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Digital In Arbeit

HUMANISIERUNG DER ARBEITSWELT

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Die Anfang der siebziger Jahre massiv vorgebrachten Forderungen nach Humanisierung der Arbeit werden heute von weiten Bereichen der Gesellschaft anerkannt. Anerkennung allein genügt aber nicht, denn die Humanisierung muß auch realisiert werden.

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Die Anfang der siebziger Jahre massiv vorgebrachten Forderungen nach Humanisierung der Arbeit werden heute von weiten Bereichen der Gesellschaft anerkannt. Anerkennung allein genügt aber nicht, denn die Humanisierung muß auch realisiert werden.

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Nach wie vor ereignen sich in beängstigender Regelmäßigkeit jährlich mehr als 17.0000 Arbeitsunfälle. Die beruflich bedingten Krankheiten steigen großteils erschreckend an, obwohl nur ein Teil der durch die Arbeit ausgelösten Erkrankungen als Berufskrankheiten anerkannt werden. Zu viele Arbeitnehmer müssen wegen Berufsunfähigkeit frühpensioniert werden.

Wieviele Arbeitnehmer den verschiedensten Belastungen im betrieblichen Alltag ausgesetzt sind, verdeutlicht eine Erhebung des Statistischen Zentralamtes:

□ 1,123.000 fühlen sich durch starken Zeitdruck bei der Arbeit belastet;

□ 1,005.000 klagen über Lärm am Arbeitsplatz;

□ 855.000 meinen, daß sie bei akuter Unfallgefährdung arbeiten müssen;

□ 747.000 fühlen sich durch Dämpfe, Gase, Rauch oder andere gesundheitsschädigende Substanzen beeinträchtigt,

□ 683.000 klagen über starke körperliche Beanspruchung;

□ 563.000 klagen über einseitige körperliche Beanspruchung.

Das Ausmaß der Bedrohung der Gesundheit ist enorm. Die Gefährdung der Gesundheit der Arbeitnehmer darf nicht länger als normaler Bestandteil des betrieblichen Geschehens angesehen werden. Es ist höchste Zeit, daß die Arbeitsbedingungen an den Menschen angepaßt werden -und nicht umgekehrt. Auch die Hoffnung, daß der technische Fortschritt automatisch zu menschengerechten Arbeitsbedingungen führen wird, hat sich in weiten Bereichen der Industriegesellschaft nicht erfüllt.

Es ist eines der bedeutendsten sozialpolitischen Anliegen, die Arbeitsbedingungen so zu verändern und zu gestalten, daß sie als „menschengerecht" bezeichnet werden können. Eine Arbeit gilt aber erst dann als menschengerecht, wenn sie die Gesundheit des Menschen nicht gefährdet und ein Höchstmaß an Arbeitszufriedenheit und Wohlbefinden erreicht wird.

Die von der Arbeitswissenschaft formulierten Bewertungskriterien der Arbeit nach Schädigungsfreiheit, Beeinträchtigungslosigkeit, Persön-lichkeitsförderlichkeit und Zumutbar-keit bilden nach wie vor die Grundlage für die menschengerechte Gestaltung der Arbeit. Zur Erreichung der dargelegten Ziele ist die Durchsetzung insbesondere folgender wichtiger Forderungen notwendig: □ Die Schaffung eines einheitlichen Arbeitnehmerschutzrechtes für alle Arbeitnehmer. Beispielsweise werden

Teile des öffentlichen Dienstes, der Landwirtschaft und der Bergbau noch immer benachteiligt.

□ Die Einführung neuer Techniken und Organisationsformen der Arbeit muß vom Ergebnis einer „Arbeits-weltverträglichkeitsprüfung" abhängig gemacht werden.

□ Im Sinne eines optimal vorbeugenden Gesundheitsschutzes muß eine sicherheitstechnische und betriebsärztliche Betreuung für alle Arbeitnehmer durch die Errichtung arbeitsmedizinischer und sicherheitstechnischer Zentren gewährleistet werden. Derzeit werden aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur etwa 28 Prozent aller Arbeitnehmer erfaßt. Real werden allerdings nur etwa 15 Prozent aller Arbeitnehmer sicherheitstechnisch und arbeitsmedizinisch betreut, da ein Teil der Betriebe dem gesetzlichen Auftrag nicht nachkommt.

□ Die Ausbildung der Sicherheitstechniker ist möglichst rasch qualitativ und quantitativ so zu gestalten, daß auch sie der Verantwortung für den Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer entspricht. Bislang müssen Sicherheitstechniker mit einer Ausbildungsdauer von zwei Wochen das Auslangen finden. Auch die Ausbildung für Betriebsärzte ist hinsichtlich des Betriebspraktikums von derzeit zwölf Wochen auf zumindest 16 Wochen zu erweitern.

□ Den einzelnen Arbeitnehmern und ihren Interessenvertretungen müssen bei allen Entscheidungen, die die Arbeitssituation berühren, umfassende Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden.

□ Die Forschungsarbeit im Bereich des Arbeitnehmerschutzes ist zu intensivieren und die praxisnahe Umsetzung der Forschungsergebnisse ist zu gewährleisten. Dies könnte durch die Schaffung eines „Instituts für Arbeitnehmerschutz" ermöglicht werden.

□ Die kontrollierende und das Arbeitnehmerschutzgesetz vollziehende Behörde muß mehr Durchsetzungskompetenz gegenüber dem Arbeitgeber erlangen. Die bisherige Kompetenzteilung zwischen Arbeitsinspektion und Bezirksverwaltungsbehörde hat sich als nicht wirkungsvoll erwiesen.

□ Das Verfahren der Berufskrankheitenanerkennung ist zu vereinfachen und zu beschleunigen. Dabei muß es neben einer generellen Beweislastumkehr zu einer Stärkung der Patientenrechte der Arbeitnehmer gegenüber den zuständigen Versicherungsträgern kommen.

□ die Vergabe von öffentlichen Förderungsmitteln an Betriebe muß an den Nachweis der Einhaltung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen beziehungsweise den Nachweis einer Arbeitsweltverträglichkeitsprüfung gebunden werden.

Forderungen nach Humanisierung der Arbeit haben zum Ziel, die Lebens-qualität im Betrieb zu erhöhen und Gesundheitsschädigungen zu verhindern. Bemühungen zur Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes kommen daher meistens auch dem Gesund-heits- und Umweltschutz zugute. Die gesellschaftliche Diskussion um die Steigerung der Lebensqualität und die Zweifel an der Richtigkeit der Beurteilung des sozialen Fortschritts nach überwiegend monetären Gesichtspunkten, haben der Forderung nach einer humaneren Arbeitswelt Nachdruck verliehen.

Entscheidend wird aber auch sein, ob es möglichst rasch gelingt, den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu einem breiten öffentlichen Anliegen zu machen und ihm damit jenen Stellenwert einzuräumen, der ihm aufgrund seiner sozialen und ökonomischen Bedeutung eigentlich zukommt.

Der Autor ist Referent der Abteilung Arbeitnehmerschutz und Arbeitsplatzgestaltung in der Wiener Arbeiterkammer.

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