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Das Leben und die Welt als Ganzes zu sehen

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Zum neunten Mal veranstaltet der ORF, Landesstudio Salzburg, das Salzburger Humanismusgespräch. Die 1965 von Dr. Oskar Schatz begründeten Veranstaltungen wurden keineswegs ausschließlich in der Absicht ins Leben gerufen, das wissenschaftliche Programm des ORF „aufzubessern“ und durch eine solche Eigenveranstaltung einen stärkeren Einfluß auf die Programmgestaltung zu gewinnen. Vielmehr ging die Intention des Veranstalters von allem Anfang an dahin, mit dieser öffentlichen Gesprächsreihe in einer Zeit anwachsender Komplexität unserer Umwelt und unseres Wissens einen Beitrag zur geistigen Standortbestimmung und damit zur Orientierungshilfe zu leisten.

Interessanterweise stellte sich dabei heraus, daß mit diesem primär publizistischen Bedürfnis ein nicht weniger starkes Bedürfnis von Seiten der Wissenschafter und Intellektuellen korrespondierte, die gewiß notwendige und nicht mehr rückgängig zu machende Spezialisierung durch das gegenläufige Moment einer integralen Zusammenschau auszugleichen. Dieses Denken des Ganzen, in früheren Zeiten Monopol der Religion und der Philosophie, ist unter den heutigen Bedingungen - wenn überhaupt - nur auf dem Wege des interdisziplinären Dialogs realisierbar. Integralität und Interdisziplinarität, insbesondere im Sinne einer Kooperation zwischen den Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften sind, daher die beiden Hauptcharakteristika der „Salzburger Humanismusgespräche“.

Im Mittelpunkt dieser interdisziplinären Bemühungen stand und steht der Mensch. Mit seiner nicht auslotbaren Freiheit sowohl zürn Guten wie zum Bösen, und zwar in seinen biologisch-naturwissenschaftlichen, psychologischen und geschichtlich-gesellschaftlichen Aspekten, deren Integration in einer umfassenden philosophischen Anthropologie immer neu zu leisten ist.

Die „Salzburger Humanismusgespräche“ sind keiner bestimmten Ideologie und Weltanschauung verpflichtet, stehen aber gleichwohl auf dem Boden der Grundwerte unserer westlichen Zivilisation, die von der griechisch-römischen Antike, der jüdisch-christlichen Tradition und vom neuzeitlichen Humanismus geprägt wurden. Die Verpflichtung gegenüber den geistigen Errungenschaften der Neuzeit schließt freilich nicht aus, daß diese Humanismusgespräche gegenüber manchen Erscheinungsformen der Moderne ausgesprochen kritisch sind. Zeit- und Kulturkritik ist daher ein weiteres wichtiges Charakteristikum dieser Veranstaltungsreihe, die daher keineswegs den Anspruch auf „Wertfreiheit“ oder „Wertneutralität“ erhebt, soweit es um die Würde und Freiheit des Menschen geht. Der Veranstalter hat sich redlich, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg, darum bemüht, den wechselnden Modeströmungen des Zeitgeistes nach Kräften zu widerstehen.

Immerhin konnte es nicht ausblei-'ben, daß diese Salzburger Humanismusgespräche auch die ideologischen Pendelschwingungen der letzten anderthalb Jahrzehnte widerspiegeln: die sozialkritisch-utopischen Tendenzen der späten sechziger Jahre ebenso wie die sich um 1970 herum abzeichnende „Tendenzwende“ und neuerdings das Erstarken eines ökologischen Bewußtseins. Warfen ihnen die einen „Linkslastigkeit“ vor, so witterten die anderen konservative oder gar reaktionäre Tendenzen.

Eines jedoch können auch die schärfsten Kritiker nicht bestreiten: daß die Salzburger Humanismusgespräche immer hart am Puls der Zeit, ja nicht selten dieser voraus, engagiert für das Recht des Menschen und seiner Lebenswelt gegenüber höchst bedenklichen Entwicklungen der wissenschaftlich-technischen Zivilisation eingetreten sind.

Das neunte Humanismusgespräch bringt nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Religion als einen Hauptadressaten der von der gegenwärtigen Krise ausgehenden Herausforderung ins Spiel. Dabei wird es nicht darum gehen, die Naturwissenschaft gegen die Religion auszuspielen oder umgekehrt. Es wird vielmehr darum gehen, daß sowohl die Religion wie die Naturwissenschaft wird lernen müssen, das Leben und die Welt als Ganzes zu sehen. „Verantwortung“ ist denn auch das große Stichwort, das die neue Ebene des Dialogs zwischen Naturwissenschaft und Religion kennzeichnet. Dies ist nicht zuletzt bei einem Symposion deutlich geworden, das vor wenigen Monaten auf Initiative von Kardinal Franz König vom römischen Sekretariat für den Dialog in München veranstaltet wurde. Das neunte Salzburger Humanismusgespräch soll nicht zuletzt diesen Dialog weiterführen, was in der erfreulichen Tatsache zum Ausdruck kommt, daß der Kardinal das Eröffnungsreferat am Sonntag, den 24. September, übernommen hat.

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