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Die ORF-Skepsis

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Gemessen an der Bedeutung, die den Medien Fernsehen und Bundfunk heute im Leben jedes einzelnen zukommt, trat bei der jüngsten ORF-Meinungsforschung ein beträchtliches Maß an Skepsis, betreffend die Wandlungsfähigkeit des Informationsund Meinungsgiganten, zutage.

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Gemessen an der Bedeutung, die den Medien Fernsehen und Bundfunk heute im Leben jedes einzelnen zukommt, trat bei der jüngsten ORF-Meinungsforschung ein beträchtliches Maß an Skepsis, betreffend die Wandlungsfähigkeit des Informationsund Meinungsgiganten, zutage.

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Denn einerseits sind die Österreicher mit ihrem ORF offenbar gar nicht so unzufrieden. 64 Prozent derer, die fernsehen, und nicht weniger als 85 Prozent jener, die Radio hören, meinten, man finde „fast immer" oder „überwiegend ja" eine zusagende Sendung. Dabei muß offen bleiben, ob der Hörfunk, qualitativ und durch seine drei Programme, höheren beziehungsweise differenzierteren Ansprüchen gerecht ^ird,oder ob die Abwanderung zum Fernsehen die Konzentration der Zufriedenen unter den Resthörern steigern mußte, oder ob es ganz einfach leichter ist, ein Hörfunk-Programm zu machen, das der Erwartungshaltung seiner Konsumenten entspricht. Oder wie alle diese Komponenten zusammenwirken.

Auffallend, und nicht zum erstenmal, die jüngste Fessel-Umfrage hat bs nur wieder bestätigt: Die Zufriedenheit mit dem Fernsehen ist um so geringer, je höher jemand auf der sozialen Stufenleiter steht. Anderseits ist die Zufriedenheit mit dem Programm um so größer, je mehr jemand fernsieht, was der ORF auf zwei mögliche Ursachen zurückführt: „1. Nur wer zufrieden ist, sieht häufig fern. 2. Wer häufiger fernsieht, kommt eher auf seine Rechnung." Leider wurde eine dritte Erklärung nicht in Betracht gezogen, nämlich besonders häufiges Fernsehen als Symptom für Kritiklosigkeit.

Doch mit diesem ' relativ hohen Anteil an sich Zufriedener steht in Kontrast eine gewisse Skepsis, was die Entwicklung der TV- und Hörfunkprogramme seit der Rundfunkreform betrifft. An dieser Skepsis hat sich offenbar seit Jahren kaum etwas geändert.

Von dem repräsentativen Querschnitt von 1129 dem Wählerverzeichnis entnommenen Österreichern, die Dr. Fessel im November 1972 befragen ließ, konnten sich 27 Prozent noch an die Fernseh- und 43 Prozent an die Hörfunkprogramme der Vor-Reform-Ära erinnern. 39 Prozent fanden den ORF nun „viel" oder „etwas" unabhängiger, 11 Prozent abhängiger. Genau jeder zweite aber, der sich an die seinerzeitigen Programme noch erinnerte, konnte sich nicht entscheiden, als er gefragt wurde, ob der ORF nun abhängiger oder weniger abhängig sei als vor der Reform, oder sah keine Änderung.

Das gibt um so mehr zu denken, als es sich überraschend genau mit Befragungsergebnissen deckt, die fünf Jahre zurückliegen. Im Dezember 1967, also wenige Monate nach der Bestellung des Generalintendanten, fanden, ebenfalls bei einer Fessel-Umfrage, 24 Prozent den ORF unabhängiger, 26 Prozent abhängiger, während auf das Prozent genau wie im vergangenen Herbst schon damals 50 Prozent weder das eine noch das andere feststellen konnten.

Gleichzeitig mit Dr. Fessel führte damals, 1967, auch das Gallup-Institut eine Befragung durch,- bei der man sich zwar nur für „bessere" oder „schlechtere" Programme aussprechen konnte — aber da damals, wenige Monate nach Bachers Machtantritt, erst die Informationssendungen reformiert worden waren, kann auch dieses Ergebnis als Beurteilung der ORF-Unabhängigkeit gewertet werden. 41 Prozent fanden den ORF schlechter, 19 Prozent besser, 31 Prozent hatten keine Meinung oder sahen keine Veränderung. .

Die große Frage ist, ob tatsächlich Indifferenz den riesigen Eisberg der in dieser Frage Unentschiedenen am Leben erhält. Oder ob es sich hier um die Selbsterkenntnis schlechter Gedächtnisse handelt. Oder aber, ob sich hier eine tief verwurzelte Skepsis der Bewohner des McLuhanschen elektronischen Dorfes äußert, daß hinter die Fassade eines verwirrend reichhaltigen Informationsangebotes genauso schwer zu blicken sei wie hinter die glatten Mauern überkommener Informa-tionsverhinderungssysteme. Ein Fingerzeig mag daraus abzuleiten sein, daß 37 Prozent der nunmehr Befragten seinerzeit „eher für das Volksbegehren", 3 Prozent „eher dagegen" und 8 Prozent „damals noch zu jung" waren — während 52 Prozent offen zugaben, das Volksbegehren sei ihnen gleichgültig gewesen.

Immerhin finden unter denen, die sich erinnern, je 48 Prozent TV und Hörfunk heute besser als vor der Reform, 29 Prozent das Fernsehen und 16 Prozent den Hörfunk schlechter, der Rest kam zu keiner Entscheidung oder sieht keinen Unterschied.

70 Prozent konzedieren dem ORF die Bemühung um objektive Berichterstattung, 12 Prozent meinen, er neige zu einseitiger Auswahl der Meldungen, 18 Prozent haben dazu keine Meinung. Dabei denken die SPÖ-Anhänger über die ORF-Bemühung um Objektivität deutlich schlechter als die anderen Wählergruppen (64 zu 74 Prozent). Ansonsten hat die politische Einstellung wenig Einfluß auf die Beurteilung des ORF, was ja auch sozialistische Meinungsforscher bereits feststellen mußten.

Generalintendant Bacher kann einige der Fesselschien Befragungsergebnisse durchaus in seinem Sinne deuten. So etwa, daß 66 Prozent der Befragten eine zweite Fernsehdirektion in Österreich „weder notwendig noch wünschenswert" fanden, wobei immerhin 40 Prozent aller Österreicher von den diesbezüglichen Plänen Kreiskys gehört hatten.

Bundeskanzler Kreisky wiederum könnte der Fessel-Umfrage entnehmen, daß die auf die Wählermassen ausstrahlende Faszinationskraft von Leuten, die sehr genau wissen, was sie wollen, und dies auch jedermann fühlen lassen, Bacher kaum weniger zugute kommt als ihm selbst. Denn immerhin: 31 Prozent der Österreicher finden den harten und häufig groben ORF-General „sympathisch und sehr fähig", 19 Prozent „zwar nicht sympathisch, aber sehr fähig", also immerhin jeder zweite Österreicher hält ihn für sehr fähig. 25 Prozent entschieden sich für „zwar nicht sympathisch, hat aber gewisse Fähigkeiten", und nur 10 Prozent fanden: „weder sympathisch noch hat er nennenswerte Fähigkeiten".

41 Prozent halten ihn für unabhängig, 21 Prozent nicht. 15 Prozent hatten über Charme und Fähigkeiten, 38 Prozent über seine Unabhängigkeit keine Meinung.

Doch 84 Prozent aller Österreicher wollen, daß der Mann auf diesem Sessel an keine Weisung gebunden sei — auch die Sozialisten. 77 Prozent lehnen eine Bestellung des ORF-Generals durch die Gesellschafterversammlung, das heißt durch die jeweilige Regierung, „eher ab". Unter den Sozialisten noch immer 72 Prozent.

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