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Mehr Sauerstoff in die Wirtschaft

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Mehr privat - weniger Staat sind heute Schlagworte zur Bewältigung von Wirtschaftsproblemen. Im Buch „Staat, laß nach“ werden konkrete Vorschläge gemacht.

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Mehr privat - weniger Staat sind heute Schlagworte zur Bewältigung von Wirtschaftsproblemen. Im Buch „Staat, laß nach“ werden konkrete Vorschläge gemacht.

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Seit 1970 wächst der öffentliche Sektor schneller als das Volkseinkommen. Seit 1960 wurde der Anteil der Selbständigen an den Erwerbstätigen praktisch halbiert, und erstmals gibt es in unserem Lande mehr Beamte als Industriebeschäftigte. In der Schweiz wird, um diesen Trend zu brechen, eine Verfassungsbestimmung überlegt, wonach die öffentliche Hand prinzipiell nur dann Arbeiten übernehmen soll, wenn sie selbst nachweisen kann, daß diese Arbeiten besser und billiger von ihr erbracht werden können.

In einem Interview mit der angesehenen Zeitung „Liberation“ sagte die französische Industrie-und Außenhandelsministerin Edith Cresson: In gewissen Fällen könne sie sich ohne weiteres eine Verminderung der staatlichen Beteiligung an der Industrie vorstellen, obwohl sie Ministerin jener linken Regierung ist, die am 11. Februar 1982 sieben große Konzerne, obendrein 39 Banken und zwei mächtige Finanzgesellschaften verstaatlicht hatte. „Es ist absurd, in dieser Frage eine systematische, ideologische Meinung zu vertreten“, fuhr Edith Cresson fort und verursachte damit in den Reihen der Sozialisten wie der Kommunisten einen Sturm der Entrüstung.

Dennoch wollen mehr und mehr Staatskonzerne Tochtergesellschaften für gutes Geld verkaufen! Die französische Regierung bereitete sogar einen eigenen Gesetzesentwurf vor, der den An-und Verkauf von Beteiligungen durch Staatskonzerne regeln sollte. Das Gesetz hieß eigenartigerweise „loi de respiration“ (Atmungsgesetz): Dem öffentlichen Sektor sollte durch den Verkauf einzelner Betriebe „Sauerstoff“ zugeführt werden können. Aber Premierminister Laurent Fabius wagte bisher noch nicht, dieses heiße Eisen dem Parlament vorzulegen.

In Österreich kommt die Debatte um den Rückzug von Staatsaufgaben erst langsam in Gang. Der Gesamtrahmen einer neuen Politik, einer Politik der „Enttäuschung“, müßte folgende Aufgabengebiete umfassen:

• Entbürokratisierung( Deregulierung): Das bedeutet Vereinfachung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie den Abbau bürokratischer Erschwernisse für den Bürger. Derzeit machen immer mehr Beamte (im Jahr 1900 kam ein Beamter auf 100 Einwohner, 1980 ein Beamter auf 23 Einwohner) immer mehr Gesetze (mittlerweile sind es 24.784), die immer mehr in alle Lebensbereiche eingreifen und immer unverständlicher werden. Neben der „Einsparung von Gesetzen und Vorschriften“ sollte man Gesetze, Verordnungen und Erlässe auf ihre Auswirkungen stärker überprüfen und ihre Effizienz nach einer bestimmten Zeit kontrollieren.

Unter Privatisierung von Dienstleistungen versteht man im allgemeinen die Übertragung von öffentlichen Aufgaben auf andere Träger. E s gibt dabei verschiedene Formen: Die Übertragung von öffentlichen Aufgaben auf private

Unternehmen in deren volle Verantwortung und Entscheidung; die Übertragung lediglich der Durchführung von öffentlichen Aufgaben an private Unternehmen sowie die Übertragung von Hilfstätigkeiten der öffentlichen Hand auf private Unternehmen.

Die Beispiele von Privatisierung im Bereiche der Kommunalpolitik in Österreich sind bereits Legion. Von Buslinien, Bädern, Sport- und Freizeitanlagen über Gebäudereinigung, Gärtnereien, Straßenreinigung und Restaurantbetriebe zeigen die Beispiele, daß Dienstleistungen durch Übertragung an private Unternehmer (und daher durch privatwirtschaftliche Führung) für den Konsumenten oft preiswerter und besser erbracht werden konnten. Überdies wurden die Gemeindebudgets dadurch entlastet. Jüngstes Beispiel einer erfolgreichen Privatisierung ist der Grazer Schlachthof. Auf Initiative des ÖVP-Vizebürgermeisters Erich Edegger wurde er gegen massiven Widerstand der Gewerkschaft verkauft.

Der Grazer Schlachthof ist ein Beispiel erfolgreicher Privatisierung.

0 Änderung der Organisationsform öffentlicher Aufgaben: Dies bedeutet die Umwandlung einer Bundes-, Landes- oder Gemeindestelle in eine privatrechtliche Wirtschaftsform (Kommerzialisierung). Es handelt sich dabei um einen Kompromiß: Aus der Einsicht der Notwendigkeit größerer Effizienz und Wirtschaftlichkeit einerseits, dem Widerstand gegen Veränderung der Eigentumstitel andererseits kommt es immer wieder zur Umwandlung öffentlicher Betriebe in privatwirtschaftliche Organisationsformen. So wurde in der ö VP-Alleinregierung die ÖIAG (eine Dachorganisation der verstaatlichten Betriebe) eingerichtet, in Wien die Wiener Holding als Mutter-Gesellschaft vieler städtischer Beteüigungen; die Grazer Stadtwerke, die in Form einer Aktiengesellschaft geführt werden, von der die Gas- und Stromversorgung sowie der städtische Verkehr betreut werden.

Das Land Steiermark hat die Krankenhäuser aus der unmittelbaren Landesverwaltung in eine Holding-Aktiengesellschaft übertragen. In Linz sind die städtischen Betriebe in zwei Gesell--schaften privatwirtschaftlich organisiert, von denen die eine die Versorgung mit Strom und Fernwärme und den öffentlichen Nahverkehr betreibt, die andere die Gas- und Wasserversorgung, Abwässer, Hafen, Installationsdienst, Werkstätten und Bäder. • Selbstorganisation Mehr und mehr übernehmen auch in Österreich Bürgergruppen, Selbsthüfeorganisationen, Vo-lunteergroups und Vereine in Gemeinden Aufgaben, die von der öffentlichen Hand nicht (oder nur unzureichend) erfüllt werden (können). Dies betrifft vor allem den Gesundheits- und Sozialbereich, den Kultur- und Freizeitbereich sowie den Bereich des Umweltschutzes.

Die Motive für das Entstehen derartiger Gruppen sind unterschiedlich, doch zeigen diese Initiativen, daß nicht für alle gesellschaftlichen Probleme die öffentliche Hand zuständig sein muß, daß eine durch Selbstorganisation erbrachte Leistung oft besserund billiger sein kann und daß Eigeninitiative zu einem brüderlichen Solidari-sierungseffekt beiträgt.

Nun hat aber der Staat seit den Zeiten Josefs II. in Osterreich einen ganz besonderen Stellenwert. Trotz der Skepsis gegenüber der staatlichen Leistungskraft, dem Ärger über mangelnde Servicequalität und der Verbitterung über die hohen Kosten dominiert ein noch aus der Monarchie nachwirkender Glaube an die Rolle des Staates, der Regierung und der

Bürokratie. Obrigkeitsstaatliche Erwartungshaltungen setzen sich im wohlfahrtsstaatlichen Versorgungsdenken fort. Es wird sicherlich nicht leicht sein, derartige Einstellungen von heute auf morgen zu ändern. Vielleicht vermag der Druck der öffentlichen Meinung einen Schub zu bewirken von einer geistigen Mentalität der Ärmelschoner zu initiativem unternehmerischen Denken.

Das Buch „Staat, laß nach“ von Wolfgang Schüssel und Johannes Hawlik erscheint demnächst im Herold Verlag. Johannes Hawlik ist OVP-Gemeinderat in Wien, Wolfgang Schüssel Generalsekretär des Wirtschaftsbundes der OVP.

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