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Krise im Hausdienst

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Der katastrophale Rückgang im Angebot von Hausgehilfinnen läßt es hoch an der Zeit erscheinen, sich mit den Ursachen der Flucht aus diesem Beruf auseinanderzusetzen und den Weg zur Abhilfe zu suchen. Die Abneigung gegen den Hausdienst geht weit zurück. In der Großstadtjugend nahm sie ihren Anfang mit den Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Der Zug ging vom Hause weg und zur Fabrik. Das wurde oft bedauert und oft getadelt, manchmal mit Recht, manchmal mit Lfn-recht. Es ging nicht nur ums leichtere Leben. Im Betrieb galt es mitunter schwerere Arbeit — und sie war ermüdend genug —, aber sie gab etwas anderes: die größere persönliche Unabhängigkeit. Diese war ein wesentliches Moment der gesamten Arbeiterbewegung und sie trat immer bestimmender in den Vordergrund. .

Die Zeit von heute ist die des vollerwachten Persönlichkeitsgefühles des Arbeitenden, seines Mündigkeitsbewußtseins. Dessen Geltung und Wahrung verlangt eine der Vernunft und Sittlichkeit entsprechende Einstimmung zwischen „Berufssphäre“ und „privater Sphäre“. Neben die unvermeidliche berufliche Bindung muß als gleichberechtigter Faktor die Selbstbestimmung treten. Sie bildet das innere Verhältnis zur Arbeit um: aus einer des Unterhalts wegen ertragenen Last wird ein freiwillig bejahter Wertinhalt des Lebens. Diese Wandlung der Berufshaltung ist bei der Arbeiteraristokratie von heute deutlich ver-folgbar.

Für die ungelernte Arbeiterin ist kaum etwas anderes entscheidend als der Barlohn, die soziale Fürsorge und die verhältnismäßig lange Freizeit. Anders bei den gelernten Frauenberufen. Hier schafft Neigung, Geschick und gründliche Kenntnis Freude am Werk und gibt den Begabten und Strebsamen den Weg zur Selbständigkeit und zum Aufstieg frei.

Für den Hausdienst ist von all diesen anziehenden Momenten kaum eines gegeben. Seine wirklichen Vorzüge werden dagegen wenig gewürdigt. Die oft hochwertige Naturalentschädigung (Unterkunft und Verpflegung) vermag den größeren Anreiz des Barlohnes nicht aus dem Felde zu schlagen, um so weniger, als oft Genügsamkeit in bezug auf Wohnung und Ernährung die Mittel für andere, begehrtere Güter freimacht.

Vor allem bringt die „persönliche Dienstleistung“ unvermeidlich eine stärkere Bindung an den Arbeitgeber mit sich, und wenn auch das Gespenst von Botmäßigkeit und Mundgewalt aus dem alten Gesinderecht der Vergangenheit angehört, so wirkt doch eben diese Abhängigkeit vom Willen des anderen Menschen oft als schreckhafte Erinnerung. Auch rangiert der Hausdienst in der Schätzung der Berufsgruppen eher niedrig, und die Aussichten, vorwärtszukommen, sind verhältnismäßig gering. Selten kann* sich die Hausgehilfin soviel erübrigen, um einen kleinen Laden zu erwerben — auch in dieser Form bricht die Sehnsucht nach Selbständigkeit durch. Die Eheaussichten sind ungemein herabgemindert, so bleibt sie in dienender Stellung, solange sie arbeitsfähig ist, um dann mit der durch kleine Zuschüsse aus ihren Ersparnissen aufgebesserten Altersfürsorgerente einen bescheidenen Lebensabend zu fristen.

Objektive Würdigung dieser Verhältnisse muß gestehen, daß daraus für junge Mädchen kaum ein besonderer Anreiz gewonnen werden kann, sich dem Hausgehilfinnen-beruf zuzuwenden. Wohl gibt es Hausgehilfinnen, die eine vorbildliche, oft wahrhaft selbstentäußernde Berufshaltung bewahren und bewähren, aber solche Menschen sind immer nur Auslese, nie Masse, und man kann nach ihnen nicht die Forderung ausmessen, die an den Hausdienst im allgemeinen zu stellen ist. Die große Menge braucht Arbeitsv;rhältnisse, in die sie bei allem guten Willen zu voller Pflichterfüllung auch ein berechtigtes Maß von Bewegungsfreiheit, Lebensraum und Lebensgestaltung außerhalb der Arbeit einbauen kann.

Das geltende Hausgehilfinnengesetz vom 26. Februar 1920 sichert außer kurzen Freistunden am Tag nur die ununterbrochene neunstündige Nachtruhe. Daraus spricht die Auffassung, daß im Dasein der Hausgehilfin neben Arbeit und Schlaf, beziehungsweise kurzen Erholungspausen kaum noch auf anderes Bedacht zu nehmen sei. Man verstehe, daß sich die neue Lebenssicht des Arbeitenden mit diesem Grundsatz zwangsläufig auseinandersetzt und ihn ablehnt.

War bislang die Freizeit in ihrem Mindestausmaß geschützt, so geht es nun darum, die Arbeitszeit in ihrem Höchstausmaß zu beschränken. Es wird sich der Haushalt damit abfinden müssen, daß die Hausgehilfin auch tagsüber nicht andauernd zur Verfügung steht. Eine zunächst schwer tragbar scheinende Konzession! Sie muß durch die Gegenforderung ausgeglichen werden, daß auch in der verkürzten Arbeitszeit die im Hause notwendige Arbeit zu leisten ist. Dies ist durchaus möglich bei zweckdienlicher Einteilung und Ausnützung der Arbeitsstunden und bei klug überlegter Vorarbek für den nächsten Tag. Außerdem wird, das mag vielleicht ein Gewinn unseres an Aktiven so armen Lebens von heute werden, der Haushalt Reformen erfahren, die viel unnötigen Zeitaufwand vermeiden, besonders, wenn man sich daran gewöhnt haben wird, die Hausfrauen über ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu Worte kommen zu lassen.

Zum anderen wird auch eine schulmäßige Vorbereitung für den Hausdienst sich nutzbringend auswirken. Sie wird das Berufsbewußtsein in der Hausgehilfin heben, den Zuzug neuer Kräfte beleben und auch die individuelle Leistung steigern. Der oft geäußerte Einwand, man brauche keine „studierte Hausgehilfin“, ist nicht sachlich. Man höre doch die sattsam bekannten Klagen der Damen über ihre „Perlen“! Der Fehler liegt, soweit er der Hausgehilfin zuzuschreiben ist, fast immer darin, daß diese, zwangsläufig in ihren Beruf gedrängt, ihn nicht liebt, weil er. ihr, so wie sie ihn auszuüben vermag, keine innere Befriedigung schafft. Die Meinung, wer zu nichts anderem tauge, sei für den Haushalt gut genug, hängt mit der Minderschätzung der Hausarbeit an sich zusammen und ist falsch. Der Hausdienst verlangt Intelligenz und Umsicht, Können, Übung und Gewandtheit, darüber hinaus Vertrauenswürdigkeit und Verantwortlichkeitsbewußtsein in hohem Maße. Solche Berufsauffassung und Berufsleistung schlägt sicherer und tiefer Wurzel auf dem Boden einer gründlichen und ernsten Schulung. Diese wird von den Berufsvereinigungen der Hausgehilfinnen seit langem angestrebt. Die Ausbildung soll sich in „L e h r h a u s-halten“ vollziehen, in denen unter Anleitung und Aufsicht einer geeigneten Lehrhausfrau ein bestimmtes Lehrziel erreicht werden muß. Daneben soll eine hauswirtschaftliche Fortbildungsschule treten. Die schon vor 1938 formulierten

Wünsche der Hausgehilfinnenverbände zeigen eine gewisse Anlehnung an das gewerbliche Lehrverhältnis, passen sich aber durchaus den Bedürfnissen des Haushalts an. Die Tätigkeit als Lehrhausfrau mag überdies mütterlichen und kenntnisreichen Frauen als' geschätztes Arbeitsfeld erscheinen.

Eine Revision der häuslichen Dienstverhältnisse ist unaufschiebbar geworden. Die Krise im Haushalt löst sie aus. Christliche Sozialpolitik, die immer aus dem Chaos von Irrgängen und Sackgassen den Weg des Vernünftigen und Gerechten zu bahnen hat, sieht hier eine Aufgabe vor sich, deren Lösung dringlich ist. Freilich, Zugeständnisse auf der einen Seite, erfordern immer Verzichte auf der anderen. Diese Tatsache muß nicht nur hier in sachlicher Gerechtigkeit verstanden und ertragen werden. Wird damit sozialer Befriedigung und Befriedung gedient, dann ist jedes solche Opfer, materiell und sittlich verstanden, eine Investition, die dem einzelnen und der Gesamtheit schließlichen Gewinn bedeutet.

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