"Verbalkanonen zur Wähler-Befriedigung"

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Wie soll man auf die Gefährdung der türkischen Demokratie regieren und mit einem Präsidenten umgehen, der seine politischen Konkurrenten wegsperrt. Ein Gespräch über Recep Erdogan, Fethullah Gülen und europäisch-türkische Diplomatie.

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Wie soll man auf die Gefährdung der türkischen Demokratie regieren und mit einem Präsidenten umgehen, der seine politischen Konkurrenten wegsperrt. Ein Gespräch über Recep Erdogan, Fethullah Gülen und europäisch-türkische Diplomatie.

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Yunus Ulusoy ist Programmdirektor des "Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung", einer unabhängigen Stiftung des Landes Nordrhein-Westfalen. Ein Gespräch über Erdogan, die Türkei und die Fehler Europas im Umgang mit dem Putschversuch.

Die Furche: Die Gülen-Bewegung hat ein großes Netzwerk, das Tausende Menschen der türkischen Gemeinschaften in Österreich und Deutschland umfasst. Das gleiche gilt auch für die AKP von Präsident Erdo gan. Merken Sie bei Ihrer täglichen Arbeit, wie sehr sich der Konflikt zugespitzt hat?

Yunus Ulusoy: Es gab schon eine Veränderung, die etwas früher zurückliegt, seit fast drei Jahren gibt es diesen Bruch zwischen der Gülen-Bewegung und der AKP-Regierung. Seit damals gibt es die Anweisung an alle Botschaften und Konsulate der Türkei die Zusammenarbeit mit der Gülen-Bewegung einzustellen. Wir haben nun natürlich eine ganz andere, neue Linie nach dem Militärputsch. In der Türkei besteht kein Zweifel daran, dass die Gülen-Bewegung hinter diesem Putsch steht. Die teilweise brutale Vorgehensweise war für viele Menschen ein Schock und diese Emotionen werden nun auch auf Gülen-Anhänger übertragen.

Die Furche: Woher nimmt die türkische Regierung eigentlich die Gewissheit über die Täterschaft?

Ulusoy: Nach offizieller Darstellung ist es so: 2007 und 2010 gab es zwei große Anklageverfahren gegen Militärs. Damals verstand sich Gülen noch mit Erdogan. Im Rahmen dieser Verfahren wurden Atatürk-treue Offiziere verhaftet und Gülen-treue Kräfte in die Posten gehoben. Es waren nach Darstellung der Regierung genau diese Leute, die nun geputscht haben. Aber wie gesagt, wir richten uns da nach Informationen, die derzeit aus der Türkei kommen.

Die Furche: Eine international operierende Organisation wie jene Gülens macht einen derartig schlecht geplanten Putsch?

Ulusoy: Vielleicht haben sie ja mit wesentlich mehr Unterstützung der Eliten und auch von Teilen der Bevölkerung gerechnet wegen der breiten Anti-Erdogan-Stimmung, die es tatsächlich gab. Aber die konnten sie sich nicht zunutze machen. Ihr Problem war, dass sie auch selber sehr unbeliebt sind, weil sie selbst gegen Leute vorgegangen waren, die gegen die Gülenbewegung recherchiert hatten, also gegen Polizisten und unabhängige Journalisten.

Die Furche: Ganz unabhängig vom Putsch, der Streit zwischen Gülen und Erdo gan ist unbestreitbar. Aber es ist gar nicht so lange her, da wollte Erdo gan, dass Gülen nach Hause kommt oder wie er sagte, dass Gülens "Sehnen ein Ende hat".

Ulusoy: Sie haben sich ohne Zweifel über eine Zeit lang gestützt. Beide waren stark religiös geprägt und beide waren vom Militär bedroht und haben sich gegen den "tiefen Staat" in der Türkei gestellt. Kein Wunder, dass Gülen-Anhänger auch Erdogan-Anhänger waren, bis eben Gülens Leute begannen, Erdogans Macht in Frage zu stellen mit Korruptionsermittlungen. Da hat Erdogan erkannt, dass er schon sehr lange von den Gülen-Leuten überwacht worden war.

Die Furche: Aber warum hätte Gülen Grund, Erdo gan zu destabilisieren, wenn der doch politisch und religiös ein Partner war?

Ulusoy: Meine These ist: Neben innertürkischen Fragen und Machtkonflikten gab es noch den Faktor: Die Außenpolitik und die Außenwirkung der Türkei. Die Gülen-Bewegung ist die einzige Organisation mit Beziehung zum Islam, die sich als globaler Akteur weltweit etablieren und gut vernetzen konnte. Sie versteht sich auch so: Als globaler Akteur mit anatolischen Wurzeln. Die AKP und Erdogan waren zunächst auf einem ähnlichen Kurs, Repräsentanten der Öffnung der Türkei. Aber statt dessen hat Erdogan einer Rückbesinnung Richtung Anatolien vollzogen. Er hat mit damit auch den Ruf der Gülen-Bewegung in Frage gestellt als er seine Weltoffenheit zurückgenommen hat. Das muss Gülen extrem gestört haben.

Die Furche: Dann steht dahinter also keine Auseinandersetzung um die Auslegung des Islams, wie man derzeit häufig liest?

Ulusoy: Ich glaube, naheliegender ist der reale Interessenskonflikt. Wie kann eine Bewegung, die sich auf islamische Werte bezieht, so schnell wachsen, wenn man ihr zumindest nicht mehr wohlwollende Neutralität unterstellt. Erdogan hat mit seinen Aktionen die Interessen und den Wachstumskurs der Gülen-Bewegung gefährdet.

Die Furche: Innerhalb der türkischen Gemeinschaft in Österreich und Deutschland gibt es eine extrem aufgeheizte Stimmung. Wie sollte man darauf reagieren? Liegt Außenminister Kurz richtig, wenn er meint, wer für Erdo gan demonstriert, soll nach Hause gehen oder wenn Kanzler Kern den Abbruch der EU-Verhandlungen fordert?

Ulusoy: Das sind Verbalkanonen, die eingesetzt werden, um die Wünsche der eigenen Wählerschaft zu bedienen. Aber damit unterwandert man alle Möglichkeiten, die Situation zu deeskalieren. In so einer Sackgasse befindet sich die Öffentlichkeit in Österreich und Deutschland.

Die Furche: Aber wie weit darf die europäische Kritik an Erdo gan gehen? Kann man nicht sagen, dass er kein Demokrat mehr ist, die Menschenrechte verletzt, die Pressefreiheit abschafft und die Opposition unterdrückt? Oder dass man den europäischen Standpunkt fest vertritt, dass die Todesstrafe etwas ist, das wir nicht tolerieren können? ulusoy: Man soll selbstverständlich Kritik üben. Aber die Frage ist, wie die Kritik formuliert wird. Sie muss eine Sprache verwenden, die den anderen nicht verletzt, sodass die Gesprächsbereitschaft darüber nicht verloren geht. Es ist eine Frage des Taktgefühls, aber auch des Eigennutzes. Wenn alle, die Deutschen, die Österreicher und die Türken nur noch übereinander statt miteinander reden, wenn alle Botschaften nur noch dazu da sind, die Klientel im eigenen Land zu befriedigen, hat die Diplomatie keine Chance. Im Türkischen gibt es den Begriff "Seele brechen", wenn dieses Taktgefühl fehlt. Wir wissen alle um die Emotionalität der Südländer. Statt ihre emotionale Sprache zu übernehmen, sollte man besonnen und sachlich mit der Türkei sprechen.

Die Furche: Was wäre in dieser Perspektive Ihr Rat für Kern und Kurz?

Ulusoy: Sie sollten versuchen, ihren Einfluss in der Türkei tatsächlich wahrzunehmen. Sie hätten gerade wegen der großen türkischen Minderheit auch die interkulturelle Kompetenz dafür. Wenn ich dafür etwas tun will, muss ich doch in der Lage sein, bei meinem Gesprächspartner Gehör zu finden. Wenn ich ihn aber zum Bösen des 21. Jahrhunderts hochstilisiere, wird das nicht funktionieren.

Die Furche: Ihre persönliche Prognose: Wie geht es weiter mit der Türkei?

Ulusoy: Ich versuche immer auch im dunklen Wald noch Licht zu sehen: Die Türkei ist nicht Nordkorea, auch nicht Russland. Sie ist zu stark mit Europa verbunden, um sich von ihr abzuwenden. Die EU-Beitrittsperspektive hat der Türkei vier Mal mehr Investitionen als in der Geschichte der Republik gebracht. Fast die Hälfte der türkischen Exporte (44 Prozent) gehen in die EU. Die Nachbarn Russland oder Iran können Europa nicht ersetzen. Die wirtschaftliche Stabilität, der Garant für Erdogans Wahlerfolge, kann nicht gegen Europa und dem Westen gelingen. Europa und die Türkei brauchen sich gegenseitig, wenn man auf die Landkarte guckt. Mein Rat: handelt danach!

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