Wenn aller Islam "politischer Islam" ist

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Der öffentliche Diskurs über den Islam ist zurzeit das heikelste politische Thema, nicht nur in Österreich. Hierzulande ist seit dem Antritt der gegenwärtigen Regierungskoalition das Meinungsklima im Land gegenüber den Muslimen besonders kritisch -die angedachten oder schon beschlossenen Kopftuchverbote in Kindergärten und Schulen sind ein Zeichen dafür.

Auffällig dabei ist, dass die Religionsgemeinschaften im Land gerade in der Kopftuchfrage keineswegs der Regierungslinie das Wort reden und sich von den Spitzen der katholischen Kirche abwärts kritisch gegenüber den Kopftuchverboten äußern. Die Politikwissenschafterin Nina Scholz und der Historiker Heiko Heinisch dürften derartiger Positionierung nichts abgewinnen: Scholz und Heinisch, die hierzulande als Islamkritiker ausgewiesen sind, legen in ihrem dieser Tage erscheinenden Buch "Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert" ein journalistisch aufbereitetes, gut lesbares Kompendium an Islamkritik vor. Das Kopftuch ist in dieser Argumentation ein "Aushängeschild des politischen Islam", ein Aufweis der Unterdrückung der Frau oder zumindest ihrer Segregation.

Heinisch und Scholz ist es darum zu tun, die Durchdringung der muslimischen Community im Land durch den politischen Islam aufzuzeigen. Sie identifizieren die diesbezügliche Entwicklung seit mehreren Jahrzehnten und die Ignoranz der nichtmuslimischen Gesellschaft dazu. Schon fast redundant ist der Exkurs über die Entwicklung des politischen Islam anhand der Geschichte der Muslimbruderschaft, die in vielen ähnlich gelagerten Publikationen zu finden ist (vgl. Seite 7 dieser FURCHE). Das Gros aktueller Entwicklungen in der muslimischen Gesellschaft wird unters Label "politischer Islam" einordnet.

Heinisch und Scholz beziehen sich dabei auch auf den US-amerikanischen Politologen Lorenzo Vidino, dessen -durchaus umstrittene - Studie über Verbindungen der Muslimbruderschaft nach Österreich im Sommer 2017 vom Österreichischen Integrationsfonds ÖIF veröffentlicht wurde. Damals - es herrschte Nationalratswahlkampf - erblickten eine Reihe von muslimenkritischen ÖIF-Publikationen das Licht der Öffentlichkeit. Auch eine -im Buch ebenfalls zitierte -Moschee-Studie, für die Heiko Heinisch als Co-Autor verantwortlich zeichnete, wurde damals vom ÖIF publiziert.

Es ist unbestritten, dass es innerhalb des Islam weltweit besorgniserregende Entwicklungen gibt. Der Harmonisierungsdruck eines vom saudischen Wahhabismus dominierten sunnitischen Islam bleibt ebenso unübersehbar wie ein generell konservativer Backlash in islamischen Ländern. Dass dieser auch auf Europa und Österreich abfärbt und tief in die muslimischen Institutionen im Lande reicht, ist nicht zu leugnen. Dabei sind diese Entwicklungen in sich nicht homogen: Wahhabismus via Petrodollars ist das eine, dazu kommt die schiitische Theokratie iranischer Provenienz, und mit den türkischen Verhältnissen unter Recep Tayyip Erdoğan ist eine weitere Facette sichtbar, die nicht deckungsgleich mit den etwa von Saudi-Arabien her stammenden Einflüssen ist usw. Dass das etwa auf die vom türkischen Staat dominierte, in Österreich tätige Organisation ATIB Einfluss hat, ist klar. Aber dies alles unter das Label "politischer Islam" zu subsumieren, ist eine krasse Vereinfachung. Die konservative türkische Milli-Görüş-Bewegung wird im Buch als eine Art Vorfeld-Organisation der Muslimbruderschaft dargestellt, was von deren Protagonisten so sicher wie das Amen im Gebet bestritten werden wird.

Mit zweierlei Maß gemessen

Ja, es gibt Abschottungstendenzen der muslimischen Communitys im Land. Gerade, wenn eine konservative Religiosität auf eine liberale säkulare Gesellschaft trifft, sind Konflikte vorprogrammiert. Aber um ebendiese anzugehen, wäre es wichtig, dass auch ein islamkritisches Buch nicht mit zweierlei Maß misst. Wenn Heinisch und Scholz mit den Islamophobie-Berichten des Salzburger muslimischen Politologen Farid Hafez ins Gericht gehen und dessen Vorgangsweise als unwissenschaftlich ablehnen, so hat diese Argumentation einiges für sich. Aber wenn sie umgekehrt die Kindergartenstudie des Wiener islamischen Religionspädagogen Ednan Aslan, an dessen Institut Heinisch auch tätig war, unkritisch als Beleg zitieren und nicht auf die Kritik an dieser Studie eingehen, dann messen die Autoren mit zweierlei Maß. Es spricht für sich, dass die 2017 nach der Kritik an Aslans Arbeiten erstellte Kindergarten-Studie des Teams um den Bildungswissenschafter Henning im Buch nicht erwähnt wird.

Das Buch "Alles für Allah" ist ein Argumentarium aktueller Islamkritik. Das mag berechtigt sein, hilft aber dem gesellschaftlichen Diskurs nicht weiter, denn die Muslime im Land werden von den Autoren unter dem Präliminarium der Bedrohung in den Blick genommen. Brücken zu bauen, was in der gegenwärtigen Lage so notwendig wäre, dazu kann das Buch nichts beitragen. Wer dagegen vor allem auf Alarmismus setzt, wird bestens bedient. Denn gut geschrieben ist der Band allemal.

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