Muslimische Wirklichkeit

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Österreichs Muslime haben eine neue Führung: Es ist beeindruckend, wie sehr sich die Islamische Glaubensgemeinschaft | demokratische Regeln verpasst hat. Die Auseinandersetzung zwischen der Gesellschaft und ihren Muslimen geht weiter.

Sie haben gewählt. Und einen neuen Präsidenten gekürt: Nach 14 Jahren heißt das öffentliche Gesicht der österreichischen Muslime nicht mehr Anas Schakfeh, sondern Fuat Sanaç. Man darf dem emeritierten Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft, aber auch den Muslimen des Landes gratulieren. Es ist ihnen in einem beispiellosen Prozedere gelungen, den heimischen Islam repräsentativ abzubilden. Dass nun die größten Verbände - beide türkischen Hintergrunds -, die konservative "Islamische Föderation“ und der vom offiziellen Ankara beförderte ATiB, dominant sind, entspricht der muslimischen Wirklichkeit im Land.

Als Katholik sollte man sich vorschnelle Kritik an der Demokratiefähigkeit der Islamischen Glaubensgemeinschaft ja verbeißen: Jeder katholische Pfarrer, der bekanntlich nicht gewählt wird, kann sich über seinen Pfarrgemeinderat hinwegsetzen, von Forderungen an die Kirchenleitungen ganz abgesehen. Demokratische Verfasstheit ist nicht per se ein Merkmal der Religion - auch nicht einer alteingessenenen.

Der Islam als Teil der Gesellschaft

Die muslimischen Entwicklungen sind daher zu begrüßen: Eine Religion der Migranten beginnt, erwachsen zu werden - in dem Sinn, dass sie sich selbstverständlich sich als Teil der Gesellschaft versteht. Dazu gehört, dass zuletzt auch rechtliche Klärungen stattgefunden haben. Das aus der Monarchie stammende Modell einer Einheitsgemeinschaft hat seine Tücken, aber das jüngste Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu den Aleviten zeigt: Es sind mehrere anerkannte islamische Religionsgemeinschaften möglich. Das mildert den Zwang zur Einheit; andererseits ist es für die Muslime politisch klug, derzeit als einige Gruppe präsent zu sein.

Die Voraussetzungen dazu sind nach dieser Wahl zweifellos gegeben. Das bedeutet aber keineswegs, dass die Probleme der Muslime in dieser Gesellschaft oder auch die Fragen an sie (und vice versa) kleiner geworden sind. Vielleicht war der kürzliche Aufreger um den Schwimmunterricht für Musliminnen eine Nebenfront, aber er zeigt: Konflikte mit strenger Religiosität sind latent vorhanden. Und immer noch bricht bei jedem Ansinnen, eine Moschee zu errichten, die politische Auseinandersetzung auf. Heinz-Christian Strache mag ja im Sinn des islamischen Menschenbildes ein "guter Mensch“ sein (vgl. dazu Fuat Sanaç, Seite 18). Aber er und andere werden weiter keine Gelegenheit auslassen, den Muslimen und ihren Vertretern am Zeug zu flicken.

Auch dafür müssen diese gewappnet sein. Es handelt sich dabei aber nicht nur um eine Bringschuld der Gesellschaft. Sondern auch gläubige Muslime müssen sich erkennbar mit den Grundlagen ebendieser Gesellschaft auseinandersetzen, soll das Bekenntnis zu ihr ernst gemeint sein.

Das wird kein Spaziergang - vor allem, wenn es an tradierte Religion und Religiosität geht: Die Auseinandersetzung etwa um eine moderne Koranauslegung steht an; es reicht nicht, mehr oder weniger naiv darauf zu verweisen, dass da alles eindeutig sei.

Weiterhin enormer Klärungsbedarf

Von der Stellung der Frau bis zur Frage der Trennung von kultureller Tradition und der Substanz der Religion herrscht enormer Klärungsbedarf. Man kann durchaus Zweifel daran hegen, dass dies mit der neu gewählten Führung der Islamischen Glaubensgemeinschaft leichter werden wird.

Aber Österreich und seine Muslime dürfen sich nicht um diese - auch harte - Auseinandersetzung drücken. Dabei könnte beispielsweise die auch von Fuat Sanaç erhobene Forderung produktiv aufgenommen werden, eine Islamische Fakultät zu errichten: Je mehr muslimische Theologen nicht mehr in Kairo, Ankara oder Dschidda ausgebildet werden, desto "österreichischer“ kann der Islam hierzulande werden.

Will eine Religion in diesem Sinn erwachsen und heimisch sein, gehört dies wesentlich dazu. Die Christen wie die säkularen Demokraten im Lande sollten nicht lockerlassen, genau dies einzufordern.

otto.friedrich@furche.at

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