6612883-1955_12_05.jpg
Digital In Arbeit

Ist das nicht Enteignung?

Werbung
Werbung
Werbung

Nach dem ab 1. Jänner 1939 in Oesterreich in Geltung gesetzten Recht der deutschen Reichsversicherungsordnung war der Staatspensionist, der in eine Privatbeschäftigung eintrat, von der Kranken- und Rentenversicherungspflicht ausgenommen, da der 173 der RVO. jede Person, die Ruhe- oder Wartegeld oder ähnliche Versorgungsbezüge erhielt, über ihren Antrag von der Krankenversicherungspflicht befreite; ähnliche Bestimmungen enthielt auch das Angestelltenversicherungsgesetz, in dem zusätzlich noch verlangt wurde, daß der Ruhe- oder Wartegeldbezieher daneben noch Anwartschaft auf Hinterbliebenenfürsorge haben mußte. Dies war ein vollkommen klarer Rechtszustand; der in eine Privatstellung eingetretene Staats- oder öffentliche Pensionist (Land, Gemeinde) zahlte keine Versicherungsbeiträge zur Kranken- und Rentenversicherung und hatte dementsprechend auch keinen Anspruch auf irgendwelche Leistungen. Er bezog weiter seine Staatspension, und im Krankheitsfalle wurde er, wie auch einst als aktiver öffentlicher Beamter, von dem zuständigem Beamtenkrankenversicherungsträger betreut.

Dieser klaren Rechtslage wurde nach Wiedererlangung der österreichischen Selbständigkeit durch das Sozialversicherungs-Ueberleitungs-gesetz ( 54 a) ein Ende gesetzt. Dieses hob alle bisherigen Bestimmungen über die Versicherungsfreiheit und die Befreiung von der Versicherungspflicht aus dem Grunde des Bezuges eines Ruhegenusses oder einer ähnlichen Leistung vauf. Dies bedeutete, daß der in einer Privatanstellung beschäftigte Staats- (Bundes-, Landes-, Gemeinde-) Pensionist nunmehr wie jeder andere Privatangestellte zur Kranken-und Rentenversicherung Beiträge entrichten mußte, wobei er dann im Erkrankungs- oder Berentungsfalle (Alter, Berufsunfähigkeit) die normalen gesetzlichen Leistungen erhalten sollte.

Die erste Benachteiligung in der Sozialversicherung, deren Mitglieder die privat-beschäftigten Staatspensionisten nunmehr — zumeist wohl gegen ihren Willen — geworden waren, brachte ihnen dann das Sozialversiche-rungs-Anpassungsgesetz 1951, das zum Ausgleich für die erhöhten Lebenshaltungskosten zu den Renten eine Ernährungszulage im Betrage von zuletzt 239 S bei Direkt- und von 147 S bei Hinterbliebenenrenten monatlich gewährte. Der 9 Punkt 4 dieses Gesetzes schloß nämlich vom Bezüge dieser Zulage alle Personen aus, die Anspruch auf einen Ruhe-(Versorgungs-) Genuß oder eine ähnliche Versorgungsleistung aus einem Dienstverhältnis hatten. Auch der ansonsten zu den Renten gewährten Wohnungsbeihilfe (30 S monatlich) wurden berentete Staatspensionisten nicht teilhaftig. Dies bedeutete, daß die Monatsrente des Bundespensionisten regelmäßig um 269 S niedriger war als die eines sonstigen Angestelltenrentners, der auf die gleiche Versicherungszeit hinzuweisen vermochte.

Das Rentenbemessungsgesetz (RBG.) vom 6. Juli 1954, das die Ernährungszulage aufhob, hielt diesen Zustand insoferne .vfrecht, als es im 6 Abs. 2 b, erklärte, daß bei Renten derjenigen Personen, die einen Anspruch auf einen Ruhe- (Versorgungs-) Genuß oder eine ähnliche Versorgungsleistung aus einem Dienstverhältnis besäßen, bei einer Versichertenrente 239 S und bei einer Hinterbliebenenrente 147 S monatlich- zu „ruhen“ hätten. Ruhen bedeutet hier, daß diese Kürzung sofort entfallen müßte, falls der berentete öffentliche Pensionist den Anspruch auf seinen Versorgungsgenuß verlieren würde.

Nunmehr wird seit etwa zwei Jahren im Ministerium für soziale Verwaltung am Entwurf für ein „Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG.)“ gearbeitet. Ueber seinen Inhalt drang schon durch geraume Zeit üble Kunde zu den Ohren der privatbeschäftigten öffentlichen Pensionisten; angeblich wolle man — so hieß es — den Rentenbezug neben einer Staatspension unmöglich machen Wenn dies nun auch nicht stimmt, so bringt doch der nunmehr fertiggestellte Entwurf den obgenannten Personen neue erhebliche Nachteile.

Der 91 b des Entwurfes lautet nämlich wie folgt:

(1) „Trifft ein Rentenanspruch aus der Pensionsversicherung mit einem Anspruch auf einen Ruheoder Versorgungsgenuß aus einem pensionsversiche-rui ?sfreien Dienstverhältnis zu einer öffentlichrechtlichen Körperschaft zusammen, so ruht der Rentenanspruch aus der Pensionsversicherung mit dem Grundbetrag, höchstens jedoch mit dem Grundbetrag des Ruhe- (Versorgungs-) Genusses.

(2) Als Grundbetrag gelten beim Ruhegenuß 30 Prozent der Ditnstbezüge, die zur Bemessung des Ruhe- (Versorgungs-) Genusses herangezogen wurden.

Als Bemessungsgrundlage für den Rentenanspruch aus der Pensionsversicherung gilt die im Durchschnitt der Bemessungszeit auf einen Monat entfallende Beitragsgrundlage, wobei für die Ermittlung der Bemessungszeit die letzten 60 Monate anrechenbarer Versicherungszeiten vor dem Bemessungszeitpunkt (Eintritt des Versicherungsfalles) heranzuziehen sind.“

Das heißt mit einfachen Worten: Dem Staatspensionisten, der als Privatangestellter tätig war und als solcher wie jeder andere Versicherte den vollen Versicherungsbeitrag zu leisten hatte, wird im Berentungsfalle der Grundbetrag, der 40 Prozent der Bemessungsgrundlage betragen soll, also bei kurzen Versicherungszeiten — und der Staatspensionist, der ja erst in sehr vorgerücktem Alter in die Angestelltenversicherung eintritt, kann ja nur solche erwerben —, weitaus den Hauptteil der Rente ausmacht, ganz oder zum Teil verweigert werden; er soll nur auf die dürftigen Steigerungsbeiträge angewiesen sein.

Nachfolgendes Beispiel möge das Ob-angeführte aufzeigen: Ein öffentlicher Pensionist, der durch zehn Jahre privat beschäftigt war, einen Monatsgehalt von 2000 S bezog und dann als berufsunfähig berentet wird, soll nicht die ihm zustehende Rente in der Höhe von 860 S monatlich, sondern bei „Ruhen“ des 800 S ausmachenden Grundbetrages lediglich 60 S monatlich beziehen!

Nur dann, wenn — in unserem Beispiel — der zu berentende Staatspensionist Aktivbezüge unter 2670 S monatlich seinerzeit in seiner Staatsstellung gehabt haben sollte, bleiben Teile des Grundbetrages aufrecht, die um so höher werden, je niedriger diese Bezüge waren; so bleiben beispielsweise bei einem früheren Aktivbezug in der Staatsstellung von 1500 S monatlich vom Grundbetrag der Rente 450 S erhalten, also auch hier noch immer ein Minus von 350 S monatlich gegenüber einem sonstigen Rentenbezieher.

Hier müssen sich die Organisationen der öffentlichen Pensionisten mit aller Entschiedenheit einschalten, solange es noch Zeit ist, um dieses Unrecht zu verhindern.

Dem Gesetzgeber aber ist vor Augen zu halten, daß es in diesem Falle nur eine einzige Alternative gibt: Entweder man erklärt ex lege die in eine Privatbeschäftigung eintretenden öffentlichen Pensionisten wieder für versiche-rrungsfrei oder aber man gewährt ihnen, falls man ihre Versicherungspflicht aufrechterhält, die ungekürzte, ihnen zustehende Rente.

Der Umstand, daß der Staat gegenwärtig 25 Prozent des Aufwandes der Rentenversicherung deckt, gibt ihm noch keinerlei Legitimation zu einem derart schweren Eingriff, wie ihn der Entwurf zum ASVG. gegenüber den öffentlichen Pensionisten beabsichtigt. Auch widerspricht dieser Vorgang durchaus der sonstigen Tendenz des Entwurfes, vom Versorgungsprinzip abzurücken und das Versicherungsprinzip wieder in den Vordergrund treten zu lassen; diesem letzteren aber ist jegliche Leistungskürzung auf Grund einer Bedürfnisprüfung unbekannt.

Möge der Gesetzgeber auch zur Kenntnis nehmen, daß in der deutschen Bundesrepublik, wo ja gleichfalls eine Neuregelung der sozialen Rentenversicherung vor der Türe steht, in dieser Frage der Standpunkt vertreten wird, daß eine Kürzung oder der Entzug von Leistungen, auf die der An-spruchdurchBeitragsentrichtung erworben wurde, nicht statthaft sei, da dies einer unzulässigen Enteignung gleichkäme. (Siehe die „Vorschläge für eine Neuordnung der sozialen Rentenversicherung“ der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung.)

Und es ist auch nichts anderes!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung