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SPÖ für Investitionslenkung und noch mehr Verstaatlichung

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Auf Veranlassung von Bundeskanzler Dr. Kreisky wurde als Vorarbeit für ein neues SP-Parteiprogramm ein Problemkatalog ausgearbeitet, der mit verblüffender Offenheit erkennen läßt, welche weitreichenden gesellschaftspolitischen Vorstellungen hinter dem Paravant einer sich oft geradezu betont bürgerlich gebenden Regierungspolitik im Kreise prominenter sozialistischer Intellektueller vertreten werden. Wie sollen die „grundlegenden Veränderungen im Bereich der Produktion, Verteilung und politischen Verwaltung“ aussehen, die gleichzeitig mit dem „Sozialisationsziel“ einer sozialistischen ErziehunesDolitik stattfinden sollen?

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Auf Veranlassung von Bundeskanzler Dr. Kreisky wurde als Vorarbeit für ein neues SP-Parteiprogramm ein Problemkatalog ausgearbeitet, der mit verblüffender Offenheit erkennen läßt, welche weitreichenden gesellschaftspolitischen Vorstellungen hinter dem Paravant einer sich oft geradezu betont bürgerlich gebenden Regierungspolitik im Kreise prominenter sozialistischer Intellektueller vertreten werden. Wie sollen die „grundlegenden Veränderungen im Bereich der Produktion, Verteilung und politischen Verwaltung“ aussehen, die gleichzeitig mit dem „Sozialisationsziel“ einer sozialistischen ErziehunesDolitik stattfinden sollen?

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In einer Epoche der Milliarden-Ver- lustgeschäfte gemeinwirtschaftlicher Unternehmungen zu Lasten der Steuerzahler mutet es wie ein Lauf der Lemminge an, die sich offenen Auges zu Tausenden in die Fjorde stürzen, wenn das „profitorientierte marktwirtschaftliche System“ verdammt und der gemeinwirtschaftliche Sektor „als Träger des materiellen und gesellschaftlichen Fortschritts“ forciert werden soll. So wird davor gewarnt, „auf die koordinierende Funktion des Marktes zu vertrauen“ und vielmehr „die Erstellung von Plänen und die Durchführung wirtschaftspolitischer Interventionen zum angemessenen Nutzen der gesellschaftlichen Ressourcen“ verlangt!

Trotz der offensichtlichen Fehlleistungen bei der Koordinierung selbst der eigenen Bauvorhaben, z. B. der Stadt Wien, von der verplanten U- Bahn bis zur Donauinsel, soll dem Beamtenapparat, der schon mit seinen heutigen Planungsaufgaben sichtbar überfordert ist, auch noch die Koordinierung der privaten Investitionsvorhaben überantwortet werden!

Die Dispositionsfreiheit und -Verantwortung der Unternehmer soll aber auch von unter her eingeengt werden, da die Sozialisten glauben, den „Vorrang der Unternehmensleitungen über den betrieblichen Entscheidungsprozeß nicht akzeptieren“ zu können.

Trotz guter Erfahrungen mit der Reprivatisierung öffentlicher Dienste soll an deren gemeinwirtschaftlichem Charakter nichts geändert werden, obwohl klar gesehen wird, daß die sozialistische Wohlfahrtspolitik an Finanzierungsengpässe stößt, die bei steigendem Steuerwiderstand noch zunehmen werden, und daß sich dies bei weiterer Arbeitszeitverkürzung und wegen der technologisch bedingten Produktivitätsunterschiede zwischen dem Marktsektor und dem öffentlichen Dienstleistungssektor verstärkt geltend machen wird.

Die Förderung privater Unternehmen (die gewährt wird, nachdem man ihnen die Eigenkapitalbildung weitgehend weggesteuert hat!) soll (zur Verbesserung der Kontrolle) im Wege der Beteiligung der öffentlichen Hand an diesen Betrieben erfolgen: Ein neuer Weg zur Verstaatlichung des Substanzzuwachses der privaten Wirtschaft. Überdies wird ein weiteres Vordringen der verstaatlichten Unternehmungen vor allem in jene hochtechnisierten Bereiche gefordert, die als „Schlüsselsektoren der industriellen Entwicklung“ angesehen werden können.

Statt aus den schlechten Erfahrungen mit der antizyklischen Globalsteuerung die Konsequenzen zu ziehen und mehr Stabilität durch weniger Staat anzustreben, wird die konjunkturpolitische Steuerung von Großinvestitionen durch Abstimmung und gezielten Einsatz aller Maßnahmen zur Investitionsforderung und der Unternehmenspolitik im verstaatlichten Sektor gefordert.

Von einer kaum zu überbietenden Naivität zeugt die Behandlung der Inflation. Die sie auslösende Ursache wird lediglich darin gesehen, daß die Unternehmen die Preise in Erwartung steigender nomineller Nachfrage bestimmen. Als einziges Instrument wird daher die Erweiterung der öffentlichen Kontrolle über den Preisbil dungsprozeß vorgeschlagen, obwohl diese noch nirgends funktioniert hat. Die Autoren dieses Problemkatalogs haben offenbar noch nie etwas gehört von einer Kosteninflation, und noch nie etwas gehört davon, daß auch Budgetdefizite, eine überdimensionierte Geldmengenexpansion oder eine exzessive Lohnpolitik etwas mit Inflation zu tun haben könnten!

Zwecks Humanisierung der Arbeitswelt wird gerade gegen jene Motivierungen polemisiert, auf die in sozialistischen Systemen kommunistischer Prägung mangels entsprechender An reize wieder zurückgegriffen werden mußte: So wendet sich der Problemkatalog gegen das „sogenannte Leistungsprinzip“ und gegen die „gesellschaftlich vermittelte Aufstiegsideologie“, von der behauptet wird, daß sie zu den „realen Aufstiegsbarrieren und strukturell knapp gehaltenen Privilegien im Kapitalismus“ in einem eklatanten Widerspruch stehe - als ob es irgend eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung geben könnte, in der alle aufsteigen und alle gleichzeitig Privilegierte sein könnten!

Die in Gewinn und Effizienz zum Ausdruck kommende und durch nichts ersetzbare Erfolgskontrolle wird als „prinzipiell .asoziales1 Milęro- kalkül“ bezeichnet und dessen Vorherrschen bei wirtschaftlichen Entscheidungen bedauert, da die gesellschaftlich anfallenden Kosten „verdrängt“ werden. Gerade die strenge Kontrolle, die mit dem betrieblichen Rechnungswesen verbunden ist, spricht dafür, diesem möglichst weite Produktions- und Verteilungsprozesse zu unterwerfen und möglichst wenige den öffentlichen Haushalten, deren Kosten-Nutzen-Abwägungen selbst dann viel weniger präzise sein können, wenn die Verantwortlichen das wirklich versuchen.

Die Vorschläge zur Verbesserung der Besitz-, Vermögens- und Einkommensverteilung beschränken sich auf eine nivellierende Lohnpolitik und eine (offenbar noch progressivere) Steuerpolitik bis zur Festsetzung einer maximal zulässigen Spannweite der Netto-Lohn-Einkommen! Zu einer weiteren Vermögensstreuung führen solche Maßnahmen sicherlich nicht. Darüber hinaus soll die Entlohnungspyramide sogar umgekehrt werden: Die wegen privilegierter Arbeitsbedingungen hoch bewerteten Berufe und Tätigkeiten sollen nicht auch noch hoch belohnt werden, sondern gerade entqualifizierende und leidvolle Arbeit.

Zu den einzelnen Teilgebieten, wie Sozialversicherung, Wohnen, Landwirtschaft und internationale Wirtschaft, sind noch Ergänzungen angekündigt. - Was immer das Schicksal dieser Vorschläge bis zur endgültigen Formulierung des neuen Parteiprogramms sein wird, die Vorstellungswelt sozialistischer Systemveränderer wird man nicht aus dem Auge verlieren dürfen.

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