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Digital In Arbeit

Keine soziologische Mißgeburt

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Die Art, wie Dr. Friedrich Kübl in einem Beitrag „Eine soziologische Mißgeburt” („Furche”, 27. VII. 1963) Menschenwürde und Menschenrecht einer Gruppe von Arbeitnehmern abtut, macht es einem nicht leicht, in dem Verfasser einen Katholiken, noch dazu einen Akademiker zu vermuten. Er bezeichnet sich selbst als „Jurist und Soziologe, der keine Parteibrille trägt”. Seine Brille aber trübt ihm den Blick, das neue Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz sachlich und objektiv zu beurteilen.

Mangelnder guter Wille

Als Soziologe muß er nämlich wissen, wie die gesellschaftliche Stellung der Arbeitnehmer in Industrie und Gewerbe sich in Österreich entwickelt hat. Ich weiß wohl aus eigener Erfahrung, aus meiner Praxis als Fachsekretärin der Gewerkschaft Persönlicher Dienst und Mitglied der Fraktion christlicher Gewerkschafter, daß es nicht jedermanns Sache ist, für die berechtigten sozialen Forderungen der Arbeitnehmer einzutreten. Zu unterschiedlich sind oft die Auffassungen über die gesellschaftliche Stellung der Menschen untereinander. Aber mit gutem Willen beider Vertragspartner läßt sich ein erstaunlich gutes Einvernehmen erreichen. Dieser gute Wille und ein entsprechendes Einfühlungsvermögen in die Materie scheint dem Schreiber zu fehlen. Nur so’ist es möglich, wenn er eine kleine Berufsgruppe von all den sozialen Verbesserungen, die in der Zweiten Republik ein Großteil der Berufstätigen erreichen konnte, ausgeschlossen wissen will. Schon im Jahre 1920 hat man erkannt, daß die Eigenart der Arbeit in fremden Haushalten auch eigene Schutzbestimmungen verlangt. Daher wurde für die damalige Zeit ein sehr brauchbares und fortschrittliches Gesetz zum Schutze dieser Arbeitnehmer im Parlament beschlossen. Zweiundvierzig Jahre aber mußten die Hausgehilfen und Hausangestellten warten, bis auch für sie eine gesellschaftliche Angleichung an die übrige Arbeitnehmerschaft erreicht werden konnte. Bis zum Jahre 1962 hatten sie keine geregelte Arbeitszeit. Das Gesetz legte nur eine Nachtruhezeit zwischen 21 und 6 Uhr fest, alle anderen 15 Stunden des Tages mußten sie zu Diensten bereit sein. Diese Arbeitsbereitschaft konnte auf diese Weise bis zu 90 Stunden pro Woche ausgedehnt werden, dies auch schon für Jugendliche ab 16 Jahren.

Auch die Schlafstelle und das „Behältnis zur Aufbewahrung der persönlichen Habe”, wie der Text des alten Gesetzes lautete, sind Begriffe, die im Jahre 1920 von guter Bedeutung waren, heute aber von manchen Arbeitgebern, wie ich aus eigener Wahrnehmung weiß, vielfach so ausgelegt werden, daß der Hausgehilfinals Schlafstelle eine Rumpelkammer angewiesen wird, die bis zur Decke mit Schachteln, Kinderspielzeug, Wäschekorb und Kinderwagen vollgestopft ist, so daß daneben gerade noch ein Bett Platz hat. Die „Habe” der Hausgehilfin, ihre Kleider und Wäsche, werden auf einzelne Kasten und Laden, in denen auch andere Familienmitglieder Sachen aufbewahren, verteilt.

„Das Kind im Haus?”

Was das patriarchalische Verhältnis zwischen Hausfrau und Hausgehilfin angeht, ist in vielen Fällen die Hausgehilfin nur nach außen „das Kind im Haus”. Im täglichen Umgang mit ihr bleibt meist nur, daß sie von Arbeitgeberseite geduzt wird, obwohl sie längst dem jugendlichen Alter entwachsen ist. Ich erlebe es noch sehr oft, daß eine Hausfrau in der Gewerkschaft anruft und sagt, „mein Mädchen…”. Wenn ich dann frage, wie alt „das Mädchen” ist, kommt die Antwort: 43 oder 50 Jahre; ja sogar noch ältere Frauen werden als „Mädchen” apostrophiert. Es ist unter solchen Umständen nicht verwunderlich, wenn die Bereitschaft, als Hausgehilfin zu arbeiten, bei jung und alt immer geringer wird. Daß aber ihre Arbeit für die Familie notwendig ist, sieht selbst der Soziologe Dr. Kübl ein. Nur ist er nicht bereit, die gesellschaftliche Umschichtung zur Besserung des Lebensstandards auch für diese Menschen gelten zu lassen, die durch ihre Arbeit für das Wohl der Familie sorgen. Für ihn gehört die Hand, die seine Kleider bürstet, einem Menschen zweiter Güte.

Wieviel Zeit mag Herr Dr. Kübl wohl zum Studium der päpstlichen Enzykliken aufgewendet haben, wenn er es fertigbringt, die endlich erreichte soziale Besserstellung der Berufsgruppe durch das neue Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz so abträglich zu behandeln, ja das Gesetz selbst als soziologische Mißgeburt zu bezeichnen?

Klare Arbeitsbedingungen

Die Hausgehilfinnen sind in den letzten 42 Jahren klüger geworden und wollten in einem neuen Gesetz gewisse Sicherungen haben, die ihnen klare Arbeitsbedingungen auch dem Partner gegenüber gewährleisten. Damit nun die bei Beginn eines Dienstverhältnisses getroffene Vereinbarung nicht vergessen wird, ist sie schriftlich im Dienstschein festzuhalten. Sollte es aber Vorkommen, daß von Arbeitgeberseite die Schutzbestiromun- gen für die Hausgehilfin außer acht gelassen werden, kann das „Spitzelkollegium”, wir bezeichnen diese Kommission als Schlichtungsstelle, in Aktion treten.

Es ist wohl dem Juristen Dr. Kübl klar, daß Verstöße gegen Gesetze Strafsanktionen unterliegen, die natürlich die Person treffen, die gegen die Gesetze verstößt.

Ich will mich mit sonstigen Herabsetzungen und Verdächtigungen dieses Berufsstandes, zu denen sich Herr Dr. Kübl hinreißen ließ, nicht weiter befassen, fühle mich aber verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß Paragraph 17 des Hausgehilfen- und Hausange stelltengesetzes unrichtig wiedergegeben ist. Der neue Text deckt sich nämlich dem Wesen nach mit den diesbezüglichen Bestimmungen des Gesetzes von 1920. Die im gegenständlichen Artikel geführte Polemik verfehlt das Ziel; sie geht von der gleichen Minderschätzung der Hausarbejt aus, wie dies bisher auch der Hausfrauenarbeit gegenüber zum Ausdruck kam.

Die Auffassung des Herrn Dr. Kübl, daß die Lohnverrechnung einer Hausgehilfin der Hausfrau eine eigene Buchführung auferlegt, dürfte doch etwas übertrieben sein, obwohl natürlich die Leistungen der Hausgehilfin ebenso festgehalten werden müssen, wie die irgend eines Arbeitnehmers in einem außerhäuslichen Betrieb. Es ist auch leider nicht immer so, daß der Lohn, wie es Paragraph 3 des Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetzes vorschreibt, am Letzten eines Kalen- ‘denhobäts bezahlt wird, sondern mitunter erst nach einigen Mahnungen von seiten der Hausgehilfin. Auch diese ungenaue Lohnauszahlung wäre zum Beispiel ein Grund, die Schlichtungsstelle zu befassen.

Schutzgesetz und Arbeitsvertrag

Zwei Momente aber dürfen nicht unerwähnt bleiben. Erstens scheint der Jurist, Herr Dr. Kübl, den Unterschied zwischen einem Schutzgesetz und einem Arbeitsvertrag nicht genau zu kennen. Zweitens hat er versäumt, darzulegen, wie ohne zeitgemäße Schutzbestimmungen dem Abwandern der jungen Generation vom beruflichen Hausdienst Einhalt geboten werden kann. Es kann nicht angenommen werden, daß er die Wiedereinführung der alten Gesindeordnungen vertritt, denen zufolge die „Entlaufene” durch polizeiliche Intervention wieder zurückgebracht werden konnte.

Zum Schluß möchte ich dem Artikelschreiber nur sagen, diese Auslassungen über das neue Gesetz und die damit zum Ausdruck gebrachte asoziale Einstellung zu dieser Berufsgruppe ist sehr bedauerlich, umso mehr, wenn dafür ein Katholik und Soziologe zeichnet. Dieselbe Einstellung zur sozialen Frage war im vorigen Jahrhundert das Signal für eine Weltanschauung, die uns christlichen Sozialpolitikern und Gewerkschaftern viel Sorge bereitet.

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