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Digital In Arbeit

(K)ein Volk von Unternehmern

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Die totale Unbrauchbarkeit der neuen Versicherungs- und Besteuerungsregeln für Werkverträge hat sich also herausgestellt. Viel zu wenig wird allerdings über die gewichtigen und •unaufschiebbaren Probleme im Hintergrund nachgedacht. Der Bestand einer lückenlosen Sozialversicherung ist heute in FVage gestellt. Die gewohnte Zuordnung der FLrwerbstätigen zu einer der drei großen geschützten Berufsgruppen -Arbeitnehmer, Gewerbetreibende und Bauern - versagt immer mehr. Bedenken wir, daß zunächst nur die Angestellten und viel später erst die Arbeiter in eine „allgemeine" gesetzliche Sozialversicherung einbezogen waren. EJier zögernd folgten dann Unternehmer und Landwirte. Im Ergebnis hatten wir dann die Volksversicherung praktisch erreicht, und alles andere wäre weder sinnvoll noch tragbar.

Die aktuellen Entwicklungen ließen nun eine sozusagen frei im Raum schwebende Kategorie von Erwerbstätigen entstehen - Menschen, die weder in einem festen Dienstverhältnis stehen, noch selbständig sind. Immer mehr Dienstgeber versuchen nämlich, den Kosten für den sozialrechtlichen Schutz der Arbeitnehmer dadurch auszuweichen, daß sie statt Dienstverträgen freie Werkverträge abschließen. Dabei kommt es zwar häufig vor, daß der Arbeitnehmerschutz bewußt und unzulässigerweise umgangen wird, aber es gibt auch zahlreiche Erwerbstätige, die gar nicht den Schutz eines festen Dienstverhältnisses anstreben, weil sie flexibel arbeiten wollen oder müssen.

Die viel gescholtene Regelung wollte nun jene Werkverträge, die einem Dienstverhältnis ähnlich sind und ein solches ersetzen, der Sozialversicherungspflicht unterwerfen und ebenso einer lohnsteuerähnlichen Abgabenregelung. Dieses Ziel ist sozialpolitisch richtig. Der Krampf dabei besteht darin, daß äußerst komplizierte Regelungen geschaffen wurden, um „echte" Werkverträge von jenen „unechten" zu unterscheiden, die man erfassen möchte. Dazu kommt, daß man die anfallenden Honorare wie Arbeitslohn abgaben-pflichtig machen will. Der Gesetzgeber begeht damit den unverzeihlichen

Fehler, Menschen, die wie Unternehmer tätig sind, gewaltsam in das Prokrustesbett der reinen Lohnarbeit zu zwingen. Weiters käme es als Folge der neuen Regelungen zu mehrfacher Versicherung über die Höchstgrenzen der Beitragspflicht hinaus.

Nun ist zu befürchten, daß die Bereitschaft zum Abschluß „freier" Arbeitsverhältnisse stark zurückgehen wird - sowohl bei den Auftraggebern, als auch bei den Auftragnehmern. Das ist beschäftigungspolitischer Wahnsinn. Wenn man das Ziel einer lückenlosen Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die Sozialversicherang erreichen will, hätte man sich entscheiden müssen, einfach jede Erwerbstätigkeit in den Schutz der Sozialversicherung einzubeziehen. An diesem letzten Schritt wird sicher auch kein Weg vorbeiführen. F> wird, solange es Höchstgrenzen für Beiträge gibt, von einer unbedingten Rückerstattung für. zu viel gezahlte Summen begleitet sein müssen, wenn mehrere Arbeitsverhältnisse nebeneinander bestehen.

Damit wäre freilich erst die Hälfte der Probleme gelöst. Denn bei den unselbständig Erwerbstätigen zahlt der Dienstgeber ungefähr die Hälfte der Beiträge. Gäbe es diese „Dienstgeberbeiträge" als Lohnnebenkosten nicht, könnte und müßte der Arbeitgeber einen entsprechend höheren Nettolohn zahlen. So wird ein ganz wesentlicher Teil dessen, was der Unternehmer für seine Beschäftigten aufwendet, gleich für soziale Zwecke abgezweigt.

Dem Fluch der bösen Tat wird man nur entgehen können, wenn man den Österreichern klarmacht, daß jeder seine Abgaben und Beiträge selber zahlen muß. Die Entwicklung geht mit absoluter Sicherheit dahin, daß auch die Arbeitnehmer steuerlich veranlagt werden und auf dieser Basis ihre Beiträge zur Sozialversicherung selbst abführen. Damit würden wir alle in abgabenrechtlicher Hinsicht quasi Unternehmer.

Freilich: die Fiktion des umfassend betreuten „Unselbständigen", dem alle Vorsorge vom Unternehmer oder vom Staat abgenommen wird, ist eine heilige Kuh, gegen deren Schlachtung alles aufmarschieren wird, was auf die gewerkschaftlichen und sonstigen Beine zu bringen ist. Doch wer das A zur Marktwirtschaft gesagt hat, muß auch das B zur wirtschaftlichen Selbständigkeit der Arbeitnehmer sagen. Damit ist keinesfalls eine Entrechtung gemeint, sehr wohl aber eine Befreiung von (gar nicht so frommen) Lügen.

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