Muslime ringen um neue Verfassung

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Aus Sicht der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ist deren neue Verfassung längst ausverhandelt. Ein Einblick in die Eckpunkte des neuen Regelwerks.

„Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Seit Wochen liegt der ausverhandelte Entwurf beim Kultusamt. Die Öffentlichkeit wie auch wir befinden, dass Neuwahlen längst fällig sind – wir wollen durch Inkrafttreten der neuen Verfassung endlich in die Wahlen gehen.“ So brachte Präsident Anas Schakfeh den Stand der Verfassungsreform der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich anlässlich des Iftar-Mahls bei Bundeskanzler Faymann auf den Punkt.

Notwendig wurde eine Verfassungsreform durch verschiedene Faktoren. Die alte Version entspricht noch den Verhältnissen vor etwa dreißig Jahren, als die Muslime in Österreich gerade einmal eine Gemeinschaft einiger Tausend bildeten. Heute haben sie mit zirka fünf Prozent der Gesamtbevölkerung zahlenmäßig bereits die Evangelischen überholt. Dies erfordert neue Strukturen. Gleichzeitig sollte die IGGiÖ noch näher zu den Muslimen rücken und jenen Prozess unterstützen, der Muslimen nicht nur rechtliche Anerkennung, sondern auch gesellschaftliche Akzeptanz als Teil Österreichs bringt.

Was sind nun die Eckpfeiler der neuen Verfassung? Eine Präambel unterstreicht jene Linie der Islamischen Glaubensgemeinschaft, die ihr auch international viel Respekt eingebracht hat. Die Kompatibilität, sich als Muslim zu verstehen und im österreichischen demokratischen, pluralistischen Gemeinwesen zu partizipieren, wird hier ebenso betont wie der Dialoggedanke „für eine konstruktive Kooperation zum Wohl der österreichischen Gesellschaft“.

Die Mitgliedschaft wird genauer ausgeführt. Wie es dem Selbstverständnis des Islam entspricht, bilden auch weiterhin alle Menschen muslimischen Glaubens, die in Österreich leben, in all ihrer Vielfalt der ethnischen Herkunft und muslimischen Rechtsschulen sunnitischer und schiitischer Prägung die Islamische Glaubensgemeinschaft. Da es im Islam kein der Taufe vergleichbares Zeremoniell gibt, sind Registerbücher kein automatischer Mechanismus der Mitgliedererfassung. Einspielen soll sich allerdings die Gewohnheit, dass nach der Geburt muslimische Kinder gemeldet werden und Erwachsene sich persönlich einschreiben. Mehr Basisnähe ist das Ziel.

Neun Religionsgemeinden

Daher wurde die Zahl der Religionsgemeinden erhöht. Nun hängen nicht wie zuvor mehrere Bundesländer in einem Sprengel zusammen, sondern bildet jedes Bundesland einen eigenen. Die Ausschüsse der einzelnen Religionsgemeinden werden nicht mehr direkt gewählt, wobei oft nur eine einzige Liste zur Auswahl stand, die bereits im Vorfeld durch Absprachen zwischen den Vereinen aufgestellt worden war. Jetzt soll das neue Gremium der Gemeindeversammlung einen viel breiteren Spiegel des aktiven muslimischen Lebens ergeben. Die Gemeindeversammlung wird dadurch gebildet, dass in einem Sprengel je 50 wahlberechtigte Mitglieder (jährliche Kultusumlage entrichtet, über 14 Jahre alt) eines muslimischen Vereines oder Fachverbandes einen Delegierten oder eine Delegierte in diese durch Wahl entsenden. Nicht vereinsmäßig gebundene Muslime können als „Unabhängige“ nach gleichem Modus wählen und gewählt werden. Wahllokale sind nicht mehr an nur einem einzigen Ort im Sprengel eingerichtet, sondern befinden sich in diversen Räumlichkeiten der Vereine. Bei einer hoffentlich hohen Wahlbeteiligung kann die Gemeindeversammlung sehr groß werden. Aus ihr gehen dann durch Wahl innerhalb des Gremiums die Ausschüsse der Religionsgemeinden hervor, die aus elf Personen bestehen, wobei die Gemeindeversammlung auch Kandidaten von außerhalb ihres Gremiums bei entsprechender Unterstützung benennen kann. Die Ausschüsse sind das geschäftsführende Organ jeder Religionsgemeinde. Jeder Ausschuss entsendet vier Vertreter in den Schurarat, das Haupt- und Zentralgremium der IGGiÖ, das vornehmlich die legislativen Angelegenheiten zu regeln hat. In diesem Wort steckt der arabische Begriff „Schura“, Titel einer Koransure und das Prinzip gegenseitiger Beratung, das den Demokratiegedanken im Islam widerspiegelt.

Schurarat und Oberster Rat

Der Schurarat soll mindestens 36, aber nicht mehr als 61 Mitglieder aufweisen. Die Zahl der noch zu entsendenden Personen wird gemäß dem Verhältnis der Stärke der einzelnen Gemeindeversammlungen aus diesen durch Wahl innerhalb dieses Gremiums bestimmt. Das höchste geschäftsführende Organ für die gesamte Islamische Glaubensgemeinschaft ist der Oberste Rat mit 15 Mitgliedern, die dem Schurarat angehören müssen und von diesem gewählt werden. Auch der Vorsitzende des Obersten Rates, der zugleich der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft ist, und dessen Stellvertreter werden direkt vom Schurarat gewählt, die anderen Funktionen innerhalb des Obersten Rates bestimmt.

Somit wird bereits an dieser Stelle deutlich, dass sich Spekulationen um den künftigen Präsidenten der IGGiÖ fast erübrigen, da ein langes, etappenweises Wahlverfahren zu erwarten ist. Sichtbar wird auch, wie die einzelnen Gremien miteinander verzahnt sind, wobei ein genauerer Blick in die genaue Definition der Aufgabenbereiche dies noch klarer zeigen würde. Wert gelegt wurde auf eine Repräsentation des breiten Spektrums der Muslime durch Bestimmungen zur ethnischen und sprachlichen Herkunft, wobei jedes Gremium maximal 50 Prozent Mitglieder des gleichen ethnischen Hintergrunds aufweisen darf. Ein eigenes Thema ist der Zugang für Frauen, sind doch die Vereine von der Führung her sehr männlich dominiert. Immerhin konnte man sich beim Ausverhandeln der Verfassung darauf einigen, dass die Funktionen im Obersten Rat geschlechtsneutral beschrieben werden – eine hoffentlich bewusstseinsbildende Maßnahme, wie auch die Tatsache, dass „Frauen und Jugend“ ausdrücklich im Schurarat vertreten sein müssen.

Mufti und erste Imame

Ein weiteres wichtiges Gremium im Sinne eines lebendigen innermuslimischen Diskurses ist der Beirat mit seiner beratenden Funktion, in dem Vereinsvorsitzende und verdiente Persönlichkeiten sitzen. Die Verfassung geht auch auf die Aufgaben der muslimischen Seelsorger/innen ein. Ganz neu wurde der Imamerat geschaffen, dem der vom Schurarat gewählte Mufti als höchste theologische Autorität und die neun ersten Imame der einzelnen Religionsgemeinden angehören. Außerdem können weitere Personen hierzu berufen werden. Dies soll auch den internen Diskurs um eine authentische und zugleich zeitgemäße Interpretation der religiösen Quellen fördern. Als letzte Gremien seien das Schiedsgericht und die Rechnungsprüfer genannt.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft brennt jetzt geradezu auf den Startschuss durch das Kultusamt, die umfangreichen Maßnahmen für den reibungslosen Ablauf der Wahlen einzuleiten. Administrativ wird ein großes Datenaufkommen zu bewältigen sein. Dabei sei nicht nur an die individuellen Registrierungen und die durch die Vereine abgegebenen Listen gedacht. Die Moscheevereine können sich laut neuer Verfassung zertifizieren lassen. Damit bekennen sie sich zur Linie und Verfassung der IGGiÖ und unterstehen deren Aufsicht. Somit wird ein Plus an Transparenz erreicht, aber auch die Vernetzung und Zusammenarbeit und der Aufbau von Vertrauen nach außen gefördert.

* Die Autorin ist Medienreferentin der IGGiÖ

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