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Unterprivilegierte Witwe

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Erst hat es für die Finanzierung des Existenzminimums gerade noch gereicht, nach dem Tod des Mannes aber kommt für die Witwe zum persönlichen Verlust auch noch der finanzielle Schreck: die unwiderrufliche Umstellung auf die Witwenpension (und das wird nach einer geringfügigen Verbesserung ab dem 1. Juli 1971 die Verringerung auf 60 Prozent der Vollrente bedeuten). Die Witwenpension zwingt zu drastischen Einschränkungen in den Lebensgewohnheiten, öfter als man glaubt zur Aufgabe der Wohnung. Seit Jahr und Tag bekümmert die Sozialpolitiker in beiden politischen Lagern das Schicksal jener Frauen, deren Rente nach dem Tod des Ehemannes oft auf eine Existenzminimum schrumpft. Alle Vorschläge, dieses Schicksal zu mildem, sind von der sozialbürokratischen Prozentepolitik der Sozialexperten, links wie rechts, inspiriert. Ob Herbert Kohlmaier, Vorsitzender der ÖVP- Sozialpolitik oder Rudolf Häuser, Sozialminister im SPÖ-Kabinett: beide sind sozialpolitische Quantitätspraktiker, also ehrenwerte Männer ohne viel Glauben an eine qualitative Sozialpolitik.

Die unzureichende finanzielle Sicherung eines nicht unerheblichen Teils der Bezieherinnen von Witwenrenten beziehungsweise Witwenpensionen ist darauf zurückzuführen, daß die Rentenversicherung aus einer Zeit stammt, in der selbst gebildete Menschen es allenthalben als ausreichend ansahen, daß die Frau keinen eigenen Versicherungsanspruch erhält, sondern nur das Recht auf Mitversicherung als Angehörige in der Rentenversicherung ihres Mannes. Dieses Recht kann sie immerhin beitragsfrei ausüben. Das heißt, daß der Verheiratete nicht mehr Beitrag bezahlt als der ledige Versicherte bezahlt. Spielen bei dieser Konstruktion die Gesichtspunkte des Familienlastenausgleichs eine vernünftige Rolle, so müssen freilich Vorbehalte dagegen ab dem Zeitpunkt auftreten, da die Leistungsseite in Erscheinung tritt. Hier zeigt sich in der Rentenversicherung eine unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau, die heute den Politikern eigentlich doch schon als untragbar erscheinen müßte: ein Loch in der Emanzipation? Tatsächlich erhält nämlich in der gesetzlichen Rentenversicherung der Mann stets seine Vollrente, auch wenn im Alter seine Frau stirbt und er schließlich zum Witwer wird. Niemand denkt daran, diesem Witwer nunmehr die Rente zu kürzen, wie es im Fall seines Todes für die Witwe ganz selbstverständlich ist. Er behält seinen Rentenanspruch voll und ganz. Die Begründung, mit der diese unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau vielfach gerechtfertigt wird, kann kaum als stichhaltig gelten. Zwar hat der Mann diese Beiträge von seinem Arbeitslohn bezahlt, aber auf diese Anteile des Lohnes hat die Frau genau so verzichtet, weil ja dieses Geld in der Haushaltskasse fehlte. Die Tatsache, daß der Rentenanspruch von Mann und Frau gemeinsam durch Konsumverzicht erworben wird, widerspricht der ungleichen Behandlung von Witwer und Witwe.

Eine eigenständige „Hausfrauenversicherung“ als Konstruktion, wie sie immer in der sozialpolitischen Diskussion vorgeschlagen wird, ist kaum der Ausweg aus der Witwen-Malaise. Denn wer soll diese eigenständige „Hausfrauenversicherung“ bezahlen, wenn nicht die Hausfrauen, die wiederum kein Geldeinkommen besitzen?

Mehr Geld für die Rentenversicherung — das läßt sich am populärsten und zweifellos am leichtesten dadurch beschaffen, daß man den Staat neuerlich auffordert, die Bundeszuschüsse zu erhöhen. Weitaus solider wäre die Lösung, die Vollrente grundsätzlich nur noch an Rentnerehepaare auszubezahlen. Das heißt, für den Fall des Todes hätte auch der Mann nicht mehr die Vollrente, sondern eine reduzierte Rente zu erwarten.

Vielleicht würde eine solche Regelung die Finanzprobleme einer auf etwa 75 Prozent der Vollrente erhöhten Witwenpension gar nicht auftreten lassen, weil der dafür nötige Mehrbedarf durch Einsparungen wettgemacht wird, die mit der Verringerung der Vollrenten auch für den Mann beim Tod seiner Ehefrau zu erwarten sind. Bei einer solchen Regelung wären Mann und Frau nicht länger ungleich behandelt. Und das gängige Argument, die Frauen könnten sich leichter helfen als die Männer, die deshalb auch mehr Rente haben müßten, ist so lange indiskutabel, als den Frauen eben wegen dieser „Hilflosigkeit des Mannes“ mit einem Witwenrentenersatz von 60 Prozent gar nicht die Chance gegeben wird, finanziell zurechtzu- kommen.

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