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RELIGIÖS, ABER IMMER WENIGER KIRCHLICH

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Der typische Österreicher ist „religiös". Die Zahl jener, die sich als „religiös" bezeichnen, ist zwischen 1980 (69 Prozent) und 1990 (67 Prozent) nahezu gleichgeblieben. Die Zahl jener, die sich als „sehr religiös" bezeichnen, hat sogar leicht zugenommen. Unverändert blieb die Zahl der „Gleichgültigen" mit 14 Prozent.

Eine nähere Betrachtung des Begriffs „religiös" läßt aber doch Erosionserscheinungen erkennen: Denn generell läßt sich zwischen einer „Lebensreligion" und einer „Erklärungsreligion" unterscheiden. Erste-re enthält Aussagen, die mit der Bewältigung des Lebens und des Daseins zu tun haben, in der „Erklärungsreligion" stehen Aussagen über Gott im Mittelpunkt.

Während 1980 noch 67 Prozent der „Erklärungsreligion" zustimmten, waren es 1990 nur mehr 59 Prozent. Ähnlich verlief es bei der „Lebensre-

ligion": Die Zahl sank innerhalb von zehn Jahren um 25 Prozent. Die „Lebensreligion" der heute 40- bis 50jährigen Österreicher sank im Zeitraum von 1970 (42 Prozent) bis 1990 (elf Prozent) sogar um 75 (!) Prozent.

Befragt nach einem wichtigen Moment persönlicher Religiosität, nämlich dem Gebet, bekannten 1990 30 Prozent aller Österreicher, täglich zu beten (1980: 38 Prozent). Auffallend wiederum das Ergebnis der 40-bis 50jährigen: 1970 beteten 33 Prozent täglich, 1980 20 Prozent und 1990 nur mehr 17 Prozent.

Der Aussage: „Man kann auch ohne Sonntagsmesse ein guter Christ sein", stimmten 1980 73 Prozent zu, während es 1990 schon 79 Prozent waren. Rapid fiel die Zahl jener, die meinen, „Wenn ein Christ nicht zur Kirche geht, begeht er eine schwere Sünde": Von 22 Prozent im Jahr 1980 vertraten nur mehr neun Prozent im Jahr

1990 diese Auffassung.

Gegenüber früheren Zeiten gibt es keine soziokulturelle Selbstverständlichkeit mehr, sich am Leben der Kirche zu beteiligen. Und auch die Erwartungen an die Kirche sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten gesunken. Während 1980 66 Prozent der Kirche Aufgaben zuweisen, waren es 1990 nur mehr 53 Prozent.

Entlarvend ist die abnehmende Erwartungshaltung. So sind die Erwartungen an die Kirche bei den Lebensübergängen (Taufe-Hochzeit-Begräbnis) von 89 Prozent im Jahr 1970 auf 77 Prozent im Jahr 1990 zurückgegangen. Hingegen sind Aufgaben, die mit dem spezifischen christlichen Leben einer Kirche zu tun haben (Eucharistiefeier, Bußsakrament, Verkündigung des Wortes Gottes), von 67 Prozent (1970) auf 36

Prozent im Jahr 1990 gesunken.

Während der Rückgang bei den „Lebensübergängen" nur zwölf Prozentpunkte beträgt, ist er bei den „christlichen Handlungen" fast dreimal so groß. Denn selbst die Hälfte der sogenannten „Unreligiösen" will nicht auf die kirchlichen Rituale bei Taufe, Hochzeit und Begräbnis verzichten.

Wer am kirchlichen Leben teilnimmt, erwartet sich mehr als „nur" religiöse Rituale. Der Aussage „Wenn es keine Kirche mehr gäbe, würde bald niemand mehr sich Gedanken über Gott machen", stimmten 1990 31 Prozent zu, während es 1980 noch 52 Prozent waren. Bemerkenswert, daß „sich Gedanken über Gott machen" 1990 weniger an die Kirche gebunden wird als 1980 (minus 21 Prozentpunkte). Zugleich erwarten sich die Menschen jedoch auch immer weniger soziale Aufgaben ausschließlich von der Kirche. Die Alarm-

glocken läuten schließlich beim Rückgang der „starken Kirchenbindung". Während 1970 noch 53 Prozent sich ausdrücklich zur Kirche bekannten, waren es 1980 37 Prozent und 1990 gar nur mehr 29 Prozent.

Im Hintergrund stehen die abnehmenden Kirchenmitgliedschaftsmotive: Weil die Lehre der Kirche richtig ist, wollten 1980 75 Prozent der Kirche angehören, 1990 nur mehr 61 Prozent. Weil die Eltern die Befragten taufen ließen, 1980 68 Prozent, 1990 56 Prozent.

Falsch wäre es, von einem „unchristlichen" Österreich zu sprechen. Es wäre aber auch nicht richtig und ehrlich, die Begriffe „postchristlich", „religiös" und „kirchlich" nicht genauer zu unterscheiden.

Die Daten stammen aus: VOM UNTERTAN ZUM FREIHEITSKÜNSTLER. Von Paul M. Zulehner, Hermann Denz u. a., Herder Verlag, Wien 1991.

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