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Medien und neues Ethos

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Das Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen - unlängst zu Gast bei Papst Johannes Paul II. in Castel Gandolfo (FURCHE Nr. 35 und 36/ 1983) - griff nun in Wien das Thema „Vernunft und soziale Verständigung“ auf. Tagungsleiter waren Hans-Georg Gadamer und Charles Taylor.

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Das Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen - unlängst zu Gast bei Papst Johannes Paul II. in Castel Gandolfo (FURCHE Nr. 35 und 36/ 1983) - griff nun in Wien das Thema „Vernunft und soziale Verständigung“ auf. Tagungsleiter waren Hans-Georg Gadamer und Charles Taylor.

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Daß sich unser Zeitalter nachgerade durch Besessenheit von Kommunikation und Medien auszeichnet, ist nichts Neues. Noch nie gab es so viele Theorien, Systeme und Strategien der Kommunikation wie in unseren Tagen. Noch nie gab es aber auch weniger tatsächliche Verständigung.

„Vernunft und soziale Verständigung“, war auch das anspruchsvolle Thema eines Symposions, das vom „Institut für die Wissenschaften vom Menschen“ im September in Wien veranstaltet wurde.

Vor Kommunikationsvöllerei und Kommunikationseuphorie, deren Ideal es sei, über alles und jedes mit allen und jedem zu reden, warnte denn auch Odo Mar- quard aus Gießen, der anläßlich des Problems der interdisziplinären Zusammenarbeit der Wissen-

schäften jeden Verständigungsperfektionismus zugunsten eines „glücklichen Babel“ zurückwies.

Freilich bedurfte es gerade bei dieser Veranstaltung kaum dieser Warnung, obwohl Philosophen und Wissenschaftler verschiedenster Ausrichtungen zusammengekommen waren. Eine phänomenologische Grundorientierung verband sie alle: das Bemühen, in unserer durch Technik und Wissenschaft, durch Machtkonzentration und gesellschaftliche Mechanismen geprägten Welt wiederum nach Orientierungsmöglichkeiten und Hilfen für unser Handeln zu suchen.

Der Begriff der Lebenswelt, vom Begründer der Phänomenologie, Edmund Husserl, geprägt, vermag dabei in mannigfacher Art und Weise fruchtbar zu werden. Um ihn ging es auch in den Darlegungen von Krzysztof Mi- chalski (Warschau/Wien), dem derzeitigen Leiter des Institutes, Klaus Nellen (Wien) und Bernhard Waldenfels (Bochum).

Die Frage nach einer philosophischen Fundierung der Sozialwissenschaften stand in den Ausführungen von Ilja Srubar (Konstanz), Dorota Lachowska (Warschau/Wien) und Ernst-Wolfgang Orth (Trier) im Mittelpunkt. Vor allem Orth verwies auf die Unvermeidlichkeit, aber zugleich auch die Gefahren des Reduktionismus in den Sozialwissenschaften, deren Thema der Mensch bleibe, und scheute sich nicht, diesem die „Funktion“, die früher die Gottesbeweise eingenommen hätten, zuzuerkennen.

Während Louis Duprė (New Haven) in seiner Skizze der gegenwärtigen Kultur eher pessimistisch blieb, zeichnete Robert In-

nes (Lowell, USA) in einem erfrischenden Lehrstück angewandter phänomenologischer Methode Möglichkeiten und Gefahren der Technik auf bzw. deren eingreifendes Verändern unserer Wahrnehmungsstrukturen.

Wie sehr gerade im sozialen Bereich das Problem der Ethik wiederum akut geworden ist, ließ sich nicht allein aus dergroßen Anzahl einschlägiger Beiträge entnehmen. Daß zwischen unserer Lebenswelt und unserer technischwissenschaftlichen Zivilisationsstufe ein ambivalentes Verhältnis besteht, war gewissermaßen der Ausgangspunkt für den Entwurf einer Wirtschaftsethik durch Peter Koslowski (München).

‘ Peter Winch (London) versuchte mit gemäßigt sprachanalytisch ausgerichteten Mitteln das Problem des ethischen Relativismus in aller Schärfe zu stellen, um der Versuchung ethischer Neutralität zu entgehen.

Jozef Tischner (Krakau) schließlich gab in einem eindringlichen, aus der konkreten Realität polnischer Verhältnisse herrührenden Vortrag zu bedenken, daß jedes Ethos in einer Idee der Freiheit wurzeln müsse. Die Dreigestalt von Hoffnung, Freiheit und Opfer sei für jede Ethik, die sich auf gemeinschaftliches Handeln erstreckt, entscheidend. Entgegen positivistischen und normativen Theorien müsse man vom Inneren des sozialen Ethos ausgehen, das ursprünglicher sei als unser Wissen darum. In jedem Fall wären soziale Utopien einer Kritik durch Logik und Wirklichkeitssinn zu unterziehen.

Tischner gab auf die Frage nach dem Sinn unseres sozialen Dramas keine direkte Antwort, sondern ließ gerade die Frage nach dem ethischen Sinn des Opfers in eine weitere ausklingen: in die nach der Begründung, den Richtlinien und Maßstäben einer solchen Ethik, womit gleichsam das Generalthema der Tagung „Vernunft und soziale Verständigung“ um den Bereich der Hoffnung vermehrt wurde.

Gewiß waren bei dieser Tagung vornehmlich Philosophen am Werk. Aber dennoch zeigte sich deutlich, daß die Zeit empirisch gestützter oder rein pragmatisch orientierter Theorien der Sozialwissenschaft zumindest einer Ergänzung oder einer Rückbindung auf unsere Lebenswelt bedarf und daß dies nicht ohne ein neues Ethos geschehen wird können. In diesem aber geht es erneut um den Menschen und nicht bloß um die Wissenschaften von ihm.

Univ.-Prof. Peter Kampits (Universität Wien) hielt auf der genannten Tagung ein Referat zum Thema „Die Fundierung einer wissenschaftsimmanenten Moral in der Lebens- welt".

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