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Seele im Bannkreis der Technik

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Nennt man das 20. Jahrhundert „das Jahrhundert der Technik“, so muß man sich vergegenwärtigen, wie grundlegend sich durch die Technisierung des Lebens die Zustände der Menschheit in wenigen Generationen geändert haben, wobei es nicht nur gilt, die materiellen Veränderungen in unserem Dasein, die Machtmittel der Zerstörung, die uns die technischen Errungenschaften bieten, oder die durch die „tedinische Wanderung“ der Landbevölkerung in die Stadt verursachten soziologischen • Umschichtungen vor Augen zu haben, sondern vor allem die geistigen und seelischen Wirkungen, die der Lebens- und Denkraum der Technik ausstrahlt. Der Prozeß der Technisierung, der im Hinblick auf die zu erwartenden Auswirkungen der Atomforschung immer noch als in raschem Fortschreiten befindlich betrachtet werden muß, kann weder hinwegdisputiert noch rückgängig gemacht werden. Aus der schmerzlichen Tatsache jedoch, daß die Kultur mit der technischen Entwicklung nicht Schritt halten konnte, erwächst unserem Jahrhundert die brennende Aufgabe, auch in einer von der Technik fast völlig durchdrungenen Welt die Seele zu bewahren. Welche Hindernisse stellen sich der Bewältigung dieses geschichtlichen Auftrags bisher entgegen?

Eine neue Gesellschaftsschichte wuchs heran, die in vielen Staaten bereits sechzig bis siebzig Prozent der erwerbstätigen Männer umfaßt und bald achtzig Prozent und mehr betragen wird: das ständig anwachsende Heer der Naturwissenschaftler und Techniker. Die alte Gesellschaftsschichte der Geisteswissenschaftler aber, die sich zum größten Teil immer noch als alleinigen Vertreter der abendländischen Kultur fühlt, ist in Gefahr,

den Anschluß an die Gesellschaft von morgen zu verlieren. Ein unüberbrückbarer Abgrund will sich zwischen beiden Welten auftun:

„Während wir, Träger humanistischer Tradition. nach außen verschlossen, bei uns beharren, nur uns kennen und wichtig nehmen, werden wir dahinschwinden — das ist bereits im Vollzug! Als kurzsichtige Verwalter des Geistesgutes, der Früchte vergangener Mühen, werden wir die Verantwortung tragen, wenn so vieles zusammenstürzt und in unendlichem Leid von neuem erarbeitet werden muß, was wir in der rechten, zeitgemäßen Weise herzugeben, auszuteilen versäumten. Geistige Güter sind für alle da. Ihr Wunder ist, daß sie sich mehren, wenn man sie spendet. Die Technik wuchs, während sie alles gab, was sie hervorbrachte. Sie wuchs, weil sie es tat. Mit den Gaben erstarken die Geber .

Friedrich Dessauer stellte sein Lebenswerk von Anfang an in den Dienst der Aufgabe, die tiefe Kluft zwischen Geisteswissenschaftler und Techniker zu überbrücken. Zwei Jahrzehnte lebte er als Techniker unter Technikern, war an der Werkbank, im Prüfstand, im Konstruktionssaal. Die geringe Achtung, die man idem Technikerstand entgegenbrachte, veranlaßte seine ersten Aufsätze im „Hochland“, der von Karl Muth seit 1903 in München herausgegebenen Kulturzeitschrift, die sich die Synthese katholischen Gedankengutes mit dem modernen Geist der Zeit zum Ziel setzte. In diesen Aufsätzen erörterte Dessauer als einer der ersten die Möglichkeiten einer technischen Kultur. Weiteren Kreisen wurde der Bück für diese Probleme ja erst nach dem ersten

Hornstein Dessauer: „Seele im Bannkreis der Technik“, Verlag Otto Walter AG, Olten 1945. Weltkrieg geöffnet; wir erinnern nur an die Vortragsserie „Kultur und Technik“, die 1932 von der Studentenschaft der Technischen Hochschule Wiens veranstaltet wurde. Die Ergebnisse seiner erkenntnistheoretischen Ergründung des technischen Lebensraumes legte Dessauer vor mehr als zwanzig Jahren in «einer „Philosophie der Technik" nieder. Die Mahnrufe des neuen Gemeinschaftswerkes mit Hornstein dürfen nicht überhört, die Brüche, die er schlägt, verdient vertrauensvoll begangen zu werden. Ohne der Meinung zu sein, daß es bezüglich der hier behandelten Probleme keiner eindringlichen Mahnung mehr bedürfe, erachten wir die Bedeutung dieses Buches vor allem in der Aufzeigung der seelischen und geistigen Werte der Technik. Denn die vom Menschengeist ersonnenen und geformten technischen Gegenstände sind keine „tote“ Materie. Technik ist „Einzug, des Geistes, ja der Seele in die Materie“. Und gerade diese „Durch- geistigung ist es, aus der das Erlebnis der Schönheit des Technischen entzündet wird“. Und ist die Technik wirklich so fern der Ethik, wie allgemein angenommen wird?

„Die Technik als Welterscheinung sehen und sie .als ethisch indifferent bezeichnen, entspricht der Denkungsart, die Geschichte des Menschengeschlechtes selbst als sinnlos anzusehen …. Gesetzbuch, Strafbestimmung, Gefängnis, Gerichtssitzung, Saft eines Heilkrautes sind äußere Mittel. Sie lassen sich zu vielerlei gebrauchen: zu reinem Machtstreben, zur Unterdrückung, zum Verbrechen. Sie sind ebenso wie technische Mittel millionenmal mißbraucht worden im Raum der menschlichen Handlungsfreiheit. Und dennoch gehören sie fundamental Sachgebieten an, deren Wesen ohne Ethik nicht besteht… Die Idee der Technik..i ist die Emanzipation des Menschen und seines Geschlechts aus der vegetabilen und animalischen Gebundenheit und Abhängigkeit, das Vordringen zum Geiste hin.“

Technik ist „Dienstwerk am Bruder Unbekannt", sie kann und soll ein Werk der Nächstenliebe sein; dies ist ihr ethischer Auftrag. Die Techniker aber sind „unbekannte Helden, in Verborgenheit Dienende, in Dunkelheit Opfernde, Vergessene, Verkannte", die nach göttlichem Plane die Menschheit bewegen. Von hier, wo in tieferem Sinne der Mensch wohnt, von der geistigen Heimat seines Berufes her charakterisiert Dessauer die Seele, die im Bannkreis der Technik steht. Ausgehend von der Spannung zwischen Mensch, Werkzeug und technischem Gegenstand, sieht er das Schaffen des Technikers als eine Doppelwirkung von Ge.ist und Werkstück, denn einerseits erweist sich die Endform des Gegenstandes von Willen, Wissen und Planung, also vom Geiste vörgeformt, ehe der Mensch an die bearbeitende Formung schreitet, andererseits hat das Werkstück bereits den Geist des Menschen geformt, bevor es seiner Bestimmung zuformen konnte. Die geistige Leistung des Technikers, aber auch die Prägung seiner Seele durch die Technik vollzieht sich in Konzentration, Selbstzucht, Ausdauer, Sorgsamkeit, Geduld, Zähigkeit, Schweigsamkeit, Beobachtungsschärfe, Behendigkeit, Gewissenhaftigkeit und dienender Hingabe an das Werk wie an den „Bruder Unbekannt“. Das auf die Naturgesetzlichkeit sich gründende und stets nur auf das Realisierbare zielende Wesen der Technik prägt einen Menschentyp voll Sicherheit und Zuversicht, Planung und Ordnung, bewußt des eigenen Wertes, aber auch der gesellschaftlichen und religiösen Isolierung.

„Jeder muß seines Bruders Hüter sein!“

Mit diesen Worten rollt Dessauer das auch heute wieder so aktuelle Problem der Arbeiterseelsorge auf. Ein Techniker, der um die Seelennöte dieses Standes weiß, zeigt hier dem Seelsorger, wie er den Zugang zur Welt des Technikers zu suchen habe. Vom Standpunkt des Theologen aus übernimmt nun X. von Hornstein, der durch fast 25 Jahre als Seelsorger im Industriebezirk Basel tätig war, dieses Thema, indem er vom gottgewollten Sinn der Technik ausgeht und schließlich die Möglichkeiten erwägt, unter denen auch der Techniker den Weg zum Heil, zur Heiligkeit finden könne. Hornstein zitiert das Wort Michelangelos: „Nichts bringt Gott so nahe wie das Bestreben, ein vollkommenes Werk zu gestalten; denn Gott ist die Heiligkeit." Geführt von der Bru-a derhand des Seelsorger«, der den Zugang zum Innern des Technikers gefunden hat, muß sich dieser zum Wahlspruch der Templer durchringen: „Ora laborans“ — Arbeit in Gebetshaltung:

„Dieses Ora laborans sollte die Kultur des Abendlandes formen, dann bliebe sie gesund und schöpferisch, solange sie aul ihm ruhte. Denn es wird dem ganzen Menschen gerecht, dem Menschen aus Leib und Seele, Körper und Geist, dem Geschöpf Gottes und dem

Herrn der Erde, und es fällt der Urfluch auf sie, der endlich den Menschen durch seiner eigenen Hände Arbeit zu zerstören droht. Nur die Heiligung der Arbeit kann dem Menschen seine Würde wiedergeben, wird den Arbeiter zur vollen Menschenwürde erheben und das Leben wieder lebenswert machen.“

Man sagt nichts Neues, wenn man im Hinblick auf die Atomforschung behauptet, daß die Menschheit mehr denn je an einem Scheidewege angelangt ist, wo sie endgültig zu wählen hat zwischen dem folgenschwersten Mißbrauch der technischen Güter und den segensreichen Wirkungen, die denselben entsprießen können. In einem solchen Zeitpunkt haben Bücher wie das hier besprochene eine nicht gering zu schätzende Mission zu erfüllen. Diese Mission aber kann nur dann von Erfolg begleitet sein, wenn auch jene, die noch außerhalb der technischen Berufe stehen, die Güter der Technik nicht nur gedankenlos gebrauchen, sondern auch den Zugang zum Techniker finden, um dem durch die Einseitigkeit seines Berufes Gefährdeten Jene Kulturgüter zuzutragen, deren er bedarf, soll die Säkularisation der Technik nicht im verzweifelten Nihilismus einer entgotteten Menschheit münden.

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