Gut integriert, aber ohne Wahl

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Über 835.000 Menschen mit Migrationshintergrund dürfen bei der Nationalratswahl nicht ihre Stimme abgeben. Viele von ihnen leben seit langem hier: Sie arbeiten, zahlen Steuern, ziehen ihre Kinder auf. Experten stellen Österreich kein gutes Demokratie-Zeugnis aus.

"Ich bin ein Unternehmer und Arbeitgeber in Österreich und setze mich als Medienmacher für Integration ein“, sagt der Verleger Dino Sose. Seit 2005 lebt der gebürtige Bosnier, der das Magazin Wiener Vielfalt herausgibt, in Österreich. Wählen darf er hier allerdings nicht. Wie Sose geht es vielen Menschen mit Migrationshintergrund. "Einerseits sind wir schon längst Teil der Gesellschaft und Leistungsträger, andererseits werden wir aus der wichtigsten politischen Entscheidung ausgeschlossen“, beklagt er. Immerhin haben 40 Prozent der klein- und mittelständischen Unternehmer in Wien einen Migrationshintergrund.

Das Wahlrecht hierzulande ist aber an die österreichische Staatsbürgerschaft geknüpft. Diese kann man nach frühestens sechs Jahren Aufenthalt im Land beantragen - sofern man als "gut integriert“ gilt. "Ich bin laut Regierung nicht gut integriert. Denn während dieser sechs Jahre muss man mindestens drei Jahre lang über 800 Euro zur freien Verfügung gehabt haben“, kritisiert Sose. Das bedeutet, dass nach Abzug von Miete, anderen Fixkosten und etwaigen Krediten noch mindestens 837,63 Euro vom Netto-Lohn übrig bleiben müssen. "Weil ich viel in die Firma investiert habe, meine Frau studierte und wir zwei Kinder haben, sind uns nicht jedes Monat 800 Euro übrig geblieben“, erklärt Sose.

Der 38-Jährige ist auf den Plakaten für die erste "Pass egal-Wahl“ abgebildet, die SOS Mitmensch am kommenden Dienstag vor dem Innenministerium abhalten wird. Bei der "Pass egal-Wahl“ sind alle wahlberechtigt, die in Österreich ihren Lebensmittelpunkt haben, aber keinen österreichischen Pass besitzen. "Damit vervollständigen wir symbolisch die offizielle Nationalratswahl“, erklärt SOS Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak.

Verschärfte finanzielle Hürden

SOS Mitmensch kritisiert die hohe Einkommenshürde im Staatsbürgerschafts-Gesetz: "Es gibt mehr als 600 Berufssparten, bei denen auch eine Vollzeitbeschäftigung nicht genügend Lohn abwirft, um als Alleinerhalter einer Familie die Einkommenshürde für die Einbürgerung zu überspringen. Diesen hart arbeitenden Menschen zu sagen, sie würden nicht genug leisten, um vollwertige Bürger zu sein, ist eine Unverschämtheit und untergräbt unsere Demokratie“, so Pollak.

Wie es also zu rechtfertigen ist, dass jemand wie Sose als "nicht gut integriert“ gilt? Dazu war im Innenministerium und im Staatssekretariat für Integration niemand zu einer Stellungnahme bereit. Was Sose am meisten ärgert: "Die von uns verlangte Integration wird uns verweigert. Denn Integration bedeutet gesellschaftliche Teilhabe, Mitgestaltung. Herr Kurz sagt, das käme am Ende des Integrationsprozesses, als Zuckerl quasi.“

Gratis ist aber auch die Beantragung der Staatsbürgerschaft nicht. Je nach Bundesland kostet das zwischen 1000 und 2000 Euro. Zum Vergleich: Die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen, kostet 255 Euro. Auf seine österreichische Staatsbürgerschaft wird Sose noch länger warten müssen: "Wenn ich in drei Jahren das Geld habe, dauert es erfahrungsgemäß noch mindestens drei weitere Jahre, weil die bürokratischen Mühlen so langsam arbeiten.“ Auch an den Nationalratswahlen 2018 wird er wohl nicht teilnehmen dürfen.

61 Prozent aller Menschen mit Migrationshintergrund - das sind über 835.000 Personen - sind bei diesen Nationalratswahlen nicht wahlberechtigt. Diese Grupppe ist fast drei Mal so groß wie die Bevölkerung des Burgenlands. Auch 43.000 potenzielle Erstwähler sind vom Wahlausschluss betroffen. "Wer weder wählen noch kandidieren darf, ist zum politischen Desinteresse verdammt“, so Pollak.

Derzeit dürfen ansässige EU-Bürger nur auf Gemeindeebene - in Wien nur auf Bezirksebene - und bei den Europawahlen wählen. Drittstaatsangehörige haben kein Wahlrecht. Von regionalen und nationalen Wahlen sowie Volksabstimmungen, Volksbefragungen und Volksbegehren sind alle Ausländer ausgeschlossen. Das ist nicht überall so: Weltweit haben 48 Länder unterschiedliche Formen des Wahlrechts für Nichtstaatsbürger. Eine Wahlrechtsstudie des European University Institute stellt Österreich ein schlechtes Demokratiezeugnis aus: So zählt Österreich zur Minderheit der EU-Staaten, in denen das Wahlrecht strikt an die Staatsbürgerschaft gekoppelt ist.

In Wien und Graz gibt es schon länger Bemühungen, niedergelassenen Drittstaatsangehörigen ein kommunales Wahlrecht zu geben. "Die Wiener ÖVP-FPÖ-Opposition blockiert die Neuerung eines Wahlrechtes für Drittstaatsangehörige“, kritisiert die Grüne Integrationssprecherin Alev Korun. Indessen wächst die Zahl der stimmlosen Ausländer jährlich. In Wien sind bereits 21 Prozent der Menschen im Wahlalter nicht wahlberechtigt. Der Politologe und Demokratieforscher Gerd Valchars erkennt in diesem Trend ein demokratiepolitisches Problem: "Die allgemeine Wahl ist keine allgemeine mehr, wenn die Politik nicht mehr die Legitimierung von allen Bevölkerungsteilen erhält. Folglich stehen die politischen Entscheidungen nicht für die gesamte Bevölkerung.“ Damit werde ein demokratisches Grundprinzip unterwandert: Wer von politischen Entscheidungen betroffen ist, sollte an deren Zustandekommen auch mitwirken dürfen. "Die Leute, die nicht wählen dürfen, sind nicht sichtbar. Das ist nicht nur eine politische, sondern auch eine symbolische Ausgrenzung“, gibt Valchars zu bedenken.

Hier geboren, aber Ausländerin

Auch die Italienerin Evi Genetti ist davon betroffen. Die Managerin lebt seit über 20 Jahren in Wien und ist Mutter einer kleinen Tochter. Als EU-Bürgerin hat Genetti nur ein Wahlrecht auf Wiener Bezirksebene. Genetti wählt in Italien, aber die italienische Politik betrifft ihr Leben und das ihrer Familie nicht mehr. "Es ist frustrierend, nicht über die Bildungspolitik mitbestimmen zu dürfen, die meine Tochter betreffen wird“, sagt sie.

Weil Chiara als uneheliches Kind kurz vor Inkrafttreten der Staatsbürgerschafts-Novelle im August 2013 geboren wurde, gilt sie nicht als österreichische Staatsbürgerin. "Ich habe gemeinsam mit einem Österreicher eine Tochter, die hier geboren wurde, und jetzt gilt Chiara als Ausländerin, obwohl sie noch nie im Ausland war“, sagt die 40-Jährige kopfschüttelnd. Sie befürchtet, dass ihre Tochter als "Ausländerin“ immer wieder benachteiligt sein wird: "Alleine die Geburtsanmeldung oder die Beantragung von Kinderbetreuungsgeld ist mit vielen bürokratischen Hürden verbunden“, sagt Genetti.

Chiara wird später einmal nicht hier wählen dürfen. Verfassungsjuristen prognostizieren zwar, dass die Bedeutung der Staatsbürgerschaft künftig abnehmen werde, die Gleichbehandlung von EU-Bürgern sich verfestigen werde. Bis es aber soweit ist, darf Chiara nicht mitbestimmen.

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