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Das große Unbehagen mit der Technik

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DAS FEUER DES HERAKLIT. Von Erwin Chargaff. Klett Cotta Verlag, Stuttgart 1979, 290 Seiten, öS 234,-

as Unbehagen war auf beiden Seiten deutlich - das Unbehagen der einen an einer Entwicklung der Technik, die dem Menschen über den Kopf zu wachsen droht, und das Unbehagen der ändern, daß die Gegenkräfte die Entwicklung der Technik und damit des gesellschaftlichen Fortschritts gefährden könnten.

„Ist die Technik eine Gefahr - oder ist sie gefährdet?“ lautete die Frage, über die ein halbes Dutzend Techniker, Naturwissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten dieser Tage in der Berliner Kongreßhalle diskutierten, als die deutsche „Technisch-Literarische Gesellschaft“ ihren fünfzigjährigen Bestand feierte. Die

Fronten der Skeptiker und der Technik-Gläubigen standen einander schroff gegenüber. Auch wenn man sich zum Schluß darüber einig war, daß es heute mehr denn je auf die ethische Dimension ankomme, schienen die Standpunkte im Detail doch so unvereinbar wie am Beginn der Diskussion.

Das Unbehagen vor der Kernenergie, vor der Genforschung, vor der Großforschung im allgemeinen klang durch, als der Hamburger Wissenschaftsjouma- list Klaus Traube von der „neuen historischen Dimension“ sprach, die die moderne Technik eröffne. Kann die Gesellschaft überleben, wenn sie keine Regelungsmechanismen entwickelt und die Forschung wild weiterwuchem läßt? Das aber sei eine politische Aufgabe.

Das Unbehagen vor der Emotionalisierung wurde deutlich, als Prof. Rudolf Schulten von der Technischen Universität Aachen meinte, die Gefährdung werde dämonisiert, da der Nutzen der Großtechnik für den Konsumenten nur abstrakt faßbar sei. Der Wissenschaftler müsse sich mehr bemü-, hen, seine Probleme anschaulicher darzustellen, Verständnis zu erwecken, das Vertrauen der Menschen wiederzugewinnen.

Schulten meinte, seit 100 Jahren habe die Technik den Menschen fast nur Gutes beschert - und mußte sich Vorhalten lassen, daß jeder zweite Techniker heute in der Rüstung arbeite und aus dieser die wesentlichen Impulse für die Weiterentwicklung kämen. Auch der Schweizer Profes-

sor Robert Schnörr, Mitarbeiter von Brown-Boveri, vertrat leidenschaftlich die Ansicht, nicht die Technik bringe die Gefahr, sondern ihr Mißbrauch.

Trotzdem: es gebe heute technische Entwicklungen, die auf dem Weg sind, unsere natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen anzutasten, warf Frank Haenschke, Chemiker an einer Fachhochschule und ehemaliger Bundestagsabgeordneter, ein: Die Größenordnungen der technischen Forschung haben globale Aspekte angenommen und müssen deswegen auch global betrachtet werden. Gerade hier hakte wieder Prof. Schnörr ein: Wohlstand sei abhängig von Energie, meinte er, und deswegen können wir nicht auch auf Energie verzichten, solange die Mehrheit der Menschen zu wenig davon hat. Die Alternativen lösten das Problem nicht.

Wie soll man aus dem Dilemma herauskommen? Haenschke mahnte zu mehr Gelassenheit, warnte vor der Emotionalisierung. Einheitlich war die Forderung nach besserer Information, nach dem Bemühen mitzuhelfen, daß mehr Menschen die Technik etwas besser verstehen lernen. Schnörr traf sich mit seinem Gegenredner Traube in der Forderung, die Wertmaßstäbe müßten wiedergefunden werden, sittliche Reife sei notwendig. Der Schweizer ließ auch die hoffnungsvolle Bemerkung fallen, man sollte sich bemühen, die technischnaturwissenschaftlichen Erkenntnisse wieder mit den geisteswissenschaftlichen in Einklang zu bringen.

Und hier war der Punkt, der beim ausländischen Beobachter Unbehagen offen ließ: Das war der einzige Moment im Rahmen der dreitägigen Jubiläumsfeierlichkeiten, in dem die „humanities“ überhaupt erwähnt iwurden. Wohl wurde die „Technisch-Literarische Gesellschaft“ vor einem halben Jahrhundert gegründet, um eine bessere Berichterstattung über Technik und Naturwissenschaften in den deutschen Medien zu erreichen. Aber auch heute noch vertreten die Mitglieder - fast ausschließlich naturwissenschaftliche Disziplinen.

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