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Ministerium des guten Herzens

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Wenn der Verfasser von der Darstellung der Vorgeschichte der österreichischen Sozialpolitik in der Monarchie (in vergangener Nummer der „Furche”) nunmehr einen Sprung in die heutige Zeit über die so wichtige Ära Hämisch (1918 bis 1920) und über die darauffolgende Ära Resch- Schmitz sowie über die des Ständestaates und des NS-Staates macht, so geschieht das nicht, weil er die Bedeutung jener Zeit unterschätzt, sondern aus Raummangel.

Im Prinzip war der von Hanusch 1918 begonnene Aufbau seines Staatsamtes für soziale Verwaltung der gleiche wie der des Ministeriums heute. So wie alle Ministerien, widerspiegelt auch das Ministerium für soziale Verwaltung den föderalistischen Aufbau österreichischer Verwaltung: die von dein: Ministerium nur,,, koordinierten und kontrollierten Aufgaben und Losungen -werden von den Länder- und Gemeindeverwaltungen vollführt. Auf dem von der Sektion II betreuten, weitverzweigten Gebiet Sozialversicherung hat es das Ministerium mit den „Versicherungsträgem”, und zwar nicht als ausführenden Organen, sondern eifersüchtig auf ihre Autonomie pochenden Selbstverwaltungen zu tun. Es sind das neun Gebietskrankenkassen, neun landwirtschaftliche Krankenkassen, die des Bergbaus, der Eisenbahner, der Gemeindebediensteten und diverse Berufs-, Standes-’ und Betriebskrankenkassen. Hierzu gehören noch diverse Pensions- und Unfallversicherungsanstalten — alles in allem rund fünfzig Institutionen. Warum gibt es so viele verschiedene Versicherungsträger mit soundso vielen parallel nebeneinander wirkenden Verwaltungen? Weil es sie früher schon gegeben hat. Es waren ihrer damals noch viel mehr, nämlich all die verschiedenen Unterstützungskassen, die sich die Arbeiter in tausenden Betrieben und Standes- und Berufsvereinigungen gegründet hatten. Damals bestanden noch echte Selbstverwaltungen, und die wenigen Funktionäre und erwählten Ärzte dieser Kassen kannten jedes einzelne Mitglied und vice versa. Heute würde es — von verhältnismäßig wenigen Ausnahmen von Betriebskassen abgesehen — keinem Sozialversicherten auffallen, ob der Beamte oder Arzt, mit dem er es zu tun hat, einer Krankenkassa oder direkt einer einzigen zentralen und nationalen Einrichtung untersteht. Sektion III: Die Dschungelkrieger

Ihre wichtigste Funktion: die Probleme des Arbeitsrechtes zu formulieren und legistisch vorzubereiten. Als da sind:

1. Saisonarbeitslosigkeit.

2. Arbeitslose, die für die Altersrente zu jung und für die Personalchefs und Unternehmer weniger zu alt als z u erfahren, zu selbständig denkend und zu unbequem sind und zuviel Anspruchsberechtigung auf Anrechnung von Vordienstzeit besitzen, was teurer kommt als die Einstellung junger Leute.

3. Arbeitsbeschaffung in den österreichischen „Entwicklungsgebieten” durch Förderung von Betriebsgründungen (zum Teil mit Problem Nr. 1 verknüpft).

Haupthemmnisse : Konservativismus, Bequemlichkeit und Selbstzufriedenheit österreichischer Unternehmer. Zu diesen gesellt sich das Versagen der Arbeitnehmerorganisationen, das Problem wirtschaftlicher Expansion und Investitionen legislativ zur Diskussion zu stellen und einen entsprechenden Druck auf die Unternehmer auszuüben.

4. Kodifikation des Arbeitsrechtes, das heißt Schaffung einer einheitlichen Arbeitsverfassung. Als Forderung bereits von Hanusch in den zwanziger Jahren erhoben. Vollends nötig geworden durch einen Dschungel von rund 120 neben- und zwischeneinander bestehenden Verfügungen, Verordnungen und Gesetzen, die aus politisch und sozialpolitisch so verschieden denkenden Regimen, wie Monarchie, Erster Republik, Ständestaat, NS-Staat und

Zweite/ (Republik, stammen. Fliese Gesetze enthalten nebeneinander bestehende, gültige und doch verschiedene Regelungen der gleichen Angelegenheiten. Sie enthalten jedoch nicht die tausenden Entscheidungen, die Gerichte und Einigungsämter zur Ausfüllung von Lücken in unserer Sozialordnung getroffen haben.

5. Angleichung der Arbeiter an die Angestellten zum Beispiel bei Kündigungsterminen und -fristen, bei der Dauer von Urlauben und der hierbei geübten Berücksichtigung von Vordienstzeiten; weiter Bezahlung des Lohnes bei Krankheit, und von Abfertigungen bei Lösung von Dienstverhältnissen.

Das sind jedoch noch lange nicht alle Forderungen, die der Sozialminister zu stellen hat.

Sektion IV: Was niemals gutgemacht werden kann

Unsere Kriege kommen uns teuer zu stehen. Wir haben 153.475 Kriegsinvalide (Mindestgrenze des Grades der Arbeitsunfähigkeit = 25 Prozent), 110.520 Witwen und 27.006 Waisen (bis zum 18. Lebensjahr) nach gefallenen ‘ Soldaten. Wir müssen ihnen an Renten, Unterhaltsbeiträgen und Pflege- und anderen Kosten insgesamt 1.419,58 5.000 S alljährlich bezahlen. Die Summe ändert sich von Zeit zu Zeit, wenn die Renten wegen höherer Lebenskosten „nachgezogen” werden müssen. Das Vertrackte dabei ist, daß die „Nachziehungen” immer später erfolgen als die Erhöhung der Lebenskosten. Das trifft übrigens alle Unterstützungsempfänger, und eine automatische Angleichung ihrer Bezüge an den jeweiligen Lebensindex wäre längst vonnöten. Dies in bezug auf die überlebenden Geschädigten. Wer entschädigt die Toten?

Gewisse Narren wollen prinzipiell unterscheiden zwischen den Entschädigungen für die Opfer des vergangenen Krieges und denen für die potentiell Geschädigten des jetzigen Militärdienstes und künftiger Kriege. Doch wofür immer gekämpft wurde und werden wird: die einen wie die anderen wurden und werden niemals gefragt, ob sie in den Krieg ziehen wollten oder wollen.

Schon gar nicht aber wurden die politischen und die rassischen Opfer gefragt, ob sie solche werden wollten. Viel zu lange braucht es, um sie, was man so nennt, zu entschädigen. Ihre Zahl ist viel geringer, als sie in Wirklichkeit war: 21.450 Besitzer von Amtsbescheinigungen (von denen 9300 Renten als Opfer oder Hinterbliebene erhalten) und 16.920 Inhaber von Opferausweisen, die nicht rentenanspruchsberechtigt sind, weil bei ihnen keine ausreichende Schädigung festgestellt wurde, die aber Entschädigungen von 350 S pro Haftmonat (wird nun verdoppelt) erhalten. Neuerdings sind weitere Entschädigungen durch ebenso bescheiden gehaltene Beträge in Aussicht gestellt.

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