6845146-1976_16_03.jpg
Digital In Arbeit

Das Unterhaltsrecht ist überholungsbedürftig

19451960198020002020

Die derzeit zur Beratung stehende Novellierung des 55 EheG darf nur als ein Mosaikstein im Rahmen der Neuordnung unseres Familienrechtes angesehen werden. Sozialversicherungsrechtliche Begleitmaßnahmen müssen daher gleichfalls in einem übergeordneten Zusammenhang betrachtet werden, der die bisher unternommenen Etappen der Familienrechtsreform ebenso berücksichtigt, wie sich abzeichnende weitere Entwicklungen. Im Hintergrund aller Reformbestrebungen steht das sich wandelnde Rollenverständnis von Mann und Frau: es gilt immer weniger als unabänderlich, daß die Frau den Haushalt besorgt und der Mann im wesentlichen für das Familieneinkommen sorgt. Auf dieser Vorstellung basierte aber bis vor kurzem das Unterhaltsrecht und in seinem Soge das Sozialversicherungsrecht.

19451960198020002020

Die derzeit zur Beratung stehende Novellierung des 55 EheG darf nur als ein Mosaikstein im Rahmen der Neuordnung unseres Familienrechtes angesehen werden. Sozialversicherungsrechtliche Begleitmaßnahmen müssen daher gleichfalls in einem übergeordneten Zusammenhang betrachtet werden, der die bisher unternommenen Etappen der Familienrechtsreform ebenso berücksichtigt, wie sich abzeichnende weitere Entwicklungen. Im Hintergrund aller Reformbestrebungen steht das sich wandelnde Rollenverständnis von Mann und Frau: es gilt immer weniger als unabänderlich, daß die Frau den Haushalt besorgt und der Mann im wesentlichen für das Familieneinkommen sorgt. Auf dieser Vorstellung basierte aber bis vor kurzem das Unterhaltsrecht und in seinem Soge das Sozialversicherungsrecht.

Werbung
Werbung
Werbung

Nehmen wir an, eine Frau hätte bis zum 20. Lebensjahr studiert, dann geheiratet und nach dreizehn Jahren läßt sich ihr Mann scheiden. Sie begänne ihr Erwerbsleben mit 33 Jahren und könnte bis zur Altersgrenze von 60 Jahren nur 27 Versicherungsjahre erwerben, eine Frühpension käme überhaupt nicht in Frage, da sie mit 55 Jahren nur 22 Versicherungsjahre und nicht die mindestens geforderten 35 Jahre aufweisen könnte. Wäre diese Frau hingegen während der Ehe berufstätig gewesen, erlitte sie keinen Nachteil ihrer Eigenversorgung.

Diese Ergebnisse beruhen auf einer strukturellen Schwäche unseres gesamten Pensionsversicherungs-systems. Dazu einige Beipiele: Ist nur der Ehemann pensionsberechtigt, dann bezieht er auch nach dem Tode seiner Ehefrau 100 Prozent seiner Pension; stirbt er dagegen zuerst, erhält seine Witwe nur 60 Prozent. Waren Mann und Frau erwerbstätig, erhalten beide im Alter volle Pensionen; stirbt der Mann zuerst, behält die Frau nicht nur die 100 Prozent ihrer eigenen Pension, sondern erwirbt zusätzlich 60 Prozent der Pension ihres Mannes; stirbt dagegen zuerst die Frau, er-' hält der Witwer nur seine eigene Pension. Ist die Witwe beim Tode ihres Mannes noch jung, erhält sie dennoch eine Witwenpension und kann nebenbei eine Erwerbstätigkeit ausüben; ist sie hingegen alt, bleibt sie auf die Witwenpension beschränkt. Ich habe daher schon verschiedentlich, zuletzt Ende 1974 (vgl. VersRdSch 1975, 147), vorgeschlagen, zu erwägen, von der Ehepaarversicherung zu einer Individualversiche-rung überzugehen. Die ebenfalls in Deutschland wahrnehmbare Schwäche des geltenden Pensionsversiche-rungssystems hat auch dort, und zwar ebenfalls anläßlich der Neuordnung des Unterhaltsrechtes, dazu geführt, daß die Grundkonzeption der Pensionsversicherung in Frage gestellt wurde. Ausgangspunkt aller Überlegungen war, daß die Anerkennung der Gleichwertigkeit der Arbeit im Haushalt mit einer Erwerbstätigkeit eine Systemänderung der Pensionsversicherung erforderlich macht. Dementsprechend will

man im Falle der Ehescheidung die während der Ehe erworbenen Pensionsanwartschaften zwischen Mann und Frau je zur Hälfte aufteilen. Das ist der Gedanke des Ehegattensplitting, wie er dem Regierungsentwurf des 1. Eherechtsreformgesetzes zugrundeliegt. In letzter Zeit ist man aber noch weiter gegangen. So hat vor allem die CDU das Modell einer Ehepartnerrente entwickelt. Nach diesen Vorstellungen soll die Aufteilung der Pensionsversicherungs-anwartschaften nicht erst im Falle der Ehescheidung erfolgen, sondern

auch bei aufrechter Ehe. Das bedeutet den Abschied von der Witwen-oder Witwerrente und den Übergang zu einem neuen System der In-dividualpension.

Will man in Österreich dem Gedanken des Ehegattenspliitting oder der Partnerrente nähertreten, müßte man aber anders vorgehen. Man könnte erwägen, die für jedes Versicherungsjahr anfallenden Steigerungsbeträge und den Grundbetrag der Pension aufzuteilen und jedem Ehepartner anteilsweise zuzuweisen. Dann erhielte in einer Ehe mit nur einem Erwerbstätigen jeder

Ehepartner die Ehejahre zwar voll für die Ermittlung der Versicherungszeiten angerechnet, erwürbe aber jeweils nur die halben Steigerungsbeträge und auch nur aliquote Anteile am Grundbetrag. Hätte zum Beispiel der Mann mit Aufnahme der Erwerbstätigkeit geheiratet, und wäre die Frau stets nur im Haushalt tätig gewesen, so hätten nach Erreichung der Altersgrenze mit einem Höchstausmaß von 45 Versicherungsjahren beide Anspruch auf eine Pension von 39,75 Prozent der Bemessungsgrundlage, also hier des versicherten Einkommens des Mannes. Im Ergebnis erhielten sie damit genau soviel wie heute. Der Unterschied würde erst bei Tod eines Ehepartners sichtbar. Stürbe der Mann, so erhielte die Witwe 75 Prozent der gemeinsamen Pension (gegenüber 60 Prozent heute), stürbe dagegen die Frau zuerst, dann fiele auch der Mann auf 75 Prozent zurück (gegenüber heute 100 Prozent). Stürbe -dagegen der Mann, während sich die Witwe noch in einem Alter befindet, in dem man ihr eine Erwerbstätigkeit zumuten kann, und hat sie auch keine Kinder zu erziehen, erhielte

diese Frau zwar keine Witwenpension, hätte aber Versicherungszeiten erworben, die sie bis zur Altersgrenze durch eigene Erwerbstätigkeit ergänzen könnte. Mit diesen Modifikationen wäre im Prinzip der Gedanke der Partnerrente auch in Österreich diskutierbar. Will man diesen Gedanken verfolgen, so läge es nahe, als ersten Schritt die Witwenpensionen für den Fall mangelnder Eigenversicherung und der Unzumutbarkeit eigener Erwerbstätigkeit auf 75 Prozent zu erhöhen. Gleichzeitig müßten aber wohl Ruhensbestim-mungen für den gleichzeitigen Be-

zug von Eigenpension und Witwenpension eingeführt werden.

Ein Nachteil bleibt freilich auch beim Rentensplitting und bei der Ehegattenrente erhalten, ein Nachteil, der allerdings auch unserem geltenden Pensionsversicherungssy-stem anhaftet. Alleinstehende erhalten heute bei gleichem Aktiveinkommen genau soviel Pension wie der Pensionist, der für eine Frau aufzukommen hat; erst der Witwer ist mit dem von Haus aus Alleinstehenden finanziell gleichgestellt. Die deutschen Pläne zur Individualver-sicherung verstärken diese Differenzierung weiter, da sich an der Rentenberechnung für die Alleinstehenden nichts ändern soll. Nach den deutschen Modellen würde daher bei gleichem Einkommen und gleicher Versicherungsdauer der Alleinstehende ebensoviel erhalten wie das Ehepaar zusammen, der Witwer würde hingegen auf 75 Prozent des Renteneinkommens des Alleinstehenden absinken. Das ist eine Konsequenz unserer Grundvorstellung, daß die Pensionen nur den Einkommensausgleich im Alter ausgleichen sollen; war der Alleinste-

hende im Erwerbsleben einkommensmäßig besser gestellt, so setzt sich das dann auch zwangsläufig in der Pension fort. Familienpolitisch ist dies ein Ärgernis, da es zu einer bleibenden Benachteiligung des Verheirateten führt und daher die Ehe diskriminiert. Die völlige Gleichbehandlung der Pensionsphase mit dem Erwerbsleben ist aber nicht zwingend. Es wäre denkbar, im Zuge eines Überganges vom geltenden Pensionssystem zu einer Individu-alversicherung auch mit dieser Diskriminierung der Verheirateten aufzuräumen. Dies könnte entweder in der Weise geschehen, daß für die Alleinstehenden ein etwas niedrigerer Prozentsatz bei der Pensionsberechnung in Anschlag gebracht werden könnte; hält man für die Sicherung des Witwers oder der Witwe etwa 75 Prozent des gemeinsamen Pensionseinkommens für gerechtfertigt, würde dies bedeuten, daß man die Alleinstehendenpension mit 75 Prozent ihres heutigen Wertes ansetzen müßte. Die andere Alternative bestünde darin, wie dies im Ausgleichszulagenrecht längst der Fall ist, Verheirateten einen Familienzuschlag zu gewähren, und die Berechnung der Alleinstehendenpen-sionen beizubehalten.

Vermischung von zwei Modellen Diese Überlegungen haben den archimedischen Punkt der Reformdiskussion freigelegt. Der berechtigte Unmut über die Ungleichbehandlung von Mann und Frau, die sich zumeist gegen die Frau, mitunter aber auch gegen den Mann auswirkt, darf nicht einfach dazu führen, daß allmählich die heute für ein Ehepaar gedachte Pension in Zukunft mehr oder minder beiden Ehepartnern zuerkannt wird, da dies

zu einer Aufblähung der Kostenbelastung führen müßte, die nicht mehr zu finanzieren ist. Die Neuregelungen dürften aber auch nicht dazu führen, daß jene Frauen, die ohnedies erwerbstätig sind und damit eine volle Alterssicherung besitzen, auch noch jene Leistungen erhalten, die für jene Frauen gedacht sind, die auf Unterhaltsleistungen angewiesen sind. Die Malaise, in der wir uns befinden, rührt daher, daß das österreichische Pen-sionsversicherungsmodell aus der Angestelltenversicherung hervorgegangen ist und der Gesetzgeber damals davon ausgehen konnte, daß die Angestelltenfrauen grundsätzlich nicht selbst erwerbstätig sind. Das ursprüngliche deutsche Modell für die Arbeiter sah demgegenüber konsequenterweise überhaupt keine Witwenrenten vor, da man bei Arbeiterfamilien annahm, daß die Frau ebenfalls verdiente. Die Vermischung beider Modellvorstellungen und die Kombination der Eigenversicherung mit den abgeleiteten Ansprüchen hat uns nun vor eine Situation gestellt, in der jeder Schritt weiter zu neuen Ungerechtigkeiten und kaum noch finanzierbaren Kostenbelastungen führt. Anderseits kann man an den erworbenen Anwartschaften und Ansprüchen nicht rütteln. Daher ist wahrscheinlich in der Tat der einzig zielführende Weg die Belässung des Status quo für die bestehenden Ehen und die Einführung eines neuen Systems für erst einzugehende Ehen.

Einen eigenständigen Ansatz zur Übertragung der Versicherungszeiten des Mannes auf die Frau kennt das österreichische Pensionsversiche-rungsrecht seit langem bei den Selbständigen. Führt die Witwe den Betrieb des verstorbenen Ehemannes durch mindestens drei Jahre weiter, so erwirbt sie die aus der Zeit der Ehe stammenden Versicherungsjahre des Mannes; dies gilt allerdings nur dann, wenn sie keine Witwenpension begehrt. Auch dieser Ansatz wäre erweiterungsfähig; man könnte daran denken, dem während der Ehe erwerbstätigen Ehegatten die Versicherungsjahre des verstorbenen Gatten aus der Zeit während der Ehe anzurechnen, sofern er eine gewisse Mindestdauer nach dem Tod seines Gatten durch eigene Erwerbstätigkeit pflichtversichert ist und auf die Hinterbliebenenpension verzichtet. Dies ließe sich auch auf die Scheidung erstrecken. Auch auf diese Weise ließen sich die Jahre der Haushaltsführung berücksichtigen. Wie immer man dies auch regeln will, der Verzicht auf eine unbedingt zu gewährende Hinterbliebenenpension schafft die Notwendigkeit zur Einführung eines neuen Versicherungsfalles: es muß eine eigenständige Leistung geben, wenn der Unterhaltspflichtige stirbt und der bisher Haushaltsführende nicht oder nicht mehr in das Erwerbsleben eingegliedert werden kann. Mit anderen Worten, zu den Versicherungsfällen des Alters und der geminderten Arbeitsfähigkeit muß dann ein Versicherungsfall der Unzumutbarkeit der Erwerbstätigkeit treten, über dessen Ausgestaltung noch diskutiert werden müßte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung