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Zweifel am Fortschritt

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Wirtschaftsbosse klagen über mangelnde Wettbewerbsfähigkeit durch Technikängste in der Bevölkerung. Tatsache oder Zweckpessimismus?

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Wirtschaftsbosse klagen über mangelnde Wettbewerbsfähigkeit durch Technikängste in der Bevölkerung. Tatsache oder Zweckpessimismus?

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Seit Zwentendorf und Hainburg haben Österreichs Manager mit einem bislang wenig beachteten Phänomen zu kämpfen: Technikängste in der Bevölkerung.

Das Wirtschaftsforum der Führungskräfte präsentierte eine in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführte Studie zum Thema „Standortsicherung - auch eine Frage der Öffentlichkeitsarbeit und Informationspolitik”. Unter den Vertretern der österreichischen Auftraggeber der Studie - Verbundgesellschaft und Chemiekonzern Hoechst AG - herrschte Einigkeit: Technikängste gefährden die Standortentscheidungen für große Projekte.

Studienautor Professor Hans-Christian Röglin vom Institut für angewandte Sozialpsychologie in Düsseldorf sieht gar einen generellen Trend zur Technikskepsis: Vor zehn Jahren seien zwei Drittel der Gesellschaft hinter dem Konzept der modernen Industriegesellschaft gestanden. Doch mittlerweile, schwinde das Vertrauen in die Technik und Röglin stellt fest, „daß ein schwaches Drittel der Revölkerung den gegenwärtigen Umgang mit Technologie und Technik bejaht, ein starkes Drittel eher skeptisch ist, und ein weiteres starkes Drittel die heutige Verfahrensart entschlossen und protestierend ablehnt.” Das sei bedenklich. Doch nicht genug damit: „Eine kleine Minderheit ist sogar gewaltbereit”, warnt Röglin.

Dunkle Wolken sieht der Wissenschaftler für die Wirtschaft aufziehen. Es gebe eine Mehrheitsverschiebung von „positiv” über „resi-gnativ” in Richtung „aggressiv”, sagte er. „Wir wissen nicht, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Regeln solche Gesellschaften wettbewerbsfähig sind.” Dieter Rrauer vom Chemiekonzern Hoechst legte das Problem anhand seines Arbeitgebers dar: „Wir produzieren in 150 Ländern und betreiben in 116 Ländern Forschung. Da herrscht ein großer interner Wettbewerb um neue Produkte. Neben harten zählen auch weiche Fakten wie die gesellschaftspolitische Stimmung und das Verhältnis zu Medien, Öffentlichkeit und Politik.”

Doch ganz so schlimm scheint die Sache trotzdem nicht zu sein. Röglin relativiert nämlich seine plakative These: „Themen wie Kriminalität mit 54 Prozent, Arbeitslosigkeit mit 25 Prozent, Umweltverschmutzung mit 24 Prozent oder Krieg mit zehn Prozent bestimmen die grundsätzlichen, wesentlichen Ängste. Genforschung oder chemische Industrie rangieren erst am unteren Ende der Skala.” Vor der Kernenergie fürchten sich sechs Prozent und Genforschung kämen mit einem Prozent der Nennungen fast nicht mehr vor.

Werde aber gezielt nach Ängsten vor negativen Auswirkungen von Technik gefragt, so sehe die Situation folgendermaßen aus: Vor Unfällen in Kernkraftwerken haben mit 48 Prozent Nennungen die meisten Menschen Angst, gefolgt von Emissionen der chemischen Werke mit 43 Prozent und Emissionen konventioneller Kraftwerke mit 34 Prozent. Vor Hochspannungsleitungen oder Funktelefonen hätten nur zwölf Prozent beziehungsweise neun Prozent der Bevölkerung Angst. Röglin folgert: „Technikangst wird erst aktuell, wenn ein konkretes Projekt vorhanden ist.”

Neu sind die Meldungen über Technikängste nicht. Einen Trend zur Technikfeindlichkeit sah Ende der siebziger Jahre bereits die Begründerin der Meinungsforschung in Deutschland, Elisabeth Noelle-Neu-mann. Bei der vom Allensbacher Institut für Demoskopie gestellten Frage „Glauben Sie, daß die Technik alles in allem eher ein Segen oder eher ein Fluch für die Menschheit ist” sahen 1966 noch 72 Prozent der Deutschen in der Technik einen Segen, zehn Jahre später, 1976, nur noch 56 Prozent.

Dieser Einbruch an Zuversicht in Errungenschaften der Technik erklären Ernst Kistler und Dieter Jauf-mann vom Internationalen Institut für Empirische Sozialökonmie in Stadtbergen so: Eine kleine Änderung der Mittelkategorie hat zu einem anderen Antwortverhalten geführt. Die 1966 angebotene Mittelkategorie „weder-noch” führte zur „forcierten Entscheidung” sodaß Zauderer eher mit „Segen” antworteten. 1976 lautet die Mittelkategorie „teils-teils”, die auch prompt von differenzierenderen Menschen gewählt wurde. Bei einer Testumfrage stuften 56 Prozent der Befragten, die als Mittelkategorie „weder-noch” vorgelegt bekamen, die Technik als „Segen” ein, während jene, denen „teils-teils” angeboten wurde, nur noch zu 44 Prozent die Technik als „Segen” einstuften.

Es kommt also ganz auf die Fragestellung an, und Noelle-Neu-manns Erkenntnis in ihrer Dissertation aus dem Jahre 1949 bestätigt sich auch heute noch: „Die Möglichkeiten, die Exaktheit der Resultate von Massenbefragungen nachzuprüfen, stehen leider in einem umgekehrten Verhältnis zu dem großen Interesse, das ihnen entgegengebracht wird.”

Jaufmann und Kistler beklagen: „Leider ist« es im Umgang mit der Meinungsforschung gemeinhin üblich, sich auf eben nur eine Umfrage oder - seltener - eine Zeitreihe zu verlassen.” Seit zehn Jahren werten sie Meinungsumfragen aus aller Welt aus. Sie stellen für die Jahre ab 1982 insgesamt einen Trend zu positiverer Technikbeurteilung fest. Die Mehrheit der Bevölkerung assoziere mit den Begriffen „Technik” und „Fortschritt” nach wie vor „Maschinen/Roboter” und „Arbeitserleichterung”. Neueren Umfragen zufolge schwanke die Zustimmung zur

Technik. Vor allem die positive Einschätzung von Computern lasse nach. Bilanzurteile wie die berühmte „Segen-Fluch”-Frage von Noelle-Neumann seien, so Kistler, nicht so schlecht, wenn sie bloß korrekt gehandhabt werden.

Auch in den sehr seltenen Umfragen in Österreich zum Thema Technikeinstellung ist keine zunehmende Ablehnung der Technik feststellbar. Vielmehr wird, da immer mehr Menschen schon positive wie auch negative Erfahrungen mit Technik machen, eine differenziertere Einstellung an den Tag gelegt. Die etwa alle drei Jahre vom Meinungsforschungsinstitut Dr. Fessel + GfK durchgeführte Umfrage zum „Wirtschaftsklima” ist die einzige Zeitreihenuntersuchung, die überhaupt Fragen zur Technikeinstellung erfaßt.

Verringert hat sich derzufolge lediglich die Zahl der „Technikgläubigen”. Nach einem Hoch im Jahre 1985 mit 53 Prozent glaubten 1993 nur mehr 43 Prozent, daß Wissenschaft und Technik, richtig angewandt, alle Probleme lösen könnten. Die technikeuphorische Behauptung „Durch den Fortschritt von Wissenschaft und Technik entsteht ein neuer Mensch, der die Natur voll zu meistern versteht”, wird nur noch von 22 Prozent der Befragten geglaubt, 1982 stimmten dem immerhin noch 29 Prozent der Befragten zu. Daß der Mensch mit Technik und Wissenschaft nicht über die Natur siegen könne, wurde schon 1982 von 79 Prozent bejaht, 1993 waren es etwas mehr, nämlich 86 Prozent. Auf der anderen Seite finden überspitzte, pauschal die Technik ablehnende Sätze immer weniger Zustimmung. Daß der Mensch nicht Herr, sondern Sklave der Maschine ist, fanden 1982 59 Prozent der Befragten, 1993 aber nur noch 54 Prozent. Bei der Abwägung von Schaden und Nutzen der Technik, sind jene, die mehr Nutzen sehen, nach einem Tal in den Jahren 1985 und 1989, wieder in der Mehrheit.

Erstaunlich konstant bis leicht steigend werden die positiven Funktionen der Technik gesehen.

Sie werden im Zusammenhang mit Arbeitserleichterung, wirtschaftlichen Erfolg und immer noch als Mittel, Wohlstand für alle zu schaff fen, gesehen.

Von Technikmüdigkeit kann also-keine Rede sein. Dieter Jaufmann und Ernst Kistler können zwischen den europäischen Staaten kaum Unterschiede festgestellen. In Japan herrsche gar eine skeptischere Einstellung zur Technik, behaupten sie. Allerdings stellen die beiden Forscher fest, daß trotz gleichbleibender Zustimmung zu Technik allgemein, die Großtechnologien zunehmend auf Akzeptanzprobleme stoßen. Und genau diese Bereiche wurden in der Studie von Hans-Christian Röglin im Auftrag von angefeindeten Groß-firmen untersucht. Daß die tagesaktuelle Presse bei Erscheinen derartiger rudimentärer Studien das Klagelied von der gefährdeten Wettbewerbsfähigkeit „unserer Wirtschaft” anstimmt, ist das demnach vorschnelle Effekthascherei?

Auf Nachfrage erklärt Röglin gegenüber der furche, daß er seine Studie eher als Diskussionsbeitrag sehe. Die konventionelle Öffentlichkeitsarbeit greife oft zu kurz. Statt nur beschwichtigende Werbebotschaften zu zerstreuen, sollten vielmehr bereits im Planungsprozeß die betroffenen Bürger von der Wirtschaft informiert und Ängste ernst genommen werden. (Der Zweckpessimismus sollte wohl eher zur Ankurbelung von Beratungsdiensten dienen.)

Walter Sattlberger vom Wirtschaftsforum der Führurigskräfte vermißt eine institutionelle Einrichtung, die schon im Vorfeld von großen Projekten Kommunikationsarbeit leistet. „Von einer Technikfolgenabschätzung sind wir noch ganz weit entfernt”, sieht er noch viel Aufholarbeit in Österreich. Ernst Kistler kommentiert das alle Jahre wieder ertönende Gejammer von der Technikfeindlichkeit so: „Es soll wohl auch von Versäumnissen bei Wirtschaft und Politik ablenken.”

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