"Alle Muslime in Geiselhaft"

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Omar Al-Rawi und Thomas Schmidinger - der Integrationsbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft und sein schärfster Kritiker klären in der Furche-Debatte einige Missverständnisse. Die Jordanierin Razan Jadaan will anfangs nur zuhören, mischt sich dann aber doch noch kurz in das "zu Österreich-fixierte" Gespräch ein.

Die Furche: Als Reaktion auf die Verhaftung von drei Terrorverdächtigen in Österreich hat die Regierung letzte Woche eine "Integrationsplattform" beschlossen - die richtige Antwort auf die Terrorbedrohung?

Thomas Schmidinger: Ich freue mich, wenn bildungs- und sozialpolitisch etwas für Integration getan wird. Dass das aber unter dem Aufmacher eines maßlos aufgebauschten Terrorproblems passiert, ist nicht die beste Voraussetzung dafür. Da werden die Terrordebatte, die Debatte um die Inhalte des politischen Islam und die Integrationsdebatte ungut miteinander vermischt.

Omar Al-Rawi: Da hat Schmidinger Recht, wir vermischen seit Jahren Sicherheit mit Integration. Der größte Fehler ist, dass die Integrationspolitik noch immer im Innen- und nicht im Sozialministerium angesiedelt ist.

Die Furche: Integrations- und Sicherheitspolitik gehören insofern zusammen, wird argumentiert, als sozial benachteiligte und an den Rand gestellte Menschen leichter anfällig für Radikalismus aller Art sind.

Schmidinger: Das stimmt nur teilweise: Wenn man das international betrachtet, gibt es in gewaltbereiten muslimischen Gruppen sehr viele Personen aus gebildeten und wohlhabenden Schichten; gleichzeitig finden sich darunter auch Modernisierungsverlierer. Man kann das mit der extremen Rechten vergleichen, wo es auch die gebildeten und wohlhabenden rechtsextremen Burschenschafter an den Universitäten gibt und die Stiefelnazis aus den untersten sozialen Milieus, die herumrennen und Ausländer verprügeln.

Die Furche: Herr Al-Rawi, mit der Verhaftung von muslimischen Terrorverdächtigen ist für Sie als Integrationsbeauftragten der Islamischen Glaubensgemeinschaft das "Worst case scenario" Wirklichkeit geworden. Haben Sie sich davor schon gefürchtet?

Al-Rawi: Natürlich ist die Sorge groß, weil alle Muslime dann immer gleich in Geiselhaft genommen werden. Aber gerade die Verhafteten waren keine Schläfer, keine Unbekannten. Das sind Leute, die den Sicherheitsbehörden und uns immer bekannt waren. Der eine hat seit zwei Jahren um seine Festnahme förmlich gebettelt, indem er jedem zu erklären versuchte, wie gefährlich er ist.

Die Furche: Das Misstrauen gegenüber Muslimen ist aber sicher gestiegen und der Verdacht steht im Raum, den auch Herr Schmidinger in den letzten Tagen geäußert hat, die Islamische Glaubensgemeinschaft wisse nicht genau, was in ihren Gemeinden und in den Moscheen vor sich geht.

Schmidinger: Für mich deutet sehr viel darauf hin, dass es kein Wissen darüber gibt, was tatsächlich in den Moscheen gepredigt oder im islamischen Schulunterricht vermittelt wird. Was nicht heißt, dass hier nur Fanatiker am Werk sind.

Al-Rawi: Man muss das geschichtlich sehen: 1980 wurde die Islamische Glaubensgemeinschaft mit der Durchführung des Religionsunterrichts betraut. Damit stand man plötzlich vor der Aufgabe, ausreichend Lehrer dafür zu finden. Viele Lehrer hat man daraufhin aus dem Ausland, vor allem der Türkei, geholt …

Die Furche: … die den Religionsunterricht teilweise mit Heimatkunde verwechselt haben.

Al-Rawi: So könnte man das sagen. Aber derzeit passiert in Bezug auf mehr Qualität im Unterricht sehr viel: Bis vor zwei Jahren haben wir nur einen Schulinspektor gehabt, mittlerweile sind es sieben. Und auch unter den Lehrerinnen und Lehrern findet ein Generationswechsel statt, der auch einen Qualitätssprung bedeutet. Das gleiche gilt für die Unterrichtsmaterialien. Generell finde ich die Möglichkeit für muslimischen Religionsunterricht an den Schulen wichtig: Das ist die einzige Chance für die Kinder, Religionsunterricht auf Deutsch zu erhalten, denn in den Moscheen ist der Religionsunterricht in der Sprache der jeweiligen Ethnie.

Schmidinger: Die Frage ist, auf welcher ideologischen Basis die Vereinheitlichung stattfindet. Derzeit sind die Ausbildungsstätten von muslimischen Lehrerinnen und Lehrern stark von sehr konservativen sunnitischen Persönlichkeiten geprägt. Ich weiß von schiitischen Eltern, die ihre Kinder aus dem Unterricht nehmen, weil dort Sunniten über Schiiten herziehen. Defacto gibt es auch wenige Religionslehrer, die ihre Ausbildung an der Islamischen Religionspädagogischen Akademie abgeschlossen haben. Die meisten machen externe Prüfungen, um eine Lehrbefähigung zu erhalten. Und auch von der Uni höre ich, dass die Qualität der Studierenden für Islamische Religionspädagogik nicht die ist, die man sich für eine wissenschaftliche Ebene erwartet - das gilt nicht für alle, aber für sehr viele.

Al-Rawi: Ich kann mich nur wiederholen: Das ist auch eine Frage der Zeit. Jetzt kommen viele neue Gesichter und neue Köpfe. Und es gibt mittlerweile auch schiitische Lehrerinnen und Lehrer - das alles wirkt sich sehr positiv auf die Qualität der Ausbildung aus.

Die Furche: Sie beide sind in den letzten Jahren nicht als die großen Freunde bekannt geworden; jetzt erleben wir Sie in diesem Gespräch doch recht friedlich - was ist passiert?

Schmidinger: Wir haben uns auch bisher nie gegenseitig verprügelt …

Die Furche: … aber Sie beide haben einen sehr scharfen und kontroversen Diskurs mit- und oft gegeneinander geführt.

Schmidinger: Meine Kritik an der Islamischen Glaubensgemeinschaft halte ich auch auf der sachlichen Ebene aufrecht. Ein Ereignis der letzten Woche hat aber bei mir ein Umdenken eingeleitet: Die Wiener Gratiszeitung Heute hat einen Satz von mir aus einem Interview mit den Salzburger Nachrichten aus den Zusammenhang gerissen und in einer Schlagzeile maßlos aufgebauscht. Das hat mir gezeigt, wie vermint dieses Gelände ist und wie schwierig es ist, eine Position zu formulieren, die sowohl kritisch gegen den politischen Islam ist, sich aber gleichzeitig gegen jede rassistische Hetze abgrenzt. Ich will nicht, dass meine Aussagen missbraucht werden, Terrorhysterie zu fördern und Ressentiments gegen Muslime zu schüren.

Al-Rawi: Viele Differenzen zwischen uns beiden beruhen sicher darauf, dass wir uns bislang nur über die Medien ausgetauscht haben. Ich meine, in vielen Fragen sind wir in der Substanz gar nicht so weit auseinander. Das unterscheidet Österreich ja generell von der niveaulosen Debatte in Deutschland. In Österreich geht es vor allem um Kritik an Strukturen und um deren Reform. In Deutschland zielen Islam-Kritiker wie Hans Peter Radatz oder Bassam Tibi oder Necla Kelek auf den Islam als Religion und treiben so den Rassismus voran.

Schmidinger: Der Diskurs in Österreich ist ein anderer, aber was man immer von Necla Keleks oder Bassam Tibis Argumenten halten mag, ihre Religionskritik ist legitim und gehört genauso in die Öffentlichkeit wie die Argumente von religiösen oder konservativen oder liberalen Muslimen. Was anderes ist ein Rassismus, der sich als Religionskritik tarnt - dieses Geschäft betreiben ein H.C. Strache oder ein Jörg Haider.

Al-Rawi: Aber die zitieren ja dauernd Leute wie Bassam Tibi …

Schmidinger: Dagegen kann man sich nur begrenzt wehren, dass einen die Falschen zitieren - das hab ich gerade selbst erfahren. Doch so wie Religionskritik von Katholiken an der katholischen Kirche so ist auch die Religionskritik am Islam von Menschen mit islamischen Hintergrund legitim. Und sie ist wichtig, weil sie den Pluralismus innerhalb der 400.000 Muslime in Österreich zeigt. Sehr viele davon haben wenig bis gar nichts mit Religion am Hut. Und das ist für die Repräsentativität der Glaubensgemeinschaft schon ein Problem. Verstehen Sie das nicht als eine Kritik an Ihnen und der Glaubensgemeinschaft. Ich kritisiere hier die Wahrnehmung der österreichischen Öffentlichkeit. Da genügt es, ein paar Mal mit dem Vertreter der Islamischen Glaubensgemeinschaft zu sprechen, dann glaubt man, man führe den Dialog mit den 400.000 Muslimen - und das ist falsch.

Al-Rawi: Aber dieser Vertretungsanspruch wird uns ja nur in religiösen Belangen zugestanden.

Schmidinger: Mittlerweile tritt man auch in sozialen Belangen an Sie heran, und wenn man über Integration redet, spricht man nur mit Vertretern der Islamischen Glaubensgemeinschaft …

Al-Rawi: Da übertreiben Sie! Dass eine Wiener Integrationsstadträtin nur mit den Muslimen redet ist eine Mär, da gibt es die Serben, die Kroaten usw., da gibt es die säkularen Vereine …

Die Furche: Herr Schmidinger, für Sie ist die Islamische Glaubensgemeinschaft mehr als alle anderen präsent.

Schmidinger: Ich bin nicht für eine Auflösung der Islamischen Glaubensgemeinschaft, aber ich bin dafür, dass sie in der Wahrnehmung auf ihre tatsächliche Rolle gestutzt wird oder dass sie repräsentativer wird und andere muslimische Gruppen mehr einbindet. Die Islamische Glaubensgemeinschaft wirkt als Puffer. Das ist gut, weil sie damit Konflikte entschärfen kann. Manchmal verschleiert dieser Puffer aber auch Konflikte - und das ist schlecht.

Al-Rawi: In Österreich wird nach wie vor Integration mit Assimilation verwechselt. Da stören die Assimilierten nicht, aber da stört die Frau mit Kopftuch, da stört der Mann, der beten will, der auf seine schweinefleischlose Kost besteht. Und diese religiösen Menschen stehen ständig unter Rechtfertigungsdruck …

Die Furche: Frau Jadaan, Sie sind in Jordanien aufgewachsen, haben in Österreich studiert, leben und arbeiten jetzt wieder in Amman und sind derzeit auf Besuch in Österreich - wie erleben Sie als Wandlerin zwischen den Welten die Situation?

Razan Jadaan: Ich finde diese Diskussion sehr interessant, aber sie kreist doch sehr um die österreichische - Entschuldigung, sehr kleine - Welt. Ich möchte deswegen die internationale Dimension betonen: Und da beobachte ich, dass Okzident und Orient in vielen Isolationen leben. Und die wichtigste Aufgabe wäre, dass wir aus diesen Isolationen rauskommen, in die uns auch die Massenmedien mit ihren Bildern vom jeweils anderen hineintreiben. Die Isolation betrifft aber auch die muslimischen Gemeinden hier, die wenig Kommunikation mit ihren Herkunftsländern pflegen. Im arabischen Raum hat sich der Islam sehr weiterentwickelt. Wie die Menschen in islamischen Ländern mit ihrem Glauben umgehen - da hat sich in den letzten Jahrzehnten viel verändert. Wenn ich aber hier und noch mehr zum Beispiel in Kanada Gemeinden besuche, denk ich mir: Wo sind diese Leute - als ob sie noch in den 1930er Jahren leben würden!

Al-Rawi: Ich bin bei Ihnen, wenn es darum geht, jegliche Isolation aufzubrechen. Aber ich teile ihre Wahrnehmung nicht, dass wir rigide und starr sind, und nicht mit der religiösen Entwicklung im arabischen Raum mithalten können. Da zitiere ich den ORF-Religionsjournalisten Christian Rathner, der anlässlich der Imame-Konferenz gesagt hat: "Was sich da in zwei, drei Jahren an Fortschritten getan hat, ist atemberaubend, das schafft die katholische Kirche nicht in zehn Jahren!"

Schmidinger: Isolation und Nebeneinander sind aber immer noch leider ein Faktum - sowohl innermuslimisch und noch stärker zwischen Österreichern und Muslimen. Deswegen bin ich auch gegen muslimische Kindergärten und Schulen, so wie ich gegen katholische Kindergärten und Schulen bin. Man sollte die Kinder zwingen, sich zu begegnen. Integration braucht manchmal auch erzwungene Alltagsbegegnung und die sehe ich auf beiden Seiten vernachlässigt.

Die Furche: Ist es nicht auch ein Wert, wenn Menschen in ihrer kulturellen Identität leben können? Der Wiener FPÖ-Chef H.C. Strache hat ja auch gefordert, in kroatischen oder polnischen Gottesdiensten soll nur mehr Deutsch gepredigt werden.

Al-Rawi: Ich bin auch dafür, dass Imame Deutsch können, aber sie müssen auch die Sprache des Volkes sprechen. Deswegen gibt es ja in den Moscheen Predigten auf Albanisch, Mazedonisch, Türkisch, Arabisch oder in der afrikanischen Moschee auf Englisch. Und mittlerweile auch auf Deutsch, denn es gibt eine Generation, die nichts anderes mehr versteht, die muss man auch erreichen. Wenn Strache glaubt, dass man Hassprediger durch Deutsch verhindert, dann irrt er sich, weil er ist einer der größten Hassprediger und redet auch auf Deutsch.

Das Gespräch moderierten Otto Friedrich und Wolfgang Machreich.

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