Ein leiwandes Gefühl"

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Man könnte sie "schwere Jungs" nennen oder einfach nur schwierige Pubertierende. Wie zwei Jugendliche kriminell wurden und nun ihre zweite Chance nutzen wollen.

Wenn ich wohin komme, da weichen die anderen respektvoll auseinander. Ein leiwandes Gefühl", erzählt Josip und lächelt stolz. Es hat einige Jahre gedauert, um sich diesen Ruf und einen Namen aufzubauen, den ganz Wien kennt, meint er. Einen Namen so wie in einem Western. Diesen berüchtigten Namen will er nicht nennen. Wie er ihn erschaffen hat, darüber will der fast 19-Jährige reden. Und es fing harmlos an.

Damals, 16 Jahre alt, lernte Josip einen Freund kennen. Man zog durch die Straßen, man langweilte sich, man wollte wer sein. Warum genau es geschah, kann er heute nicht mehr sagen. Da kam ihnen ein Jugendlicher entgegen, man war gut drauf. Sie drückten ihn an die Wand, stahlen sein Handy und Geld, liefen davon. Das war ein Kick. Ein gewaltiger Kick, so gewaltig, dass Josip weitermachen musste. Ein Jahr lang überfiel er andere Jugendliche, das Diebesgut wurde sofort am Westbahnhof, dem Umschlagplatz für gestohlene Handys, Laptops usw., verkauft. Von Freunden habe er davon erfahren, sagt der junge Mann, schmal, jugendlich aussehend, schwarz gekleidet. Meist Schwarzafrikaner oder ältere Türken stehen dort herum; man wirft sich einen Blick zu, man versteht sich sofort, dann verschwindet man in einer Seitengasse und verhandelt.

"Ging urprofessionell vor"

Ein Jahr lang geht alles gut. Schlechtes Gewissen? "Nein, ich habe niemanden geschlagen", sagt er: "Ich ging urprofessionell vor." Die Eltern, einst aus Kroatien nach Wien immigriert, hätten auch nichts bemerkt von seinen Überfällen, dem zusätzlichen Geld und der schwierigen Sinnfindung des Sohnes, meint er. Dann wurde ein ehemaliger Kumpel, mit dem er ebenso auf Diebestour gegangen war, geschnappt; dieser verpfiff ihn. Die Schlinge um Josip wurde enger. Er musste sich ein Monat lang verstecken, brach noch in eine Tankstelle ein und dann war es vorbei. Er wurde festgenommen. 17 Jahre alt, ein Monat in U-Haft; aber er hatte einen Namen.

Die Erschütterung seiner Eltern ließ ihn nicht kalt. Als sein jüngerer Bruder einmal zu ihm in die Haft kam, ihn fragte, wann er wieder nach Hause komme, die feuchten, fragenden Augen ihn anstarrten, da kam auch er an seine emotionalen Grenzen. "Ich wollte meinem Bruder doch ein Vorbild sein", erzählt Josip heute. "Damals habe ich mir schon gedacht: Das hat sich nicht ausgezahlt."

18 Monate bedingt, so das Urteil. Drei Jahre Bewährungszeit und die Chance auf ein anderes Leben. Wenn es doch schief gehen sollte, dann muss er sitzen.

Wenig später saß er unfreiwillig mit anderen Jugendlichen in einer Täter-Gruppe, in der die kriminelle Tat, die Aggression, die Gewaltbereitschaft, die Schuld aufgearbeitet werden soll. Eine Gruppe junger Burschen unter 18 Jahre alt, die wegen schweren Raubes, Körperverletzung oder gefährlicher Drohung verurteilt wurden und nun unter Auflagen die Chance bekommen, dem Knast zu entgehen. "Die Gruppenarbeit bedeutet sechs Monate intensiver Auseinandersetzung mit sich selbst und den Taten", erklärt Adelheid Roth, Sozialarbeiterin und Bewährungshelferin bei der Organisation "Neustart". Die Anwesenheit ist verpflichtend. "Es geht sehr viel um das Thema Anerkennung, um das Selbstbild und Fremdbild, um Vorbilder und Konfliktlösung abseits von Gewalt." Die Gewalt in der Familie, die dauernde Gewalt in Medien, in Computerspielen oder auf Handys ist nur eine der vielen bekannten und oft beklagten Ursachen für Jugendkriminalität. Dazu kommen Reizüberflutung, Überforderung der Jugendlichen durch Konsum- und Leistungsdruck, veränderte zunehmend unsichere Familienstrukturen, Erziehungsunsicherheiten, wie Gerhard Kette, Rechtspsychologe von der Kepler Universität Linz, aufzählt.

Gerade Buben tun sich noch schwerer mit den gesellschaftlichen Anforderungen, erklärt Kurt Kurnig, erfahrener Psychologe in der Jugendarbeit. Es fehlten gute männliche Vorbilder. So wichtig die Chancengleichheit für beide Geschlechter sei, es müsste mehr auf die unterschiedliche Art, wie Buben und Mädchen Aggressivität ausleben, eingegangen werden, fordert der Leiter des Psychologischen und Psychotherapeutischen Dienstes der AVS (Arbeitsvereinigung der Sozialhilfe Kärnten). Die gezielte Arbeit mit Buben sei daher so wichtig. Hier seien neue Modelle gefragt. Auch in der Erziehung ortet der Fachmann einige Unsicherheiten der Eltern. "So lange die Kinder klein sind, dürfen sie alles, später gibt es immer mehr Verbote, es sollte genau umgekehrt sein."

Auch Adelheid Roth sieht hier eine Ursache für das Hineinschlittern in die Kriminalität einiger der Jugendlichen, die sie als Bewährungshelferin betreut. Grenzen seien für sie bisher kaum spürbar gewesen.

Viele dieser Burschen haben Wurzeln in anderen Ländern, also den viel zitierten Migrationshintergrund. Ist das eine Mitursache? Nur indirekt, sind sich Experten einig: Es sind die sozialen Probleme, die zu Ausgrenzung, zu Minderwertigkeitsgefühlen und noch schwierigerer Ich-Findung führen und damit kriminelles Verhalten fördern können. Viele Migrantenfamilien, so Roths Erfahrung, arbeiten hart, um den Lebensstandard zu verbessern, um sich anzupassen, dies geschieht zunächst vor allem auf materieller Ebene: Man will auch so leben wie eben die anderen Österreicher. Den Kindern dieser Familien fehlt es materiell meist an nichts, dafür aber mangelt es an Zeit mit den Eltern, die stets mit Geldverdienen beschäftigt sind. Dazu kommt die Hin- und Hergerissenheit zwischen alter und neuer Heimat, die schwierige Identitätsfindung der Migrantenkinder und Sprachprobleme.

"Nein, ich habe das Geld nicht gebraucht, ich hatte genug", erzählt auch Sascha, der bald 17-Jährige hat "nur" eine Straftat begangen. Auch bei ihm die übliche Vorgeschichte: Man lernt Freunde kennen, man treibt sich herum, man langweilt sich, man will provozieren und Grenzen ausloten. Sein damaliger Freund, der laut Sascha schon etliche Delikte begangen hat, beschloss dann, drei Jugendliche zu überfallen, wegen dreier Handys, ganz plötzlich - und plötzlich sah sich der damals 15-jährige Teenager in ein Verbrechen verwickelt. Es kam noch zu einer Schlägerei, wobei ein Auto beschädigt wurde. Sieben Monate bedingt, so sein Urteil. Bei Sascha, ebenso mit kroatischen Wurzeln, war es nur eine Tat und er hatte es sogleich bereut. "Es war ein Schock, ein großer Fehler, mitgemacht zu haben, nicht Nein gesagt zu haben."

Auch das war Teil der Gruppenarbeit, Nein-Sagen lernen, zur Tat zu stehen, zu sagen: Es tut mir leid. "Die Gruppenarbeit hat viel gebracht", sagen sie heute. Sie haben ihren Freundeskreis gewechselt, konzentrieren sich auf ihre Zukunft. Sascha holt den Hauptschulabschluss nach, Josip besucht die HAK; eine Ausnahme, so Roth, denn die meisten ihrer Klienten haben nicht einmal die Pflichtschule beendet. In vielen der betroffenen Familien sei Bildung zweitrangig. Dazu kommt das Bildungssystem, das Kinder mit Schwierigkeiten durch das Netz fallen lässt, anstatt sie aufzufangen.

Gangs und Langeweile

Aggressivität und Frust wollen beide durch Sport abbauen. Oder durch Rappen. Sascha textet Rap-Songs, in die Texte packt er all seinen Frust und Ärger. Es sei nun sein Hobby, das ihn stark mache, erklärt er. Elternhaus und Erziehung geben beide keine Schuld an dieser Misere. Es seien der Freundeskreis und Langeweile gewesen, sagen sie. Und die Suche nach Anerkennung. "Ohne Schlägerei geht es nicht, einen Ruf aufzubauen", sagt Josip. "Natürlich versucht man, Konflikte mit Worten zu klären", fügt er hinzu. Er weiß mittlerweile, was von ihm erwartet wird. Dennoch, auf seinen berüchtigten Namen ist er immer noch stolz.

Was wollen die beiden werden, wenn nach fünf Jahren endlich die Tat aus dem Leumudszeugnis gestrichen wird, sofern sie bis dahin auf dem "korrekten Weg" bleiben, was sie versichern, tun zu wollen?

Sascha will Mechaniker werden, und Josip? "Manager vielleicht. Zuerst die Schule fertig machen." Und die Vorstellung von einem Namen, der Respekt und Angst verbreitet, lebt weiter.

Regine Bogensberger

www.neustart.at

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