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Der Bugdetkrach um die Frühpensionen

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Eine Reform der Frühpensionen - Streitpunkt in den Budgetverhandlungen - ist aus Expertensicht unvermeidlich.

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Eine Reform der Frühpensionen - Streitpunkt in den Budgetverhandlungen - ist aus Expertensicht unvermeidlich.

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Unversehens ist mit dem Ringen um den Bundeshaushalt 1996 ein Problem in die Mitte des politischen Interesses gerückt, das diese Aufmerksamkeit schon seit langem verdient hätte, bisher aber stets verdrängt oder beiseite geschoben wurde: Herr und Frau Österreicher flüchten in immer größerer Zahl aus dem aktiven Erwerbsleben in den frühzeitigen Ruhestand. Von den jährlich aus dem Arbeitsprozeß ausscheidenden Arbeifern, Angestellten und Selbständigen tun bereits über 70 Prozent dies vor der Zeit; das gesetzliche Pensionsalter von 65 für Männer und 60 für Frauen gilt zwar noch theoretisch, entspricht aber kaum noch der Wirklichkeit.

In kaum einem anderen Industriestaat finden sich unter den 55- bis 65jährigen so viele Rentner und so wenige Beschäftigte wie in Osterreich. Daher müssen auch in kaum” einem anderen Land die Aktiven so hohe Lasten der öffentlichen Altersversorgung in Form von Beiträgen und Steuern tragen, zumal die Ruhestandseinkommen im Durchschnitt relativ großzügig bemessen sind.

Während in den USA und Großbritannien mehr als 50 Prozent der Männer im Alter von 60 bis 65 lahren noch im Erwerbsleben stehen, in Schweden etwa 60 und in Ja-pan gar 75 Prozent, in Frankreich und Deutschland immerhin noch 30 Prozent, sind es in Osterreich nur etwa 15 Prozent. Im Laufe der Jahre ist das durchschnittliche Pensionsantrittsalter bis auf etwa 57 gesunken, in einigen Bereichen des öffentlichen Dienstes liegt es noch deutlich darunter.

Der Wege zur Frühpension gibt es mehrere. Nach 35 individuell erworbenen Versicherungsjahren steht das Tor zur Pension mit 60 beziehungsweise 55 offen, und nach Jahrzehnten wachsender Prosperität und hoher Beschäftigung erfüllen mehr und mehr Versicherte diese Voraussetzung. Geht der Erreichung dieser Altersgrenze längere Arbeitslosigkeit voraus, kann damit ebenfalls das Erwerbsleben beendet werden.

Schließlich gibt es die vorzeitige Pension wegen Erwerbsunfähigkeit („Invaliditätspension”). Obwohl sie den Leistungsanspruch an einen medizinischen Tatbestand knüpft, steigt die Zahl der Bezieher anfallend parallel mit jener der Arbeitslosen, sodaß die Vermutung naheliegt, daß auch sie teilweise zum Abbau überschüssiger Arbeitskräfte dient oder gar als arbeitsmarktpolitisches Instrument zur Vermeidung offener Arbeitslosigkeit eingesetzt wird.

Nicht nur die Verschlechterung der Arbeitsmarktlage verstärkt den Andrang zur Frühpension. Sie ist von ihrer Höhe und ihren Anspruchsvoraussetzungen her attraktiv sowohl für den Pensionswerber als auch- im Falle der Unselbständigen - für den Arbeitgeber. Für den Pensionisten ist der frühzeitige Übertritt in den Ruhestand mit relativ geringen Einkommenseinbußen verbunden: sie belaufen sich bei einem Vorziehen des Ruhestands um volle fünf Jahre auf etwa zehn Prozent, bei einem kürzeren Zeitraum entsprechend weniger.

Wägt beispielsweise ein Arbeitnehmer - so er den Zeitpunkt seines Pensionsantritts einigermaßen frei bestimmen kann - ab, mit 65 in Pension zu gehen und monatlich 15.000 Schilling zu erhalten, oder aber schon ab 60 regelmäßig 13.600 Schilling zu beziehen; wird seine Wahl vielfach auf letzteres fallen, wenn er dem Einkommensverlust den großen Gewinn an Freizeit gegenüberstellt. Auch die betriebliche Abfertigung, die er in jedem Fall, im ersten freilich fünf Jahre früher, erhält, mag ihn über die Pensionsdifferenz hinwegtrösten.

Für den Arbeitgeber ermöglicht die großzügige Frühpension, überzählige Arbeitskräfte - die noch dazu im Alter relativ teuer sind und den Höhepunkt ihrer Produktivität überschritten haben - zu vergleichsweise geringen Kosten und auf sozial verträgliche Weise abzubauen. Die betriebliche Abfertigung fällt ja in jedem Fall an, und der Kündigung wird die Härte genommen, wenn man den Freigesetzten ohnehin gut versorgt weiß oder wenn sie im Einvernehmen, gar auf Betreiben des Ausscheidenden erfolgt.

Für die Unternehmen, die unter zunehmend stärkeren internationalen Wettbewerbsdruck geraten, bietet daher die Frühpension eine Entlastung von Lohnkosten und eine Rationalisierungshilfe von Staats wegen. Im Zusammenspiel der Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern entsteht vielfach ein Vertrag zu Lasten Dritter - der öffentlichen Hand und letztlich der Steuer-und Beitragszahler.

Dieser „Vertrag” kommt die Volkswirtschaft insgesamt sehr teuer. Allein die direkten Kosten der Frühpensionen in der Sozialversicherung- ohne jene im öffentlichen Dienst, die pro Kopf deutlich höher sind - belaufen sich auf jährlich mehr als 23 Milliarden Schilling. Hinzu kommen indirekte Kosten, die durch den Ausfall an Sozialbeiträgen, teilweise auch an Steuern entstehen: jeder Frühpensionist erhöht nicht nur die Zahl der Bezieher staatlicher Transferleistungen, er verringert gleichzeitig die Zahl der Erwerbstätigen, die mit ihren Steuern und Versicherungsbeiträgen hiefür aufkommen.

In Summe verursachen die Frühpensionen Kosten, die den überwiegenden Teil jener mehr als 60 Milliarden Schilling ausmachen, die die Pensionsversicherung jährlich als Zuschuß seitens des Bundes benötigt und die zur Verschärfung der Budgetprobleme maßgeblich beitragen. Sie tragen auch dazu bei, daß Österreich im internationalen Vergleich hohe Pensionsversicherungsbeiträge und hohe Lohnnebenkosten aufweist, die einerseits die Wettbewerbsfähigkeit belasten, andererseits die Solidarität der jungen mit der älteren Generation zur Aufrechterhaltung des Pensionssystems gefährden.

Die Lösung des Problems besteht in erster Linie in der Einführung höherer „ Kosten-Wahrheit” im Pensionssystem. Wer gerne frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden möchte, sollte dies durchaus auch weiterhin tun können, nur mit entsprechenden Abschlägen von der Pensionshöhe, die im Verhältnis zur geringeren individuellen Beitragsleistung stehen. Auch die staatliche Pensionsversicherung ist in erster Linie eine Versicherung und sollte nach diesem Prinzip ein „Bonus-Malus-System” für den Pensionseintritt schaffen. Daß sie darüber hinaus auch Aufgaben des sozialen Ausgleichs und der Umverteilung hat, sei unbestritten; nur sollten diese Aufgaben nach Art, Umfang und Finanzierung transparent gemacht werden.

Ein Schutz des Arbeitnehmers, nicht gegen seinen Willen in die - dann niedrigere -Frühpension gedrängt zu werden, kann durch die Änderung einiger Rahmenbedingungen gewährleistet werden. So könnte die Abfertigung mit dem Abgangsalter des Arbeitnehmers degressiv gestaffelt werden: dies böte einerseits einen Anreiz, Arbeitskräfte bis zum gesetzlichen Pensionsalter zu beschäftigen; andererseits brächte es für die Unternehmen eine Entlastung von Lohnnebenkosten, die sie etwa veranlassen könnte, trotz der Weiterbeschäftigung Älterer auch neue (junge) Arbeitskräfte einzusetzen.

Eine Reform der Frühpension ist überfällig und scheint mittlerweile auch allen maßgeblichen politischen Akteuren notwendig. Der Wirtschaftsforscher hofft zumeist, daß aufgrund seiner empirischen Analyse die entsprechenden Maßnahmen vorausschauend getroffen werden. Die politische Realität sieht freilich anders aus: Reformen werden vielfach unter dem Diktat der leeren Kassen erzwungen. Insofern könnte selbst ein Budgetkrach sein Gutes haben.

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