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Philosophicum für Techniker?

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Es zieht sie in die Berge, die großen Geister unserer Tage. Hat das Tiroler Bergdorf Alpbach hier bereits Tradition, so war heuer erstmals auch Lech am Arlberg Ort der Begegnung für Wissenschaftler, Repräsentanten aus Industrie und Wirtschaft und Studenten aus dem In- und Ausland.

Die Wiener Technische Universität und das Wiener Interdisziplinäre Forschungszentrum „Technik - Naturwissenschaft-Gesellschaft" (I FZ) zeichneten für das Symposium „Technik und Gesellschaft" (24.-30. August 1980) verantwortlich, das wohl nicht zufällig eine ähnliche Thematik wie das diesjährige Alpbacher Forum („Konsequenzen des Fortschritts") behandelte. Das Thema liegt gleichsam in der Luft, in der bleigeschwängerten Luft in Städten und an Hauptverkehrsstraßen wahrscheinlich noch deutlicher als in der Bergluft der Veranstaltungsorte.

Das Unbehagen breiter Bevölkerungskreise gegenüber der Entwicklung der Naturwissenschaften, der Technik, der Technologie ist greifbar. Immer mehr Leute gelangen zu der Erkenntnis, daß technischer Fortschritt nicht mehr mit gesellschaftlichem Fortschritt gleichgesetzt werden kann, daß jede technische Neuerung ihren Preis hat und es bei manchen Neuerungen immer zweifelhafter wird, ob sie diesen Preis wert sind.

Daß die Naturwissenschaftler und Techniker selbst sich dieser Probleme zunehmend bewußt werden, ist erfreulich und spricht für sie, obwohl dieser Prozeß ruhig etwas früher hätte einsetzen können.

In Lech widmeten sich der Thematik „Innovationen und gesellschaftliche Implikationen der technischen Entwicklung" folgende Arbeitskreise:

„Entwicklung der Halbleitertechnik" (Leitung: Ernst Braun, Birmingham), „Faktoren der Innovation im Bereich der Biotechnologie" (Klaus Buchholz, Frankfurt), „Problematik des technischen Sachzwangs" (Rudolf Burger, Wien), „Gesellschaftliche Implikation der Biotechnologie" (Jobst Conrad, Frankfurt), „Implikationen der Gen-Technologie" (Günther Kreil, Salzburg), „Computerisierung des Alltagslebens - Gesellschaftliche Folgen und Chancen" (Norbert R. Müller, Berlin), „Technische Innovationen aus (wissenschafts-)soziologischer Perspektive" (Helga Nowotny, Wien),„Mikroelektronik - Innovationsstrategien" (Alfred Prommer, München), „Computer bei der Arbeit" (Felix Ritter, Zürich) und „Sozialrelevante Anwendungen der Biochemie" (Hans Tuppy, Wien). Darüber hinaus gab es Vorführungen und Arbeitskreise zur Thematik „Technik und Kunst".

Aus diesem reichen Spektrum hat sich der TV-Club-2 bereits des sensationsträchtigen Themas „Gen-Technologie" angenommen. Vorläufig mehr in den Alltag des Menschen spielen allerdings andere in Lech behandelte Gebiete hinein.

So erkannte man etwa in der Arbeitsgruppe „Gesellschaftliche Auswirkungen der Computertechnologie" folgende negative Effekte:

•nbsp;Die Bevölkerung wird über die Technologie und ihre Folgen, wenn überhaupt, nur einseitig informiert.

•nbsp;Computer führen zu einer zunehmenden Verarmung zwischenmenschlicher Beziehungen: Der Mensch wird zur Marionette am „Informations"-draht.

•nbsp;Die Überwachung bei der Arbeit und in der Freizeit nimmt zu und wird für die Betroffenen undurchschaubar.

•nbsp;Computer werden überall dort eingesetzt, wo es technisch machbar ist und Profit verspricht. Die Frage nach gesellschaftlich-menschlichem Nutzen/Sinn wird nicht gestellt.

•nbsp;Die Auswirkungen der Computertechnologie werden im Studium nicht nur nicht behandelt, sondern bewußt unterdrückt.

Der Arbeitskreis schließt: „Wenn eine humane Gesellschaft erreicht werden soll - und keine Computergesellschaft, dann müssen in Lehre und Forschung die Auswirkungen behandelt und Konsequenzen gezogen werden, dann muß das Studium in Disziplin übergreifenden Projekten ablaufen, dann müssen die Wissenschaftler der verschiedensten Bereiche eine gemeinsame Sprache finden, dann muß die industrielle Verwertungspraxis beschnitten werden, dann muß ein ständiger Dialog mit den Bürgern stattfinden."

Hier und in anderen Abschlußberichten ist die Einsicht vorhanden, daß Naturwissenschaft und Technik (noch) mehr Rücksicht auf die Bedürfnisse der Gesellschaft nehmen müssen. Trotzdem wäre es völlig verfehlt zu glauben, daß Naturwissenschaftler bisher nur gedankenlose Umweltverschmutzer, Wegrationalisierer von Arbeitsplätzen und Züchter von Frankenstein-Monstern waren.

Interessant die Stellungnahme der teilnehmenden Studenten: „Wir fordern, daß Technik aus den Bedürfnissen der Menschen entsteht, nicht umgekehrt. Wir wünschen uns eine Ausbildung, bei der in verantwortungsvoller Weise auf diese Probleme eingegangen wird. Daher erwarten wir uns als Ergebnis dieses Symposiums:

Ein Institut, Lehrkanzel oder Gastprofessor, die sich mit Soziologie der Technik beschäftigt, wobei die gesamte universitäre Öffentlichkeit an der Bestellung mitentscheidet.

Lehrveranstaltungen auf dem Gebiet der Philosophie und Soziologie der Technik, die in den Wahlfachkatalog der Studienpläne aufgenommen werden.

Alle Lehrenden der Technischen Universität sollen in ihrer Verantwortlichkeit gemeinsam mit den Studierenden an diesen Problemen arbeiten und sie nicht nur Spezialisten überlassen."

Ein Philosophicum oder Sociologi-cum für Techniker? Ist es nicht eine Ironie des Schicksals, daß das an der Universität gar nicht geschätzte Philosophicum nun - auf Antrag der Studenten! - an der Technik Auferstehung feiern soll?

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