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Der Markt braucht keine Bürokraten

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Dem liberalen Mißtrauen gegenüber unkontrollierter Machtausübung vor 100 Jahren entspricht heute das Mißtrauen gegen die Allgegenwart des Staates in der Wirtschaft.

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Dem liberalen Mißtrauen gegenüber unkontrollierter Machtausübung vor 100 Jahren entspricht heute das Mißtrauen gegen die Allgegenwart des Staates in der Wirtschaft.

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Österreich hat, wie viele andere moderne Industriestaaten, in seiner jüngeren Geschichte ein umfassendes Instrumentarium der Wirtschaftslenkung sowie der Einflußmöglichkeiten in fast allen Bereichen des menschlichen Lebens aufgebaut.

Vieles davon ist aus einem modernen Staatswesen nicht mehr wegzudenken und galt bis vor einiger Zeit als unumstrittene Errungenschaft. In der jüngeren Zeit müssen einem Zweifel kommen. Zwei grundsätzliche Gefahren sind unübersehbar geworden: • ein ständiger Zuwachs an bürokratischen Institutionen und damit ein Zurückdrängen der Bereiche unserer Gesellschaft, in denen Marktmechanismen dominieren;

# die ständig wachsende Machtkonzentration in der Wirtschaft durch ein Zuviel an Staat; wobei mit Staat alle Bereiche von der Bundesregierung bis zur Gemeindevertretung und den Kammern sowie kammerähnlichen Organisationen gemeint sind.

Die starke Verbindung von Staat und Parteimacht mit ihren starr zugeteilten Interessenzonen bewirkt einen gefährlichen Verlust von Freiheit für den einzelnen. In Zeiten wirtschaftlichen Wachstums wird dieser Freiheitsverlust allerdings nicht schmerzlich empfunden und daher häufig sogar wissentlich akzeptiert.

Ein Zuviel an Bürokratie bewirkt außerdem eine große Unbe-weglichkeit; Kritiker sprechen längst von Sklerose. Strukturen werden eingefroren. Ein Wandel ist wegen des starren Eigenlebens bürokratischer Strukturen kaum möglich.

Innovationen sind daher im direkten wirtschaftlichen Bereich bei Uberlagerung durch bürokratische Strukturen kaum mehr möglich, im außerwirtschaftlichen Bereich noch weniger vorstellbar.

Es fehlt die Macht des marktmäßigen Wettbewerbs unter Einfluß des Konsumenten, der zwar auf Bürokratien über den Umweg der Wahl theoretisch in regelmäßigen Abständen erfolgt, in Wahrheit jedoch auch bei größeren wahlmäßigen Verschiebungen tatsächlich kaum Veränderungen festgefahrener Strukturen erreichen kann.

Damit zeigt sich ein Paradoxon unserer modernen Gesellschaft: der Staat ist zwar bestrebt, vor privaten Monopolen zu schützen, gleichzeitig weitet er aber seine eigenen Machtkonzentrationen ständig aus. Diese aber erfahren durch die Eigendynamik eingeführter bürokratischer Strukturen wieder eine Verselbständigung und sind damit letztlich kaum noch von außen kontrollierbar oder veränderbar.

Im direkten Bereich der Wirtschaft ergibt sich längst eine Zweiteilung insofern, als sehr viele große Wirtschaftsunternehmen im direkten öffentlichen Einfluß stehen. Im kleinwirtschaftlichen Bereich hingegen dominiert das Privateigentum, das ansonsten durch die Tendenzen der letzten Jahrzehnte aus dem produktiven Bereich in den rein privaten Nutzungssektor umgeleitet worden ist.

Am deutlichsten sichtbar ist dies an der Entwicklung des Indi-vidualverkehrs und dem an sich erfreulichen Trend zum Eigenheim, aber auch im direkten Konsum: statt Aktionär wird der Besserverdienende heute Weltreisender.

Die jüngste Mitbestimmungsdiskussion zeigt ein anderes interessantes Paradoxon: bwohl noch nie in der Geschichte so viele Menschen in der Lage wären, sich an den Produktionsmitteln zu be* teiligen und damit Einfluß auf das wirtschaftliche Handeln zu nehmen, wird diese Entwicklung steuerlich eher hintangehalten.

Gleichzeitig aber fordert man ständig neue Mitbestimmungsrechte für die Arbeitnehmer — oder besser: für deren Organisationen — und schwächt damit die Dispositionsmöglichkeit des Kapitalgebers.

Mehr Mitarbeiterbeteiligung wäre die einfachste Form der Mitbestimmung und ein wirkungsvoller Weg zu mehr Produktivvermögen in Arbeitnehmerhand.

Vor diesem Hintergrund ertönt nun der Ruf nach Privatisierung staatlicher Unternehmungen. In welchen Bereichen kann Privatisierung sinnvollerweise überhaupt stattfinden?

Einmal auf allen Gebieten, wo hoheitliche Macht mit wirtschaftlicher Machtausübung zusammenfällt; also nicht nur in der verstaatlichten Industrie, sondern genauso bei allen wirtschaftlichen Tätigkeiten von Gemeinden oder anderen öffentlichen Institutionen.

Vor einer radikalen Eigentumsumschichtung sollte jedoch jener Weg fortgesetzt werden, der in vielen Fällen bereits erkennbar ist: weg von bürokratisch geführten Wirtschaftsbereichen und hin zu ökonomisch geführten Führungsstrukturen.

Der nächste Schritt wäre eine strikte Wettbewerbsgleichheit zwischen privaten und öffentlichen Anbietern von Produkten oder Dienstleistungen, also ein Nebeneinander in möglichst allen Wirtschaftsbereichen. Dazu gehört, daß auch öffentliche Wirtschaftsunternehmen unter strenge Kartellregeln zu fallen hätten.

Für die Privatisierung von Wirtschaftsunternehmen der öffentlichen Hand sollten die gleichen Regeln gelten wie sie bei Privaten wirken: ein Privater trennt sich üblicherweise von Produk-tiwermögen, wenn er Liquidität schaffen muß, d. h. wenn er Geld braucht oder wenn er keinen Erfolg erzielen kann bzw. langfristig auf einem bestimmten Sektor keine positiven Zukunftserwartungen hat.

Gerade die aktuelle Diskussion über zusätzliche Förderungen für die verstaatliche Industrie könnte für beide Fälle Beispiele bringen.

Vorgaben in diese Richtung dürften jedoch nicht kurzfristig gegeben werden, da dies nur zu einer Verschleuderung von öffentlichem Eigentum führen könnte. Vielmehr sollten die Vorgaben in Form von mittelfristigen Zielsetzungen an die jeweils Verantwortlichen formuliert werden.

Nicht nur Verstaatlichte

Unternehmensanteile oder ganze Unternehmen sind unter Druck nicht sinnvoll zu verkaufen. Umschichtungen müssen vorsichtig und mit viel Geschick durchgeführt werden und keinesfalls unter ständiger öffentlicher Diskussion.

Ein dritter Aspekt, der für ein Abgeben von öffentlichen Wirtschaftsbereichen in private Hand spricht, wäre der, daß die Tätigkeiten nicht in ein modernes, liberales Staatssystem passen. Auch dafür gibi es in Österreich Beispiele von wirtschaftlichen Aktivitäten der öffentlichen Hand.

Die Konzentration aller Privatisierungsforderungen auf den direkten Bereich der produzierenden Wirtschaft erscheint jedoch aus liberaler Sicht als ein Fehler. Es sollte jede staatliche Tätigkeit, insbesondere außerhalb des hoheitlichen Handels, daraufhin überprüft werden, ob sie durch Private nicht adäquater, effizienter und billiger besorgt werden kann.

Dies trifrt sicher auch auf Bereiche außerhalb der Wirtschaft zu, wie etwa Unterricht, Bildung, Wissenschaft, Forschung, Freizeitgestaltung oder die soziale Absicherung in verschiedenen Lebenssituationen.

Dem liberalen Mißtrauen gegen unkontrollierte Machthaber vor rund hundert Jahren - gegen autonome, nichtstaatliche Machtträger wie Adel und Kirche - ist nach den nunmehrigen Erfahrungen das Mißtrauen gegen den unkontrollierten Staat zur Seite zu stellen. Seine Besorgung diverser Aufgaben ist daher ebenso grundsätzlich in Frage zu stellen.

Oer Autor ist Mitglied des Vorstandes der Wienerberger Baustoffindustrie.

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