent sind aktiv tätig. Die Zusammensetzung der Aktiven zeigt deutliche Muster: * Mit steigender Bildung und qualifizierter Berufstätigkeit nimmt auch die bürgerschaftliche Beteiligung zu; der Anstieg nach Bildung erfolgt linear: von 27 Prozent in der untersten Bildungsschicht auf 50 Prozent bei Akademikern; Selbständige (47 Prozent) und Angestellte/Beamte (44 Prozent) zeigen sich weit aktiver als unqualifizierte Arbeiter (24 Prozent) und Arbeitslose (21 Prozent); * die jüngeren und mittleren Altersjahrgänge sind aktiver als die älteren; * Menschen in kleinen Gemeinden sind eher aktiv als solche in Städten: während in Wien nur 29 Prozent eine Aktivität bekunden, so gilt dies für fast die Hälfte der Bewohner kleinerer Gemeinden (46 Prozent); Landwirte sind mit 60 Prozent eine sehr aktive Gruppe; * Männer sind aktiver als Frauen, wobei der Unterschied im wesentlichen auf das geringere Aktivitätsniveau von Seniorinnen zurückgeht; zwischen berufstätigen Frauen und Hausfrauen existieren keine signifikanten Unterschiede.

Primäre Tätigkeitsfelder der bürgerschaftlichen Aktivisten sind - neben der allgemeinen Teilnahme an Aktivitäten - die Vorbereitung und Organisation von Veranstaltungen und die Arbeit in Sitzungen, Ausschüssen, Komitees und so weiter (jeweils zirka die Hälfte der Aktiven) sowie die Betreuung anderer Menschen (zirka vier von zehn Aktiven). Ein gutes Viertel leistet Informations- und Vermittlungsdienste, übernimmt Büro und Verwaltungsagenda oder sammelt Geld. Es folgen Transporte/Fahrtendienste, Unterricht/ Ausbildung, Beratung sowie Interessenvertretung und Werbung. 15 Prozent engagieren sich in persönlicher Fürsorge. Ein Viertel ist in anderen Tätigkeitsfeldern aktiv.

Der Zeitaufwand ist beträchtlich: zwar sind nur 14 Prozent der Aktiven nur selten und weitere 29 Prozent durchschnittlich eine bis vier Stunden im Monat aktiv, doch ein Viertel wendet fünf bis zehn Stunden pro Monat (24 Prozent) und ein Fünftel mehr als elf Stunden pro Monat auf (13 Prozent elf bis 20 Stunden, acht Prozent mehr als 20 Stunden). Zwölf Prozent machen dazu keine näheren Angaben.

Neues lernen Die beiden stärksten persönlichen Motive für bürgerschaftliches Engagement sind genereller Altruismus ("um etwas für die Gemeinde, die Gemeinschaft etc. zu tun") und der Wunsch nach zwischenmenschlichen Kontakten. Beide Motive sind vor allem im ländlichen Raum überdurchschnittlich anzutreffen, genereller Altruismus bei Männern eher als bei Frauen. Ein Viertel der Aktivisten nennt persönliche Befriedigung. Spezifisch soziale-humanistische Motive (um zu helfen, aus Mitleid/Mitgefühl, Solidarität; auch leicht resignierend: "weil sich sonst niemand darum kümmert") sind bei Frauen deutlich stärker ausgeprägt als bei Männern, tendenziell eher bei älteren Menschen. Junge Menschen betonen neben dem Kontaktmotiv auch (andere) eher individualistische Motive wie Neues zu lernen, neue Erfahrungen zu machen oder "weil ich in dieser Tätigkeit gut bin". Religiös-moralische Verpflichtung kommt speziell bei Frauen und älteren Personen zum Tragen.

Die Einstellung zu bürgerschaftlichem Engagement in Österreich ist außergewöhnlich positiv: Beinahe neun von zehn Befragten (85 Prozent) stimmen der Ansicht zu, daß die Gesellschaft "kälter" und das Zusammenleben immer schwieriger werde, wenn jeder nur an sich denke; lediglich vier Prozent lehnen dies dezidiert ab. Drei Viertel orten eine moralische Verpflichtung für jede(n), irgendwann in seinem Leben unbezahlte Arbeit für Mitmenschen und Gesellschaft zu leisten (Ablehnung: 13 Prozent), und fast zwei Drittel (63 Prozent) meinen, daß eine funktionierende Demokratie aktives Engagement der Bürger in einer Vielzahl von Initiativen und Vereinen benötige (7 Prozent Ablehnung). Darüber hinaus sehen sechs von zehn Befragten (59 Prozent), daß ehrenamtliche Aktivitäten etwas anbieten, was von bezahlten Professionisten nicht geleistet werden kann (Ablehnung 10 Prozent), wie auch nur zwölf Prozent Organisationen, die ehrenamtliche Mitarbeiter beschäftigen, als amateurhaft und unprofessionell abqualifizieren (Ablehnung hier: 67 Prozent). Eine Bedrohung für bezahlte Arbeit beziehungsweise eine Nutzung von ehrenamtlichem Engagement zur Kürzung öffentlicher Ausgaben orten nur 15 Prozent (61 Prozent Ablehnung).

Nur "Vereinsmeier" Etwas unsicher zeigt man sich hinsichtlich der Frage, ob bürgerschaftliches Engagement dem Menschen hilft, eine aktive Rolle in einer demokratischen Gesellschaft einzunehmen (56 Prozent Zustimmung, 6 Prozent Ablehnung, 36 Prozent neutral). Der Vorwurf, daß in Vereinen und Institutionen Tätige dies nur aus Vereinsmeierei und somit letztlich nur zur eigenen Befriedigung tun, steht bei 28 Prozent im Raum, 42 Prozent lehnen diese Ansicht ab.

Ein gespaltenes Meinungsbild herrscht allerdings beim Thema, ob ehrenamtliche und unbezahlte Arbeit auch dann nötig wäre, wenn der Staat all seinen Aufgaben nachkommen würde: jeweils ein starkes Drittel sieht diese "Lückenbüßerrolle" bzw. verneint sie, ein Viertel ist sich diesbezüglich unschlüssig.

Der Autor ist Leiter der Sozialforschung des Fessel-GfK Marktforschungsinstitutes in Wien.

FURCHE-TIP Organisierte Privatinteressen - Vereine in Österreich lautet der Titel eines Symposiums vom 10. bis 12. Juni 1999, veranstaltet von der ARGE "Wege zur Civil Society in Österreich" der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. Ort: Palais Festetics, Berggasse 16, 1090 Wien. Tagungsbüro: Tel. 319-57-70.

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