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1,5 Millionen Österreicher haben Migrationshintergrund, im Nationalrat sitzt nur eine. In der Politik ist Vielfalt mehr Rhetorik als Programm.

In der Bezirkspolitik, erzählt Alev Korun, war ihre Herkunft fast nie ein Thema. Seit sie aber für die Grünen im Parlament sitzt, als erste Frau mit türkischen Wurzeln, als einzige Abgeordnete mit Migrationhintergrund überhaupt, ist das anders. "Und wie schaut’s in der Türkei aus?“, wird ihr bei Plenardebatten ins Wort gefallen. Mit "Ich würde mir wünschen, dass Sie Ihren Landsleuten die Leviten lesen“-Rufen wird sie unterbrochen, sie, die schon fast ein Vierteljahrhundert in Österreich lebt. "Das Etikett ‚Migrant‘ pickt fest“, sagt Korun.

Auch Muna Duzdar kennt dieses Etikett. "Man wird als Sonderling gesehen, gilt als anders“, erzählt die 33-jährige Wienerin, deren Eltern aus Palästina kommen. Heute sitzt Duzdar für die SPÖ im Bundesrat. Für sie war es gerade die Politik, die ihr aus der Schublade heraushalf: "Mit 16 bin ich der sozialistischen Jugend beigetreten, dort gab es das Etikett nicht. Da hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass ich Österreicherin bin.“

Korun und Duzdar sind in der politischen Landschaft Österreichs Ausnahmeerscheinungen. Obwohl 18,6 Prozent der Österreicher Migrationshintergrund haben, gibt es auf Bundesebene nur vier Volksvertreter, die selbst oder deren Eltern nicht in Österreich geboren wurden. In den Landtagen haben nur 13 von 448 Abgeordneten Migrationshintergrund.

"Wenn ein erheblicher Teil der Bevölkerung in einem demokratischen System nicht repräsentiert ist, verliert die Demokratie an politischer Legitimation“, sagt der Wiener Migrations- und Integrationsforscher Bernhard Perchining dazu. Unter den Migranten führt das zu einem Verlust von Identifikation mit dem Staat und zu einer politischen Orientierung hin zum Herkunftsland. Und die ganze Bevölkerung verliert so die Sensibilisierung für die Anliegen von bestimmten Gruppen.

Wähler? Ja, bitte! Abgeordneter? Nein, danke!

"Zu den Parteien ist es noch nicht durchgedrungen, dass sie die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegeln sollten“, sagt der grüne Bundesrat Efgani Dönmez. Als wichtige Wählergruppe sieht man Zuwanderer und ihre Kinder mittlerweile zwar, mitmachen lässt man sie aber nicht so gerne. "Oft werden sie nur als Aufputz in den Wahlkampf geschickt“, bemerkt Korun. Bei der letzten Wien-Wahl 2010 etwa setzte die SPÖ allein 66 türkischstämmige Kandidaten auf die Liste für den Landtag. Einen Neu-Einzug schaffte keiner von ihnen. Die ÖVP verräumte im selben Wahlkampf die etablierte türkischstämmige Gemeinderätin Sirvan Ekici auf einen hinteren Listenplatz, und gab einem Promi-Migranten, dem Schwimmer Dinko Jukic, den Vorrang. Auch er ergatterte kein Mandat. "Es ist falsch, Leute auf die Liste zu setzten, wenn man nicht gewillt ist, ihnen Beteiligung zuzugestehen“, meint Asdin El Habbassi, "und wer sich engagieren will, soll das nicht nur gezielt für eine ethnische Gruppe machen, sondern sich in den Dienst der ganzen Bevölkerung stellen.“ Der 25-Jährige ist seit Jänner Landesobmann der Jungen ÖVP Salzburg. Sein exotischer Nachname, den er von seinem marokkanischen Vater hat, hat ihn seither öfter in die Schlagzeilen gebracht, als ihm lieb ist. "Mir geht das ziemlich auf die Nerven“, sagt der Student, der in Salzburg geboren wurde "Ich bin genauso wenig Migrant wie jeder andere durchschnittliche Salzburger.“ Seinen politischen Fokus legt er nicht auf Integrations- und Migationspolitik, sondern engagiert sich im Bildungs- und Jugendbereich. Auch Munar Duzdar versucht sich in ihrer politischen Arbeit bewusst diesen Themen zu entziehen: "Auch Menschen mit Migrationshintergrund haben andere Qualifikationen, sie sollten nicht darauf reduziert werden.“

Der schwierige Weg aus der Migranten-Schublade

Im politischen Alltag gehört das aber zur Tagesordnung, der Migrationshintergrund tritt oft in den Vordergrund. "Es ist schwer auszubrechen. Bei vielen beschränkt sich die politische Arbeit auf Integrationsthemen“, kritisiert Efgani Dönmez, der selbst seinen Fokus auf diese Agenden legt. "Weil ich mich als Sozialarbeiter schon im Studium darauf spezialisiert habe, nicht weil ich Migrationshintergrund habe. Das ist ja lächerlich. Ich war drei Monate alt, als ich nach Österreich kam, und werde trotzdem als ‚mit Migrationshintergrund‘ wahrgenommen.“ Auch Dönmez’ Parteikollegin Alev Korun ist Integrations- und Menschenrechtssprecherin der Grünen, auch sie wegen ihrer beruflichen Expertise. "Migrant-Sein allein ist kein Programm, und nicht alle Zuwanderer sind Migrationsexperten“, meint sie:"Es fehlt an Vorbildern, die zeigen, dass Migrant-Sein nicht das einzige Merkmal ist.“

"Es ist unglaublich wichtig, dass man in der Politik Türen für Zuwanderer aufmacht“, sagt Bernhard Perchinig. Die Parteien müssen offener werden, Leute ansprechen und ihnen interne Aufstiegskanäle eröffnen. Und auch die Strukturen, meint Perchinig, müssen sich ändern: "Es wäre klug, eine Politik zu entwickeln, die die Staatsbürgerschaft als Integrationsschritt sieht, und nicht als ihren Endpunkt.“ Schnelle Einbürgerungsmechanismen oder die Entkoppelung des Wahlrechts von der Staatsbürgerschaft fördern die politische Partizipation von Zuwanderern. Und die macht die Gesellschaft nicht nur demokratischer, sondern kann - wie bei Muna Duzdar - auch der Weg aus dem Ausländer-Eck sein: "Mich hat mein Engagement der Gesellschaft sehr nahe gebracht.“

Irgendwann, da sind sich alle Betroffenen einig, werden die Dönmez’ und Duzdars, die Koruns und El Habbassis für genauso wenig Irritation sorgen wie die Caps, die Buseks oder Klestils. Wann es soweit ist, liegt auch an den Faymans, Spindeleggers und Mikl-Leitners.

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