Über Gegenwart und Zukunft der Muslime

19451960198020002020

Islam-Bücher: Muhammad Sameer Murtaza sucht Auswege aus der intellektuellen Erschöpfung seiner Religion. Der deutsche Repräsentant der Gülen-Bewegung zeigt deren Verfemung durch Erdogan & Co auf. Und ein Islamwissenschafter beleuchtet die Assassinen im Mittelalter.

19451960198020002020

Islam-Bücher: Muhammad Sameer Murtaza sucht Auswege aus der intellektuellen Erschöpfung seiner Religion. Der deutsche Repräsentant der Gülen-Bewegung zeigt deren Verfemung durch Erdogan & Co auf. Und ein Islamwissenschafter beleuchtet die Assassinen im Mittelalter.

Werbung
Werbung
Werbung

Unter den Neuerscheinungen zum Thema Islam finden sich theologische Reformüberlegun gen, die auch für nichtmuslimische Nichttheologen aufbereitet werden. Diese sind besonders wichtig, denn gerade in den die religiösen Fragen verkürzenden gesellschaftspolitischen Diskussionen rund um den Islam ist es nötig, auch die Grundsätze dieser Religion im Blick zu haben, anders gesagt: Eine Kopftuch-Diskussion wie sie etwa hierzulande geführt wird, kann bestenfalls als Auseinandersetzung mit einem lebensweltlichen Aspekt verstanden werden. Viel wesentlicher wäre eine islamisch-theologische Reflexion über die Plausibilität der eigenen Religion in den weltlichen Zusammenhängen von heute.

Zweifelsohne zwingen die aktuellen Gewaltphänomene à la IS dieser Diskussion die Auseinandersetzung mit der Gewaltfrage auf. Aber darüber hinaus geht es um nichts weniger als um Zukunftsoptionen für den Islam -in den säkularen Gesellschaften des Westens ebenso wie in den islamisch dominierten Teilen der Welt.

Der Salafismus führt nicht weiter

Der pakistanisch-deutsche Islam- und Politikwissenschafter Muhammad Sameer Murtaza, Mitarbeiter der Stiftung Weltethos, analysiert in seinem Buch "Die gescheiterte Reformation" zum einen die historische Entwicklung des Islam, die, so der Autor, seit dem Spätmittelalter zu geistiger und intellektueller Verarmung vor allem der Gelehrtenschaft geführt hat.

Sein Buch ist ein Plädoyer dafür, die geistige Weite, die nach Überzeugung des Autors möglich ist, neu zu entwickeln. Im Besonderen widmet sich Murtaza islamischen Reformbewegungen, die er unter dem Label "Salafiyya" subsumiert, die alle die Besinnung auf einen "ursprünglichen" Islam auf ihre Fahnen geschrieben haben. Das Buch zeigt dabei die Engführungen einer wörtlichen Koranund Sunna-Auslegung ebenso auf wie die totalitären Konsequenzen eines ideologischen Salafismus.

Dass der Wahhabismus heute weltweit eine solch dominante Stellung im sunnitischen Islam erreichen konnte, sei auf die politische Liaison der wahhabitischen Gelehrten mit dem Clan der Saudis auf der Arabischen Halbinsel zurückzuführen. Ohne diese Allianz wäre, schreibt Murtaza, der Wahhabismus eine Sekte geblieben und keinesfalls Mainstream geworden. In ähnlicher Weise beschreibt er Entwicklungen von den Muslimbrüdern bis zum IS. Aber auch im Weg derer, die dem Westen als "liberale Muslime" gelten, sieht er keinen zukunftsträchtigen Weg.

Murtaza skizziert, dass das salafistische Denken keinen Ausweg aus der intellektuellen Erschöpfung des Islams weist. Er plädiert hier für einen Neuanfang und eine Rückbesinnung auf die Tradition des islamischen Denkens der ersten Jahrhunderte, in denen viel kreativere Auslegungen von Koran und Sunna möglich gewesen seien.

Solidarität mit verfemten Muslimen

Während man für das Buch von Murtaza viel an theologischem Interesse aufbringen muss, ist Ercan Karakoyuns "Die Gülen-Bewegung" aus aktuell-politischer Perspektive spannend -leider: Dem Vorsitzenden des deutschen Ablegers von Hizmet, wie sich die Gülen-Bewegung selber nennt, ist Mut zu attestieren, dass er in diesen Tagen dieses Buch veröffentlicht, gleiches gilt für den Herder-Verlag.

Denn was die Erdogan-Türkei betrifft, ist die ganz normale offene Auseinandersetzung unmöglich geworden. Der türkische Machthaber und sein Regime beschuldigen die Anhänger des im US-Exil lebenden Predigers Fetullah Gülen, hinter dem Putschversuch vom Juli 2016 zu stecken, obwohl sie den Beweis dafür schuldig bleiben. Tausende Gülen-Anhänger sitzen in der Türkei hinter Gittern, die ehemals größte türkische Tageszeitung Zaman (sowie deren deutsche und österreichische Ausgaben) gibt es nicht mehr. In Deutschland werden Gülen-Anhänger von türkischen Institutionen gebrandmarkt, bespitzelt und bedroht.

Das Buch von Karakoyun versucht so unaufgeregt wie möglich diese Vorgänge darzustellen und die Philosophie von Hizmet näherzubringen. Natürlich ist es parteiisch, man muss nicht alles an dieser Spielart eines Sufi-mystischen Islams goutieren. Aber die geradezu absurde Verfolgung ohne nachvollziehbare Argumente durch Erdogan & Co kann nicht hingenommen werden. Die Sichtweise, wie sie Karakoyun in seinem Buch darstellt, muss gehört werden dürfen. Das ist das Mindeste an Solidarität, die der freie Westen hier zu leisten hat. Ohne Wenn und Aber.

Wichtige historische Einordnung

Ein historisch aufschlussreiches Bändchen hat der deutsche Islamwissenschafter Heinz Halm für die Reihe "C. H. Beck Wissen" verfasst: In "Die Assassinen" stellt Halm die Geschichte und Wirkung des spätmittelalterlichen Geheimbundes dar, dessen Eigenname in einigen europäischen Sprachen heute "Mörder" bedeutet. Halm zeigt, dass diese schiitische Gruppierung nichts mit Philosophie und Umtrieben des gegenwärtigen Dschihadismus gemein hat, der ja eine ausgeprägt sunnitische Erscheinung ist. Auch derartige historische Einordnung ist in der aktuellen Islamdebatte, die an so vielen Stellen durch Unwissen gekennzeichnet ist, wirklich notwendig.

Die gescheiterte Reformation

Salafistisches Denken und die Erneuerung des Islam.

Von Muhammad Sameer Murtaza. Herder 2016.204 S., geb., € 20,60

Die Gülen-Bewegung

Was sie ist, was sie will.

Von Ercan Karakoyun. Herder 2017.224 S., geb., € 20,90

Die Assassinen

Geschichte eines islamischen Geheimbundes.

Von Heinz Halm

C. H. Beck 2017.128 S., kt., € 9,30

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung