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Der Mensch in der technisierten Welt

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„Das Ziel muß man früher kennen als die Bahn“, schreibt Jean Paul in seiner Erziehungslehre. Damals, um 1800, war man weder über das Ziel noch über die Bahn in Zweifel. Durch den Einbruch des Technischen in das Gesamtleben des Menschen ist es seitdem notwendig geworden, sowohl das Erziehungsziel neu anzuvisieren als auch die Bahn neu festzulegen, auf dem es erreicht werden soll. Dabei können wir dieses Ziel gar nicht mehr selbst bestimmen. Es ist da, und wir müssen es nur noch erkennen. Oder, wie Georg Jünger es ausdrückt, der planetarische Arbeitsplan kann von Wissenschaftlern und Technikern weder gesteuert noch aufgehalten werden. Denn er läuft einfach ab. Vor der Gewalt dieser Tatsache sind auch die Stimmen gegen die Technik leiser und auch seltener geworden.

Dies konnte auf der vorjährigen vierzehnten Werktagung des Instituts für Vergleichende Erziehungswissenschaften in Salzburg festgestellt werden, wo keiner der elf Redner sich als ausgesprochener Technikgegner erwies. In seinem Einführungsvortrag beschreibt der Herausgeber der gesammelten Reden, Leopold Prohaska, den dort herrschenden Tenor in den Sätzen: „Wir müssen das Menschliche retten im Technischen. Und dazu wird es notwendig sein, daß wir das Technische bejahen.“ Und er gibt seiner Hoffnung Ausdruck: „Aus dieser Bejahung der Technik heraus jenes Nein zu finden, das den nötigen Abstand hält, um das Menschliche nicht von der Technik überwältigen zu lassen, und die Technik in den Dienst des Menschen zu stellen.“ Daher sei das Gebot der Stunde: Komm zu dir selber! Durch „einstimmende Grundübungen“ wurde auf der Tagung versucht, diesem Gebot nachzukommen. Darunter ist ein Bewußtmachen der Lebensfunktionen, wie des Atmens oder des Nachdenkens zu verstehen.

Dazu ist zu sagen: Der Wert solcher Meditationen kann nicht überschätzt werden, doch wenn, im Sinne Ferdinand Ebners, jeder Traum vom Geiste als unsachlicher Intellektualismus zu verwerfen sein soll, dann scheinen die Gegengewichte gegen die Technik zu schwer zu werden. Muß unsere Zeit nicht froh sein, wenn wenigstens auch alle Formen des Traumes vom Geist weiter geträumt werden? Es dürften übrigens nicht wenige sein, die bei solchen Versuchen, zur Transzendenz vorzudringen, wieder auf einen Traum vom Geist stoßen, ohne sich dessen bewußt zu werden.

Imponierend die Zahlen- und Namenreihen, in denen Dr. Kolb die Sachdichte der Technik vorstellte, welche den polytechnischen Lehrgang des neuen Schulgesetzes anbefiehlt.

Die „Grenzen und Gefahren der technischen Entwicklung“ lassen Georg Jünger auf die Sprache als das Humanum hinweisen, auf dem alle Unterrichtung beruht. Im Begriff des Humanen aber liege Schonung. Der Automatismus stehe dazu im Gegensatz. Der Pädagoge dürfe sich nicht als Angestellter eines technischen Planes betrachten, weil er sonst seine Aufgabe verfehle.

Nach Hans Asperger („Das Leibesbewußtsein des Menschen in der technischen Welt“) ist der moderne

Mensch in seinem Leib nicht mehr zu Hause. Ekel und Langweile sei darum das Grundgefühl unserer Zeit des Wohlstandes und der Arbeitserleichterung. Denn der Körper, der nicht mehr beansprucht wird, werde dadurch schwächer. Die Folgen sind Kreislaufstörungen und Nervenschäden. Da es ein „Heraus aus der Technik“ nicht gibt, empfiehlt er die rechte Auswahl aus dem, was die moderne Technik anpreist. Zu einem ähnlichen Schluß kommt auch Karl Wolf, der in seinem Vortrag „Macht heute und ihre erzieherische Bewältigung“ die Ansicht äußert, der Mensch, dessen Los es ist, in einer Mischung von Herrentum und Dienst zu leben, habe auch gegenüber der Technik nur mit partiellem Gehorsam zu reagieren.

Der einzigen weiblichen Vortragenden, Elisabeth Gößmann, erscheint die Technik am wenigsten fremd und gefährlich. Vielleicht kommt dieser Eindruck daher, daß in ihrem Referat „Frau und Technik“ hauptsächlich von der Haushaltstechnik die Rede ist, wo schon eine richtige Eingewöhnung festgestellt werden kann. Vielleicht aber läßt sich überhaupt eine Erfahrung, die man im Krieg gemacht hat, auf die Technik übertragen: Je weiter weg von der Front einer ist, desto gefährlicher erscheint sie ihm. Frau Gößmann sucht die Schwierigkeiten, die neue technische Welt in unser Menschenbild aufzunehmen, durch den Umstand zu erklären, daß das Christentum bei ihrer Grundlegung zuwenig mitgewirkt habe. Doch die Technik könne gar nichts Menschenfremdes sein. Sie sieht durch die Technik und durch Erleichterungen durch die Schule eine Möglichkeit für ein neues Familienleben gegeben. Die Technik sei ein Bewäh-rungsfeld für den Menschen wie jedes frühere. Wir dürften nur nicht glauben, sie könne uns von den Leiden erlösen.

Eine Auseinandersetzung mit dem Geist der Erziehung im kommunistischen Lager stellt Gerhard Möbus' Vortrag: „Der sozialistische Humanismus und das Prinzip der polytechnischen Bildung“ dar. Letzter Maßstab für die sittliche Erziehung in der DDR sei die erfolgreiche Durchsetzung des Kommunismus. Eine solche Haltung, die den zur Erreichung dieses Zieles geschürten Haß gegen Andersdenkende in Sittlichkeit umdeutet, sei strikte abzulehnen.

In „Gegenwart und Gegenwärti-gung“ fragt Wilhelm Heinen: „Wie ist menschlich-christliches Leben möglich in einer technisierten Welt?“ Denn ein solches Leben erfordert die dem heutigen konzentrationsfähigen Menschen fremde Fähigkeit, sich zu sammeln. Einst war diese dem Menschen durch Seuchen und Kriege aufgezwungen worden. Die Fortnahme solcher äußerer Antriebe zur Sammlung haben ihn heute zum erstenmal sich selbst in seinem Dasein und Werden zur dringendsten Frage werden lassen, mit der er fertig werden müsse.

Im Gegensatz zur vergangenen „skeptischen“ Generation nennt Friedrich Dietl („Erzieherausbildung unter den Anforderungen der Technik“) die heutige, die „schweigsame“, die in Ruhe gelassen werden will. Man müsse versuchen, mit ihr ins Gespräch zu kommen, ihren Bezug zur Lebenswirklichkeit zu sichern.

Schließlich stellte Leopold Katt die heilende reinigende Wirkung der Musik durch „schöpferisches Musizieren“ (Titel seines Vortrages) der magischen, durch Technik hervorgerufenen Wirkung der Schlager gegenüber, die nicht gedichtet, komponiert und erfunden, sondern produziert werden und daher nicht jenen musischen Katalysatoren zuzurechnen seien, die erst das Zusammenschmelzen der Bildungskräfte ermöglichen.

Den Abschluß bildete Franz Zöch-bauers interessanter Vortrag über „Fernseherziehung“, der auf die Eigenart, auf gute und schlechte Auswirkungen und auf den Gebrauch des Fernsehens durch den Pädagogen einging. Nicht aufgenommen wurden zwei, im Vorwort angekündigte, in die pädagogische Praxis einführende Werkkreise: von Ernst Bornemann („Berufswahl — Bildung“) und von Wilhelm Gößmann („Technik im Spiegel der Sprache und Literatur“). Die in dem Band enthaltene Fülle aktuellster Probleme und ihr Vortrag durch eine

Pädagogenelite aus echter Sorge um den Menschen in einer durch die Technik sich selbst zum Problem gewordenen Zeit, müßte imstande sein, genug Interessenten zu werben, um in Zukunft die Opferbereitschaft der Wohltäter, allen voran des österreichischen Bundesverlages, nicht zu überfordern.

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