Der "Andere“ als Chance

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Eine FURCHE-Diskussion über Chancen und Erfordernisse von Integration und interreligiösem Dialog zwischen Muslimen und Christen.

Obwohl der Islam in Österreich eine lange Tradition hat, ist das Thema der Integration von Muslimen aktuell wie kaum zuvor. Die FURCHE hat mit Nadire Mustafi, Astrid Ingruber und Ednan Aslan über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Integration und des interreligiösen Dialogs gesprochen.

Die Furche: Zu Beginn eine Bestandsaufnahme: Inwiefern entspricht Ihrer Erfahrung nach das in Österreich vorherrschende Bild des Islam der tatsächlichen Lebensrealität der Muslime?

Ednan Aslan: Allein schon von "dem Islam“ als Einheit zu sprechen, ist ein falsches Bild. Der Islam an der Universität Wien ist ein anderer Islam als der im 10. Bezirk oder in Niederösterreich. Wir haben in unseren Studien zum Beispiel auch festgestellt, dass die Muslime im Westen Österreichs viel besser integriert sind als im Osten. Man muss hier also differenzieren.

Nadire Mustafi: Man kann da nur von persönlichen Eindrücken ausgehen. In meinem Fall, als sichtbare Muslima, ist das leider nicht immer positiv. Aber selbst da, wo es Berührungsängste oder Skepsis gibt, bricht das sofort auf, wenn man ins Gespräch kommt. Wir sollten uns also mehr damit befassen - Muslime und Nichtmuslime - wie wir zum Gemeinsamen kommen, zu einer gemeinsamen Identität; dazu, dass wir uns gleichzeitig als Muslime und österreichische Staatsbürger fühlen können. Das geht nicht per Erlass oder per Gesetz, sondern nur auf der sozialen, auf der zwischenmenschlichen Ebene.

Astrid Ingruber: Genau das ist es, was wir im Afro-Asiatischen Institut (AAI) versuchen. Ich gebe Ihnen recht, man kann die Einstellung zum Islam nicht vereinheitlichen. Aber natürlich hört man immer wieder negative Vorurteile und unqualifizierte Meldungen. Um dagegen vorzugehen, muss man den Menschen Kenntnis übereinander vermitteln. Ich denke, dass gläubige Muslime und gläubige Christen in vielen Dingen einander wesentlich näher sind als gegenüber areligiösen Menschen.

Mustafi: Wir hatten in einer Schule, an der ich unterrichtet habe, grobe Probleme mit den Eltern - das war im Vorfeld einer Sportwoche, klassisches Thema. Wir haben dann einen Elternabend gemacht - ich mit den muslimischen Eltern, die Kollegin aus dem katholischen Religionsunterricht mit den nicht-muslimischen - und wir haben uns über deren Befürchtungen unterhalten. Und dann haben wir gemerkt, dass ein Gutteil dieser Sorgen gemeinsame Sorgen aller Eltern waren. Das den Eltern einmal nahezubringen, dass da Mütter sprechen und nicht Musliminnen und Christinnen, war extrem gewinnbringend.

Ingruber: Genau das sind die Punkte, an denen wir ansetzen müssen. Wir wollen Leute in ihren Lebenswelten abholen und ihnen helfen, die eigenen Vorurteile zu erkennen. Nur wenn ich mir meiner Vorurteile bewusst bin, kann ich sie auch abbauen.

Die Furche: Die Menschen, die zu Veranstaltungen des AAI gehen, sind aber in der Regel nicht das Problem, weil die sind ja offensichtlich interessiert an einem Dialog. Das Problem sind die, die sich aufgrund ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Anderen, völlig verweigern oder sogar aufeinander losgehen. Mit dem Angebot eines gegenseitigen Kennenlernens wird man die kaum an einen Tisch bekommen.

Ingruber: Ja, das ist ein Problem. Wir können nur versuchen, die Themen unserer Veranstaltungen so zu gestalten, dass wir eine möglichst breite Öffentlichkeit damit ansprechen - zum Beispiel über Kunst oder über Musik. Und man muss die Leute eben auch bei sich zuhause abholen, anstatt auf sie zu warten. Wir versuchen zum Beispiel mit Religionsvertreterinnen und -vertretern auch in Gemeindebauten zu gehen und dort direkt mit Menschen in Dialog zu treten.

Die Furche: Aber haben Sie das Gefühl, dass diese punktuellen Begegnungen ausreichen?

Ingruber: Man wird nie alle abholen können, darum geht es aber auch nicht. Es ist schon ein sehr guter Schritt, wenn man die, die aneinander interessiert sind, zusammenbringt, und sie in der Öffentlichkeit ein gemeinsames Bild abgeben. Und dann sind natürlich die Politik und die Medien gefragt, die leider oft ein negatives Bild des Islam transportieren.

Aslan: Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir Muslime jede Menge Hausaufgaben zu erledigen haben. Wir sind auch selbst gefordert dieses Bild in der Öffentlichkeit zu korrigieren.

Die Furche: Welche Hausaufgaben?

Aslan: Die Gesellschaft braucht Konzepte für das Zusammenleben. Aber bevor es zu dieser Begegnung kommt, müssen wir noch Vorarbeit leisten. Wir müssen an unseren Vorurteilen arbeiten und uns fragen, wo wir die Christen falsch sehen, wo die Stärken und Schwächen der islamischen Theologie liegen und wo wir vielleicht neue Ansätze brauchen. Wir müssen uns überlegen, ob diese Christen, denen wir heute begegnen, überhaupt irgendetwas mit den Christen aus dem 7. Jahrhundert zu tun haben, auf die sich die klassische islamische Theologie bezieht. Ohne diese Vorarbeit ist die Begegnung zwar auch gut und richtig, aber ich glaube nicht, dass sie zielführend ist.

Mustafi: Dieser Diskurs, den Professor Aslan anspricht, ist allerdings schon ein ziemlich anspruchsvoller, der eigentlich auf institutioneller Ebene stattfinden müsste. Ich glaube nicht, dass der Muslim oder die Muslima sich im Alltag dieser Theologie aus dem Altertum bewusst ist. Die Aufgabe besteht einfach darin, die eigene Religion besser kennenzulernen und sich zu fragen, wie man sie zeitgemäß verstehen kann. Und wir müssen auch innerhalb der muslimischen Community daran arbeiten, dass wir unsere eigene Vielfalt anerkennen.

Die Furche: Diese Vielfalt äußert sich nicht zuletzt darin, dass es mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), der Islamisch-Alevitischen Glaubensgemeinschaft und der Islamisch-Schiitischen Glaubensgemeinschaft inzwischen drei offizielle Körperschaften gibt, die Vertretungsansprüche stellen. Die Schiiten haben die IGGiÖ zuletzt sogar angezeigt. Gleichzeitig soll es bald ein neues Islamgesetz geben, das zwangsläufig alle diese Gruppen berücksichtigen muss …

Aslan: Wir stehen da vor einer Frage, die wir aus unserer eigenen Kultur- und Religionsgeschichte einfach nicht kennen, weil der Islam im europäischen Kontext "verkirchlicht“ wird, damit das Verhältnis zum Staat geregelt werden kann. Dazu gibt es leider keine Alternative. Wie das in Zukunft genau geregelt werden soll, weiß ich nicht, das Gesetz gibt es ja noch nicht. Aber wir müssen schauen, wie wir in der Praxis mit diesen Herausforderungen umgehen. Am Institut für Islamische Religionspädagogik der Universität Wien zum Beispiel haben wir inzwischen auch Studierende, die sich zu alevitischen Religionslehrerinnen und Religionslehrern ausbilden lassen. Ich denke, dass man auch in anderen Bereichen solche Lösungen finden kann - aber es wird nicht einfach.

Mustafi: Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe der IGGiÖ ist, sich das zu überlegen. Da ist die Politik gefragt, im Gespräch mit den verschiedenen Gruppierungen geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen.

Die Furche: Ein anderes aktuelles Thema ist eine geplante Schule, die die türkische Regierung in Wien bauen will und an der angeblich auch Imame ausgebildet werden sollen. Daran gab es viel Kritik, die IGGiÖ hat aber wissen lassen, dass sie dem Projekt aufgeschlossen gegenübersteht. Wie sehen Sie das?

Aslan: Wenn die türkische Regierung hier eine Schule eröffnen will, habe ich damit kein Problem. Österreich hat ja auch Schulen in der Türkei. Wenn aber jemand in einer solchen Schule Imame ausbilden will, dann ist das ein großes Problem. Die Folgen wären fatal. Das ist eine interne Aufgabe für diese Gesellschaft, die wir selbst bewältigen müssen.

Mustafi: Prinzipiell bin ich da Ihrer Meinung. Ich glaube zwar nicht, dass wir mit Verboten weit kommen, aber wenn hier tatsächlich Fachkräfte für die hiesige Gesellschaft unter Einfluss anderer Ideologien ausgebildet würden, dann wäre das natürlich nicht gut. Wir haben unsere Imame hier in Österreich ja jahrelang importieren müssen, und wir müssen ihre Arbeit auch schätzen. Aber ich glaube nicht, dass sie der heutigen Gesellschaft und den jungen Muslimen, die hier aufgewachsen sind, noch gerecht werden können.

Ingruber: Wobei man sagen muss, dass sich bei der Imame-Schulung schon auch einiges getan hat. Das Außenministerium bietet da ja inzwischen auch bestimme Schulungen an.

Die Furche: Sie wirken so skeptisch, Frau Mustafi …

Mustafi: Ja, weil ich da meine eigenen Erfahrungen gemacht habe. Das Außenministerium hat nämlich auch für uns Frauenbeauftragte eine Schulung angeboten. Und da hätten sich die Organisatorinnen schon etwas besser überlegen sollen, für wen sie das machen. Wenn man Frauen, die schon seit Jahren in Österreich leben, zu Beginn eines solchen Termins den Folder "Herzlich willkommen in Österreich“ überreicht, dann müsste man sich vielleicht über die Inhalte noch einmal Gedanken machen. Solches Feedback wurde aber in den weiteren Zyklen mitaufgenommen und berücksichtigt.

Die Furche: Wie könnte eine bessere Herangehensweise aussehen?

Mustafi: Man sollte beginnen, mit den jüngeren Generationen nicht mehr über Integration zu sprechen. Mir würde das Konzept der Inklusion viel besser gefallen. Wir sind nicht mehr die Arbeitergeneration, wir sind nicht aus wirtschaftlichen Gründen hier, sondern weil wir hier leben möchten. Ich möchte als Muslima endlich aus dieser Position herauswachsen, immer nur zeigen zu müssen, wie integriert ich bin und nur dann als gut für diese Gesellschaft bewertet zu werden, wenn ich bei irgendwelchen Projekten mitmache, die mich vielleicht gar nicht interessieren. Ich muss nicht überall mitmachen. Das Wichtige ist doch, dass ich ein echtes Interesse daran habe, die Zukunft in diesem Land mitzugestalten.

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