6701494-1963_32_04.jpg
Digital In Arbeit

Soll die Familie wählen?

Werbung
Werbung
Werbung

Zur Zeit wird eine Änderung des österreichischen Wahlgesetzes diskutiert. In diesem Zusammenhang will auch die Stimme eines Abgeordneten gehört werden, der sich zum Dolmetsch eines alten Lieblingswunsches des Katholischen Familienverbandes macht.

Die „Furche“

Schon wiederholt hat der Österreichische Familienverband, der mehr als 300.000 Mitglieder zählt und die Sammlung der diözesangegliederten katholischen Familienverbände darstellt, das Familienstimmrecht gefordert.

Was will denn nun das Familienstimmrecht? Bei der Zusammensetzung des Nationalrates wird die Familie mit Kindern, freilich nur unvollkommen und nur in groben Umrissen, durch die Verteilung der Nationalratsmandate nach Bundesbürgern und nicht nach der Zahl der Wähler etwas berücksichtigt. Auch bei der Entsendung der Ländervertreter in den Bundesrat spielt nicht die Zahl der Wähler eine Rolle, sondern iene der Einwohner in jedem Bundesland. Wird nun bei Volksabstimmungen die Beschlußfassung über Gesetze von den gesetzgebenden Körperschaften, in denen die Familie wenigsten indirekt in Erscheinung tritt, ohne Berücksichtigung des Familienstimmrechtes nur auf die Wähler übertragen, kommt die Familie zu kurz. Die bundesstaatliche Gemeinschaft bildet jedoch nicht die Zahl der Wähler, sondern die Bundesbürger. Daher auch der Volksentscheid durch alle Bundesbürger. Wir wollen also niemandem das Stimmrecht wegnehmen, wir wollen es nur nach dem Gleichheitsgrundsatz unserer Bundesverfassung allen zukommen lassen. Die Zahl der Stimmen würde sich dabei um ein gutes Viertel erhöhen. Bis zum Wahlalter des Kindes hätten dabei die gesetzlich vorgesehenen Vertreter das Stimmrecht, die Eltern für ihre Kinder, die das Wahlalter noch nicht erreicht haben, in gestörten Familien und bei ledigen Kindern der Erziehungsver-pflichtete usw.

Das Abstimmungsgeheimnis bleibt voll gewahrt; die Mehrarbeit ist nicht übermäßig. Dem Abstimmungsberechtigten werden für seine Schutzbefohlenen entsprechend mehr Stimmen zugezählt.

Ein Beispiel soll dies verständlich machen: Eine Mutter hat zusätzliche Stimmrechte für zwei noch nicht erwachsene Kinder. In der Stimmliste sind für sie drei Stimmen vermerkt; im Stimmlokal erhält sie drei Kuverts und drei Stimmzettel. Sie gibt, aus der Wahlzelle kommend, drei Kuverts ab. Um die Führung der Stimmlisten zu erleichtern, wäre es vertretbar, Kleinkinder erst nach einem gewissen Alter und mit dem Stichtag des Abschlusses der Stimmlisten zu zählen. So würde die Stimmenzahl in einer Gemeinde nahe an die Einwohnerzahl heranreichen.

Kein neues Kurienwahlsystem

Wäre das Familienstimmrecht nicht allenfalls ein Rückfall in das bei uns längst abgetane Kurienwahlsystem (Zensuswahlsystem)? An sich hat das Stimmrecht mit dem Wahlrecht zur Wahl des Bundespräsidenten, in die gesetzgebenden Körperschaften usw. nichts zu tun. Weiter hat das Kurienwahlsystem sozial gesehen die höheren Einkommensträger bevorzugt. Von Familien mit mehr Kindern kann man im Durchschnitt wohl eher das Gegenteil behaupten. Zudem konnte im Kurienwahlsystem auf die bevorzugten Gesichtspunkte, wie Besitz, Einkommen und anderes, jederzeit und ohne gesetzliche Beeinflussung oder Behinderung verzichtet werden.

Dagegen können sich die Eltern, oder, wo dieser familienrechtliche Schutz nicht ausreicht, der Vormund, nicht oder nur schwer dieses Auftrages entziehen. Diese Verpflichtung nimmt der Gesetzgeber entsprechend dem allgemeinen Volksempfinden sehr ernst und legt Strafen bis zum Höchstausmaß fest. Würde das Familienstimmrecht dem Kuriensystem auch nur verwandt sein, müßte bei uns noch das ältere römische Recht gelten, bei dem der Vater absolute Herrengewalt ausübte, die ihm sogar über „Leben und Tod“ seiner Kinder freie Hand ließ. Bekanntlich haben die Eltern die gemeinschaftliche Pflicht, für die Erziehung, das leibliche und geistige Wohl des Kindes zu sorgen, auch dann zu sorgen, wenn sie selbst Not leiden.

Wo der Gesetzgeber unabdingbare Pflichten auferlegt, muß er auch entsprechende Rechte bereithalten. Nur wenn tunlichst alle Kinder einen gesicherten Unterhalt haben und eine gute Ausbildung bekommen, ist auch für die Zukunft das Wohlergehen des ganzen Volkes fundiert. Dann werden sie in ihrem Arbeitsalter für alle, besonders für die inzwischen alt gewordenen Leute, die Volkswohlfahrt und das Volksvermögen mehren können. Daher muß bei den heutigen gesteigerten Lebens- und Erziehungsansprüchen die Gemeinschaft bei allen Entscheidungen über die Gesetze, die ja meistens auch in familienhafte Bereiche regelnd eingreifen, dem Verpflichteten ein verstärktes Stimmrecht entsprechend dem Schutzauftrag für das Kind geben.

Angst vor Neuem?

Das Familienstimmrecht ist etwas grundsätzlich Neues. In keinem Staate ist aber meines Wissens soviel unmittelbare Demokratie vorgesehen wie bei uns: Wahl des Bundespräsidenten und in die gesetzgebenden Körperschaften, in die Kammern, in die Gemeinde, in die Betriebe, Volksabstimmungen und Volksbegehren. Daher steht es den Österreichern zu, zuerst über diese Dinge nachzudenken. Nach Einführung des Familienstimmrechtes hätten wir eine Mischung der Rechte zwischen den Einzelpersonen und der Familie, die allen etwas gibt. Die Wahl des Bundespräsidenten erfolgt nur durch die wahlberechtigten Erwachsenen. Bei der Nationalratswahl hat der Wähler in den kinderfreudigen Gebieten etwas mehr zu sagen, und bei den Abstimmungen wären die Stimmen im Verhältnis der Bundesbürger, also nach dem Familienstande, verteilt. Übrigens glaubte man auch vor 50 Jahren beim allgemeinen Wahlrecht die Entwicklung als abgeschlossen.

Und wie selbstverständlich und gerecht finden wir heute das Wahlrecht der Frauen und weiter das Herabsetzen von damals 24 auf jetzt 20 Jahre. Oder sind wir müde, entschlußlos geworden und trauen uns an nichts Neues heran?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung