hijab kopftuchverbot - © Foto: Askin Kiyagan/Anadolu Agency/Getty Images

Hört ihnen doch einfach einmal zu!

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Mit ihrer Reportage "Generation haram" hat die Journalistin Melisa Erkurt 2016 für Aufsehen gesorgt. Wie ticken muslimische Jugendliche? Und welche Folgen hätte ein Kopftuchverbot? Ein Gastkommentar.

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Mit ihrer Reportage "Generation haram" hat die Journalistin Melisa Erkurt 2016 für Aufsehen gesorgt. Wie ticken muslimische Jugendliche? Und welche Folgen hätte ein Kopftuchverbot? Ein Gastkommentar.

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Radikalisierung. Zwangsheirat. Kopftuch. Wenn es um muslimische Jugendliche geht, hat die Mehrheitsgesellschaft ein klares Bild - gezeichnet von Politik und Medien. Und immer meint die Öffentlichkeit zu wissen, was man gegen Probleme mit diesen Jugendlichen machen muss. Aktuelles Beispiel ist das Kopftuchverbot. In Kindergärten ist es schon fix, in den Volksschulen soll es folgen und eine Ausweitung auf die Neuen Mittelschulen und Universitäten ist laut Vizekanzler Heinz-Christian Strache durchaus denkbar. Aber welches Problem wird dieses Verbot genau lösen? Die Mehrheitsgesellschaft sieht keine kopftuchtragenden Mädchen mehr in der Öffentlichkeit. Und was ist mit den Mädchen? Die, um die es bei dem Ganzen angeblich geht?

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Wenn der Bruder kontrollieren kommt

Die, die von ihren Eltern bisher zum Kopftuchtragen gezwungen wurden, haben noch immer dieselben furchtbaren Eltern, die in der Lage waren, ihre Kinder zu etwas zu zwingen und somit auch andere Formen finden werden, ihren Töchtern die Freiheit zu rauben. Dann wird der Bruder das Mädchen eben von der Schule abholen und kontrollieren, ob sie das Kopftuch außerhalb der Schule wieder anlegt -spielen im Park kann sie jetzt vergessen. Und denen, die das Kopftuch freiwillig tragen, wird vermittelt, dass nicht sie selbst, sondern andere darüber entscheiden, was sie auf ihren Köpfen haben. Welches Zeichen setzt das: Die muslimische Community soll diesen Mädchen nichts verbieten dürfen -das darf nur die Mehrheitsgesellschaft. Über die Selbstbestimmung junger Musliminnen bestimmt statt dem Vater nun eben Vater Staat.

Kein anderes Buch als den Koran

Aber woher soll die Mehrheitsgesellschaft auch wissen, dass der Umgang mit muslimischen Kindern und Jugendlichen in die falsche Richtung geht? Die meisten kennen diese Jugendlichen nur von FPÖ-Plakaten. Wie viele haben mit ihnen gesprochen, ihnen zugehört, wenn sie über ihre Ängste und Sorgen erzählen, um zu verstehen, wieso manche von ihnen frustriert sind und diese Frustration in Form veralteter Rollenbilderr und radikaler Tendenzen äußern?

Es braucht Menschen, die mit diesen Jugendlichen arbeiten, als Vorbilder dienen und ihnen zuhören, nicht welche, die sie sanktionieren, weil sie mit Kopftuch in die Schule kommen.

Ich habe mit diesen Jugendlichen gesprochen. Seit vier Jahren bin ich nun schon mit dem biber-Schulprojekt "Newcomer" in Schulen mit hohem Migrationsanteil unterwegs. Viele der Schülerinnen und Schüler, mit denen ich zusammenarbeite, sind muslimische Jugendliche aus sozioökonomisch schwachen Familien. Das sind oft Jugendliche, die zu Hause kein anderes Buch besitzen als den Koran. Denen nie vorgelesen wurde, deren Väter am Bau und die Mütter als Hausfrauen arbeiten. Sie kennen keine diversen Familienkonzepte, keine anderen Rollenbilder, woher auch? An ihrer Schule sind nur Kinder wie sie.

"Scheiß Terroristen!"

Wenn ich mit den jungen Mädchen mit Kopftuch und den Burschen mit schwarzem Haar und dunklen Bärten unterwegs bin, wechseln Passanten die Straßenseite, uns werden Blicke zugeworfen, als wären wir gemeingefährlich. Was macht es mit den Jugendlichen, wenn ihnen "scheiß Terroristen!" entgegen gerufen wird, wenn ihnen das Kopftuch heruntergezogen wird - was macht so etwas mit einem? Wie soll ein Teenager verarbeiten, dass Rechtspopulisten und Boulevardmedien über sie wie über eine Epidemie sprechen ("Islamisierung"), etwas, vor dem man gewarnt werden muss?

Ich sage Ihnen, was das mit diesen Jugendlichen macht, ich erlebe es tagtäglich: Während die Mädchen, die sich leichter in der Schule tun und generell gelernt haben, sich anzupassen, entweder einen unglaublichen Druck entwickeln, mit ihrem Können beweisen zu müssen, dass die Mehrheitsgesellschaft falsch liegt oder still aufgeben und sich ihrem Schicksal fügen, kontern die Burschen mit veralteten Rollenbildern und einer Verbotskultur den Mädchen gegenüber. "Du darfst keinen Ausschnitt zeigen. Du darfst keinen Freund haben. Du darfst abends nicht rausgehen - das ist haram -verboten!" Während sich die meisten Mädchen am Beginn unseres Schulprojekts von diesen "haram"-Rufen einschüchtern ließen, sind sie heute gestärkt vom "neuen" Feminismus, der durch soziale Netzwerke auch Einzug in ihr Klassenzimmer gefunden hat. -"So redet ihr nicht mit uns!". Die Mehrheitsgesellschaft applaudiert: "Endlich widersetzen sie sich diesen muslimischen Jung-Machos!"

Nur eines verstehen die Mädchen dann nicht: "Wenn es gut ist, dass wir und nicht die Burschen entscheiden, was wir anziehen, wieso dürfen dann nicht auch wir entscheiden, ob wir ein Kopftuch tragen?" Wenn man diesen Jugendlichen helfen will, dann muss man mehr Geld in Sozialarbeiter und Jugendprojekte stecken. Es braucht Menschen, die mit ihnen arbeiten, als Vorbilder dienen und ihnen zuhören, nicht welche, die sie sanktionieren, weil sie mit Kopftuch in die Schule kommen.

Die Autorin ist Journalistin und leitet das Schulprojekt "Newcomer" des transkulturellen Wiener Magazins "biber".

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