"Da habe ich mich schlaugemacht“

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Mit acht Jahren verlässt Nadire Mustafi Mazedonien und kommt zu ihrem Vater nach Österreich. Heute ist sie Frauenreferentin der Islamischen Glaubensgemeinschaft St. Pölten, macht ihren Master - und versucht ein Leben zu führen, das Spuren hinterlässt.

Nadire Mustafi ist spät dran heute. Höchstens 40 Minuten braucht sie normalerweise, um von Hollabrunn hierher in den siebten Wiener Bezirk zu fahren, ins Büro der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Doch heute war der Stau besonders schlimm. "Das habe ich leider unterschätzt“, sagt sie entschuldigend, streicht ihr modisches Seidenkleid glatt und kniet sich auf den Teppich.

Über mangelnde Auslastung kann die zierliche Frau nicht klagen. Morgens, wenn die siebenjährige Tochter in der Schule und der 21 Monate alte Sohn in Omas Obhut ist, fährt sie hierher in die Bernardgasse, um an ihrer Master-Thesis zu feilen. Hier hat sie die nötige Literatur und Ruhe, um jenes Thema zu umkreisen, das ihr so am Herzen liegt: die Integration aus Sicht der Muslime. Seit zwei Jahren schon hat sie alle Lehrveranstaltungen des Masterlehrgangs für islamische Religionspädagogik abgeschlossen. Jetzt fehlt ihr nur noch die Abschlussarbeit.

Kein leichtes Unterfangen mit einem anhänglichen Knirps im Schlepptau. Doch Nadire Mustafi ist keine, die sich schnell zufrieden gibt. Sie will Wissen sammeln, spirituell wachsen, sich einbringen. Und sie will, dass ihre Kinder einmal stolz auf sie sind: auf eine Mutter, die für sie da ist und sich zugleich artikuliert.

"Es fehlt zum Teil der persönliche Mut“

Dieser Anspruch sei auch der Grund gewesen, bei den aktuellen Wahlen der Islamischen Glaubensgemeinschaft zu kandidieren. Mustafi selbst wurde als Delegierte in die niederösterreichische Gemeindeversammlung gewählt - und zudem als Leiterin des Frauenreferats in den elfköpfigen Ausschuss berufen. Offiziell wird dies freilich erst dann, wenn sie vom neuen "Obersten Rat“ vereidigt wird. Ein kompliziertes Prozedere - und eines, in dem sie als Frau wieder in der Minderheitenrolle steckt: "Es gibt so viele Damen, die wirklich geeignet wären“, erklärt Mustafi, "doch es fehlt zum Teil der persönliche Mut.“

Die 31-Jährige will sich derlei nicht nachsagen lassen. 1980 in Tetovo (Mazedonien) geboren, kommt sie als achtjähriges, albanisch sprechendes Mädchen samt Mutter und zwei älteren Geschwistern nach Hollabrunn, wo sich ihr Vater, ein gelernter Maurer, als Arbeitsmigrant niedergelassen hat. Für die kleine Nadire bedeutet dieser Schritt den Verlust ihrer Heimat, die sie lange Zeit idyllisch verklärt. Erst Jahre später gewinnt sie bei einem Kurzbesuch einen realistischeren Blick: "Das kann ich jedem nur empfehlen“, sagt sie lächelnd. "Die Berge sind einfach nicht mehr so schön - obwohl es dieselben wie damals sind.“

In der Hollabrunner Volksschule fühlt sich das wissbegierige Mädchen bald daheim - und als einziges Kind mit Migrationshintergrund durchaus willkommen. Ihre eigene Religion bleibt ihr freilich lange fremd, obwohl ihre Eltern praktizierende Muslime sind. Erst in der Oberstufe des Kremser Gymnasiums erhält sie ihren ersten islamischen Religionsunterricht. "Da habe ich mich schlaugemacht und mir zusätzlich Bücher besorgt“, erinnert sie sich.

Auch nach der Matura hält das Interesse an: Die junge Frau belegt den Arabisch-Vorbereitungslehrgang an der "IRPA“ in der Wiener Neustiftgasse (mittlerweile "Privater Studiengang für das Lehramt für islamische Religion an Pflichtschulen“) - und lernt Zeadin Mustafi kennen, einen jungen Mazedonier, der auch in Sachen Glauben mir ihr auf einer Wellenlänge schwimmt. Die beiden verloben sich und wollen gemeinsam an der IRPA studieren, sobald Zeadin von seinen Auslandsstudien zurückkehrt. Um bis dahin Geld zu verdienen, bewirbt sich Nadire bei Firmen telefonisch als Bürokauffrau - und bekommt vor Ort nichts als Absagen serviert. "Es war klar, dass ich als kopftuchtragende Muslima unerwünscht war, auch wenn das niemand ausgesprochen hat“, blickt sie zurück. Sukzessive habe sie ihre Erwartungen gesenkt - und letzten Endes nur einen Fließbandjob ergattert.

Ob sie sich deshalb auch heute noch als Opfer fühle? "Ich sehe mich ungern in dieser Rolle“, stellt sie klar. Lieber würde sie mithelfen, vorhandene Missstände anzusprechen - und Klischees aufzubrechen.

Das war schon damals so, als sie in ihrem zweiten Studienjahr vor der Herausforderung stand, körperlich und geistig behinderten Kindern den Islam näherzubringen - und ihnen schließlich sieben Jahre lang als Sonderschulpädagogin verbunden blieb. Und es ist auch heute so, wenn sie gemeinsam mit ihrem Mann für ein muslimisches Begegnungszentrum im Weinviertel kämpft. Noch bis Dezember 2010 musste ihr "Verein albanischer Muslime in Hollabrunn“ zum Beten in einen feuchten Keller gehen. Erst kürzlich sei es gelungen, ein Grundstück samt Gebäude zu erwerben, wo nach und nach ein würdiger Platz für Gebet und Begegnung entstehen soll. "Man fordert zwar von den Muslimen immer mehr Transparenz“, ärgert sich Mustafi, "aber dazu müssen wir erst einmal raus aus dem schimmligen Keller und sichtbar werden!“

Sie selbst will ihr Möglichstes tun, damit das Miteinander der Kulturen und Religionen besser gelingt: durch jenes Wissen, das sie neuerdings als Studentin des Masterlehrgangs "Islam und Migrationen in Europa“ an der Donau-Uni Krems erwirbt; und durch ihre Funktion als Frauenreferentin, die sie zur Ermutigung nutzen will. Die Kraft dazu erhält sie aus dem Glauben - und von jenem Satz Mohammeds, der ihr Lebensmotto ist: "Der Beste unter euch ist jener, welcher der Gemeinschaft am nützlichsten ist.“ Ob das nicht ziemlich aufopfernd klinge? "Es geht ja nicht darum, die ganze Welt zu retten“, sagt die zierliche Frau mit dem wachen Blick, "aber ein kleiner Beitrag sollte schon zu schaffen sein.“

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