"... an der Politik spurlos vorbei gegangen"

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Politologe Emmerich Talós über die Folgen politischer Fehlleistungen für atypisch Beschäftigte.

Die Furche: Im Zusammenhang mit der steigenden Zahl an atypisch Beschäftigten haben Sie einmal von einem "unumkehrbaren Entwicklungstrend" gesprochen...

Emmerich Talos: Ja, denn eine kontinuierliche Vollzeitbeschäftigung mit sozialrechtlicher Absicherung war die Grundfigur der Erwerbsarbeit im 20. Jahrhundert. Für das 21. Jahrhundert ist aber davon auszugehen, dass die von diesem Normalarbeitsverhältnis abweichenden Formen die Norm werden. Darum wird die Bezeichnung "atypisch" auch bald keinen Sinn mehr machen.

Die Furche: Woher kommt diese Entwicklung?

Talos: Die Unternehmen, die selbst unter dem internationalisierten Druck von Flexibilität stehen, setzen immer mehr atypisch Beschäftigte ein, die selbst ebenfalls flexibler sind, etwa zur Abdeckung von Produktionsspitzen. Und sie sind auch billiger.

Die Furche:: Der Grundgedanke des Arbeitsrechts ist es, den schwächeren Partner eines Arbeitsvertrages, also den Arbeitnehmer, zu schützen. Atypisch Beschäftigte genießen keinen besonderen Schutz. Hat hier die Sozialpartnerschaft versagt?

Talos: Sozialpartnerschaftliche Interessenpolitik stellte traditionell ab auf das Normalarbeitsverhältnis. Und bei den Gewerkschaften gab es lange Zeit Vorbehalte gegenüber jeder anderen Form. Die Gewerkschaften können ja auch viel besser die organisieren, die ständig im Betrieb sind und deren Interessen viel stärker auf den Betrieb fokussiert sind, als jene, die nur am Rand eingebunden sind. Daher haben die Gewerkschaften auch einige Zeit dieser Entwicklung mit großer Skepsis gegenüber gestanden, was strategisch ein großer Fehler war. Sie haben erst sehr spät begonnen, auf die veränderten Bedingungen zu reagieren.

Die Furche: Wie behandelt die Politik das Thema?

Talos: Nehmen wir zum Beispiel die Pensionsreform. Die Absenkung des Leistungsniveaus, die generell gilt, wird dazu führen, dass Menschen mit langen Phasen atypischer Beschäftigungen mit einem noch höheren Ausmaß an Problemen für ihre soziale Absicherung rechnen müssen. Dieser Entwicklungsprozess auf dem Erwerbsarbeitsmarkt ist an der Politik spurlos vorbei gegangen. Sie verstärkt sogar die Ungleichheiten, die jetzt schon da sind, noch mehr. Denn wenn auf betriebliche Altersvorsorge umgestellt wird, wird es diese für viele ja gar nicht geben. Oder die Arbeitslosenversicherung, die nicht in der Lage ist, die Probleme zu lösen. Wenn jemand teilzeitbeschäftigt ist und arbeitslos wird, kann er eigenständig nicht überleben. Und freie Dienstnehmer sind erst gar nicht arbeitslosenversichert. Diese Veränderungen der Erwerbsarbeitsbedingungen schlagen sich auf allen Feldern sozialer Absicherung nieder.

Die Furche: Wenn die atypischen Beschäftigungsformen zunehmen, heißt das also, dass das Niveau sozialer Sicherheit sinkt?

Talos: Sofern nicht gegengesteuert wird, ja. Es gibt ja Länder mit anderen Systemen, etwa Dänemark, das eine Grundsicherung kennt. Jeder, der 40 Jahre in diesem Land gelebt hat, bekommt eine Grundsicherung, ungeachtet dessen, wie viel er gearbeitet hat. Die negativen Effekte der atypischen Beschäftigung sind hier eingedämmt. Während sie in einem System wie Österreich, wo es eine solche Grundsicherung nicht gibt, auf die Betroffenen durchschlagen. Österreich ist auf die Entwicklungen des Arbeitsmarktes mit seinem sozialen Sicherungssystem, das im wesentlichen nur den dauerhaften Vollerwerbstätigen kennt, nicht vorbereitet.

Das Gespräch führte Claudia Feiertag

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