"Patriarchale Strukturen aufbrechen"

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Staatssekretärin Muna Duzdar über die Bringschuld von Asylwerbern und Migranten, die Kopftuchdebatte und ihre Pläne, den Arbeitsmarkt der Integration anzupassen.

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Staatssekretärin Muna Duzdar über die Bringschuld von Asylwerbern und Migranten, die Kopftuchdebatte und ihre Pläne, den Arbeitsmarkt der Integration anzupassen.

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Mona Duzdar ist seit 2016 Staatssekretärin für Integration. Im FURCHE-Interview skizziert sie ihre Vorstellungen zu einer gelungenen Integration und spricht über Frauenrechte in einer pluralistischen Gesellschaft: Das Kopftuch bei Mädchen hält sie für "absolut unerwünscht" .

Die Furche: Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, "Integration hat Vorrang vor Neuzuzug". Heißt das, Österreich sollte künftig möglichst weniger neue Flüchtlinge aufnehmen?

Muna Duzdar: Priorität hat die Integration jener vielen tausenden Menschen, die jetzt hier sind. Von offenen Grenzen war nie die Rede. Als im Sommer 2015 viele Menschen zu uns kamen, ging es in erster Linie darum, Unterkunft und Verpflegung zu sichern. Die jetzige Herausforderung ist die längerfristige Integration, da müssen wir mehr aufs Gaspedal steigen. Das ist im Sinne der Betroffenen und der Aufnahmegesellschaft. Laut der Studie des Roten Kreuzes zahlen Asylberechtigte derzeit mehr ein als sie rausbekommen. Wenn man nicht bald Integrationsangebote schafft, kann das negative Entwicklungen in der Gesellschaft haben.

Die Furche: Was erwarten Sie sich vom im September anlaufenden Integrationsjahr, also von den schneller startenden Deutschkursund Arbeitsmarktmaßnahmen für Asylberechtigte und Asylwerber mit hoher Bleibe-Wahrscheinlichkeit?

Duzdar: Wir schaffen jetzt die Strukturen dafür und binden Länder und NGOs ein. Die Einbindung der Experten ist mir ganz wichtig, damit die Maßnahmen am Boden der Realität ankommen. Ich erwarte mir positive Effekte für die Gesellschaft, die wird man erst in einigen Jahren sehen. Ganz wichtig ist, dass junge Menschen mit Bildungs- und Arbeitsmaßnahmen rechtzeitig integriert werden. Überall, wo ich hinkomme, heißt es, dauert alles viel zu lange. Aber jedes Monat ist für einen 17-Jährigen eine Ewigkeit. Bislang gab es zu wenig Bewusstsein dafür, welche Probleme entstehen, wenn Leute zur Untätigkeit verdammt sind. Wir haben gesehen, welchen Kraftakt es braucht, Leute aus der Untätigkeit zu holen. Wenn man ihnen keine Chancen bietet, soll man sich nicht wundern, dass sie in der Mindestsicherung landen. Asylwerber werden derzeit noch zur Untätigkeit erzogen.

Die Furche: Wie soll sich das konkret ändern?

Duzdar: Sprachkenntnisse auf dem Niveau A2 reichen nicht, um einen Job zu finden. Wir schauen jetzt mittels Kompetenzchecks, wie man die mitgebrachten Qualifikationen einsetzen kann. Wer aus der Gastronomie kommt und noch jung ist, wird möglichst in diesem Bereich untergebracht. Wenn man so ein flächendeckendes Integrationsprogramm österreichweit erstmals durchzieht, dann sollten die Leute selbsterhaltungsfähig sein und zur Gesellschaft beitragen können. Ich glaube, einige Syrer werden sich auch selbstständig machen im gastronomischen Bereich. Da werden viele kleine und mittlere Unternehmen gegründet werden.

Die Furche: Zum Thema Beschäftigungsbonus für AMS-Gemeldete: Glauben Sie, damit kann man den Zuzug aus ärmeren osteuropäischen Ländern eindämmen?

Duzdar: Arbeitslosigkeit zu bekämpfen ist das Um und Auf. Das ist immer ein Ziel der Sozialdemokratie gewesen. Dafür muss man auch Arbeitgeber entlasten. Es gibt wenig Schlimmeres für einen Menschen als Arbeitslosigkeit, wir definieren uns über Arbeit.

Die Furche: Was genau verstehen Sie unter gelungener Integration? Reicht es, wenn die Leute sich selbst erhalten, oder schließen Sie da auch kulturelle und soziale Normen und Werte ein?

Duzdar: Für mich bedeutet gelungene Integration vor allem, dass Leute Zugang zur Gesellschaft bekommen. Teil der Gesellschaft wird man in erster Linie über Arbeit und Bildung. Wir leben in einer freien, pluralistischen Gesellschaft. Da sollen Frauen gefördert und bestärkt werden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das kann nicht ohne Spracherwerb funktionieren.

Die Furche: Zur Frage der Holschuld und Bringschuld: Was kann man von der Aufnahmegesellschaft erwarten in puncto Entgegenkommen gegenüber Flüchtlingen und Migranten?

Duzdar: Wenn Menschen zu uns kommen, kann und soll man ihnen etwas abverlangen. Es ist in ihrem Interesse, Teil der Gesellschaft zu werden, und diese Chance bekommen sie durch das Integrationsjahr. Die Angebote müssen aber auch angenommen werden, daher ist das Integrationsjahr verpflichtend. Da haben wir einen Paradigmenwechsel geschaffen: Wir setzen frühzeitig an und verlagern alle Angebote nach vorne. Bisher mussten die Leute monatelang auf Deutschkurse warten, hatten nach zwei Jahren nur A2-Niveau. Wie soll man einem 19-Jährigen dann erklären: "Jetzt hast du einen positiven Asylbescheid und gehst arbeiten"? Der bekommt keinen Job.

Die Furche: Welche Integrations-Maßnahmen hätten Sie noch gerne durchgesetzt, die am Nein der ÖVP gescheitert sind?

Duzdar: Ich hätte gerne für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die nicht mehr schulpflichtig sind, die Jugendcolleges bundesweit ausgerollt. Gerade in die jungen Leute, die hier bleiben werden, muss man investieren. Auch die Ausbildungspflicht für Asylwerber hätte ich gerne bundesweit verankert. Aber der Dienstleistungscheck für Asylwerber ist ein guter und richtiger Schritt. Und mit gemeinnützigen Arbeiten können sie die Wartezeit nutzen, bekommen eine Tagesstruktur, es fördert den Kontakt mit der Bevölkerung. Wo wir uns auch gegenüber der ÖVP durchgesetzt haben: Unternehmen, die Asylberechtigte nach dem Integrationsjahr beschäftigen, erhalten eine Eingliederungsbeihilfe.

Die Furche: Was genau stört Sie an der Kopftuch-Debatte, wie Sie von Minister Kurz geführt wird?

Duzdar: Da ging es um den öffentlichen Dienst. Ich habe von Anfang an gesagt, man darf nicht nur eine Religion herauspicken, wenn es um Kleidervorschriften geht. Wir haben uns im Integrationspaket auf ein Neutralitätsgebot geeinigt, das vor allem adressiert ist an Berufsgruppen in der Hoheitsverwaltung mit Dienstkleidung.

Die Furche: Hätten Sie gerne ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen gehabt?

Duzdar: Ich war für Neutralität bei Richterinnen, Staatsanwältinnen und Polizistinnen, weil das Berufsgruppen sind, die besonders unbefangen sein müssen. Da darf die politische und religiöse Weltanschauung keine Rolle spielen, es darf keine Einflussnahme auf die Urteilsfindung geben.

Die Furche: Bis zu welchem Alter sollte es Ihrer Meinung nach ein Kopftuchverbot geben?

Duzdar: Wenn ich höre, dass Mädchen im Kindergarten oder der Volksschule Kopftuch tragen, verstehe ich das überhaupt nicht. Dafür gibt es nicht einmal eine theologische Grundlage. Das ist absolut unerwünscht, da muss man stark auf die Eltern einwirken. Es darf nicht sein, dass Mädchen nicht in allen Bereichen dieselben Möglichkeiten erhalten. Rechtlich ist es schwierig zu regeln, wie man das bei Minderjährigen verbieten kann, weil ja die Eltern die Rechtsvertreter sind.

Die Furche: Wie gelingt es am ehesten, abhängige Frauen in die Selbstständigkeit zu führen?

Duzdar: Das ist der springende Punkt. Viele Frauen kommen aus patriarchalen Strukturen, die gilt es aufzubrechen. Frauen sollen wissen, dass sie Zugang zu Frauenberatungsstellen, Unterstützung und Informationen erhalten. Ganz wichtig ist dabei, unterstützende Angebote mit niederschwelligem Zugang wie etwa Frauenhäuser zu verstärken. Mir ist auch wichtig, über Empowerment Bewusstsein zu schaffen und Diskussionen loszutreten, klar zu sagen: Jungen und Mädchen haben an allen Schulexkursionen, Turnunterricht etc. teilzunehmen.

Die Furche: Wie (un)zufrieden sind Sie mit den Status quo der Integration jener Menschen, die in den letzten Jahren aus Syrien, Irak, Afghanistan gekommen sind?

Duzdar: Es war zu wenig. Integration ist ein Prozess, dahinter muss ein Plan stehen. Integration fällt nicht vom Himmel. Wir müssen stark aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Hätte es das Integrationsjahr schon vor Jahren gegeben, hätte es den Eltern, den Kindern, allen geholfen. Wir brauchen eine Integration von Anfang an. Da haben wir noch einiges vor uns.

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