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Wir Hausgehilfinnen

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Ja, weiß sie schon, die Gnädigste, daß sie sich ab 1. September 1962 in der Staatsdruckerei in der Wollzeile 27 a das Bundesgesetzblatt vom 7. August 1962 über die Regelung des Dienstverhältnisses' von Hausgehilfen und Hausangestellten besorgen muß, wenn sie mit uns in rechtliche Beziehungen treten will? Sie schließt dann mit uns einen Arbeitsvertrag ab, und alle unsere Rechte und Pflichten werden dann in einem „Dienstschein“ festgelegt, der 19 Punkte umfaßt.

Nein, ich selbst bin keine Raumpflegerin nach Berliner Muster, die im eigenen Wagen bei Ihnen vorfahren wird und ohne Gummihandschuhe nichts anrührt. Was Sie mir zahlen müssen? Wenn ich zu Ihnen als Haushälterin gehen soll, mindestens 1050, als perfekte Köchin aber mindestens 867 Schilling monatlich. Aber selbst, wenn ich nur wenig kochen kann, müssen Sie mir 657 und ohne Kochen noch immer 450 Schilling monatlich geben. Das ist viel, sagen Sie? Aber denken Sie doch daran, daß eine Kammerzofe mit 1000, ein Kinderfräulein mit 710 und, sollte es geprüft sein, sogar mit 1140 Schilling bezahlt werden muß. Und daß eine Erzieherin 1400 Schilling monatlich erhalten muß, das wissen Sie doch? Aber das ist nur der ab 1. Mai 1961 geltende Mindestlohntarif, in Wirklichkeit werden wir ja überall überzahlt, denn wir sind Mangelware auf dem Arbeitsmarkt.

Aber wenn Ihnen das alles zu teuer erscheint, dann nehmen Sie sich doch eine Bedienerin, der zahlen Sie nur sieben Schilling für die Stunde, und nur wenn es um ganz schwere Arbeiten geht, wie etwa Bodenreiben nach dem Maler, dann spendieren Sie halt neun Schilling. Und die legt auch auf die Sozialversicherung kein Gewicht, denn sie nimmt durch ihren Gatten an der Familienversicherung teil und verzichtet sicherlich auch auf den Dienstschein. Eine Jause müssen S' ihr halt geben und das Geld für die Elektrische.

Verschwiegen bin ich wie das Grab, da kann sich die Gnädige auf mich verlassen, das hätt' mir das neue Gesetz gar nicht sagen müssen, daß ich alles das, was in der Familie meines Dienstgebers vor sich geht und von mir bemerkt worden ist, bei mir behalten muß. No ja, und eine Weihnachtsremuneration , in der Höhe meines Monatslohnes, die muß ich schon bekommen und ebenso, wenn ich meine zwölf Tage Urlaub mach'. Hab' ich aber ab dem sechsten Dienstjähr auf 18 Tage Anspruch, dann erhalte ich das Eineinhalbfache und ab dem 16. Dienstjahr bei 24 Tagen das Doppelte meines Monatslohnes. Mehr als 60 Stunden in der Woche darf ich nicht arbeiten, das ist klar, auch muß ich mich dabei während des Tages durch drei Stunden ausruhen können, und zum Schlafen brauche ich zehn Stunden, mindestens von 21 Uhr abends bis 6 Uhr früh. An jedem zweiten Sonntag hab' ich dienstfrei, und überdies gebührt mir noch ein freier Nachmittag in der Woche. Wenn ich aber an Feiertagen arbeit', dann müssen S' mir einen Zuschlag zum Lohn geben.

Dann muß ich einen, heizbaren und verschließbaren Wohnraum für mich haben mit einem versperrbaren Kasten. Und wenn ich krank bin, hab' ich einen Anspruch auf drei oder vier Wochen Lohn, je nachdem, wie lange ich bei der Gnädigen gewesen bin. Wenn wir uns aber einmal über Urlaub, Wohnraum, Freizeit oder sonst etwas streiten, dann gehen wir beide vor eine Kommission, die wird dann schon entscheiden, wer recht hat. 14 Tage beträgt die Kündigungsfrist.

Die Gnädige meint, es wird sehr schwer für sie sein, das alles so genau einzuhalten? No, dann soll sie sich halt das Ganze allein machen, sie wird's schon treffen.

Also sprach die Hausgehilfin, ich aber, verehrte gnädige Frau, möchte Ihnen jetzt zum Trost etwas vorlesen, was ich in der lieben, alten, von unseren Großeltern so gern gesehenen „Gartenlaube“ unlängst gefunden habe. Sie schrieb im Jahre 1898: „Endlos sind die Klagen unserer Hausfrauen über die Dienstboten. Namentlich in den Großstädten sei mit den Dienstmädchen nicht auszukommen. Da sei es doch besser gewesen in dr guten, alten Zeit, als noch patriarchalische Zustände herrschten, als es keine Fabriken gab und Freizügigkeit unbekannt war. Damals gingen die jungen Mädchen gern und willig in den Dienst und verstanden etwas von Hausarbeit. Wie anders ist das alles jetzt geworden!“

Sie sehen, verehrte gnädige Frau, mit dem Hauspersonal hat man schon immer sein Kreuz gehabt. Aber, Hand aufs Herz, glauben Sie nicht, daß ein Gesetz schon länger fällig war? Soll es doch selbst heute noch diese oder jene „Gnädige“ geben, die ihrer Hausgehilfin die Menschenrechte nur sehr beschränkt zugestehen möchte. Und noch eine Auswirkung dürfte das neue Gesetz haben. Der Beruf der Hausgehilfin dürfte wieder etwas mehr Anziehungskraft bekommen und das Angebot auf dem Arbeitsmarkt dadurch größer werden.

Was Sie aber vielleicht auch noch interessieren wird: Während wir im Jahre 1920 in Österreich noch 100.000 Hausgehilfinnen hatten, gibt es deren derzeit nur noch 35.000, allerdings zählen wir auch noch 100 Diener.

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