"Ich würde mehr Toleranz walten lassen!"
Im Gespräch mit Gudrun Krämer, Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin:
Im Gespräch mit Gudrun Krämer, Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin:
Die Furche: In säkularen Staaten wie Deutschland und Österreich, aber auch in laizistischen wie der Türkei leben Millionen gläubige Muslime. Wie lässt sich dies mit dem islamischen Rechtsverständnis vereinbaren?
Gudrun Krämer: Es herrscht der Grundsatz, dass islamisches Recht in seiner gesamten Breite nur auf islamischem Hoheitsgebiet anzuwenden ist, und dass Muslime in der Diaspora leben können, solange sie nicht an der Ausübung ihrer Grundpflichten gehindert werden. Das birgt allerdings Konfliktstoff. So haben Muslime in Deutschland nicht die Möglichkeit, am Arbeitsplatz oder in der Schule zu beten, wenn sie das möchten. An der Freien Universität Berlin gibt es etwa keine Gebetsstätte für Muslime. Es wird sogar argumentiert, dass man ihnen diesen Raum gar nicht geben solle, weil dann der Islam quasi die öffentliche Sphäre besetzt.
Die Furche: Unterschwellig herrscht mitunter die Angst, Muslime könnten die Errichtung eines islamischen Gottesstaates herbeisehnen. Für wie verbreitet halten Sie solche Tendenzen?
Krämer: In Deutschland halte ich das für ganz minoritär. Die meisten Muslime denken gar nicht an einen islamischen Staat. Die wollen nur ihre muslimische Identität wahren können. Was gehört aber dazu? Das Kopftuch? Das denken viele. Umso problematischer finde ich den Fall jener deutschen Lehrerin, die nicht mit Kopftuch unterrichten darf. Ich möchte den Gesetzgeber sehen, der einem jüdischen Lehrer verbietet, den Davidstern zu tragen. Wir verbannen ja auch Nonnen nicht aus den Schulen. Ich würde mehr Toleranz walten lassen und dadurch mehr Integration erlauben.
Die Furche: Sie haben die "Islamische Charta" des Zentralrats der Muslime in Deutschland als Pioniertat bezeichnet. Inwiefern?
Krämer: Die Muslime erkennen darin das deutsche Recht in vollem Umfang an. Das ist per se nichts Außergewöhnliches. Es heißt aber explizit, dass das Ehe- und Erbrecht mit eingeschlossen ist. Klassische Vorstellungen einer islamischen Ehe wurden damit an die Seite gerückt. Der wirkliche Durchbruch wird aber beim Thema Religionsfreiheit erreicht: Hier steht expressis verbis, dass Religionswechsel und Religionslosigkeit zwar nicht begrüßt, aber akzeptiert werden. An anderen Stellen stehen aber Dinge, die mich aufhorchen lassen. Etwa, dass der Islam vorschreibe, Gleiches gleich zu behandeln und Ungleiches ungleich. Das kann durchaus heißen, dass es zwischen Mann und Frau Unterschiede in der natürlichen Ausstattung gibt und sie daher ungleiche Rechte haben. Das ist beunruhigend, wobei an anderer Stelle festgehalten wird, dass das deutsche Eherecht akzeptiert wird. Und das lässt solche Ungleichbehandlungen nicht zu.
Die Furche: Sie haben gemeint, beim Thema Islam oft die Erfahrung "zugeklappter Ohren" zu machen. Könnte die Kluft zwischen den liberalen Lebensformen von Muslimen im Westen und den Verhältnissen in manchen muslimischen Staaten der Grund für Vorbehalte sein?
Krämer: Ja, nur kann man einem Muslim, der sich müht, eine aufgeschlossene Interpretation von Islam zu entwickeln, nicht entgegenhalten, dass die Taliban in Afghanistan dem widersprechen. Auf der Welt leben 1,2 Milliarden Muslime. Da finden wir, wie in allen Religionen, für jedes Verhalten ein Beispiel.
Das Gespräch führte Doris Helmberger
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