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Was plant die Regierung im Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung und was sagen NGOs oder von Armut Betroffene dazu?

Täglich steht sie bei der U-Bahn-Station Meidlinger Hauptstraße und bietet die Straßenzeitung Augustin zum Verkauf an: Traude Lehner. Hunderte gehen täglich an ihr vorbei, einige kaufen eine Ausgabe, manche warten schon auf die neue Nummer. „Es sind nur ganz wenige, die vorbeigehen und unhöflich sind oder mich anstoßen“, erzählt die 55-jährige Wienerin, die sich nicht versteckt, sondern offen sagt: Ja, ich bin arm. Lehner lebte über zwei Jahre in einem Obdachlosenheim. Sie war also ganz unten in der Gesellschaft. Doch einfach damit abfinden wollte sich die blondhaarige Frau mit den mutigen, lebensfrohen Augen nie.

Seit Jahren schon engagiert sie sich in der „Armutskonferenz“, hält Referate auf Veranstaltungen zum Thema und macht eines deutlich: Armut muss sichtbar werden. Niemand muss sich schämen.

Traude Lehner hat einiges zu sagen: „Es ist genug für alle da“, ist ihr Credo. „Wenn Banken Geld brauchen, sind Milliarden da. Für uns nicht.“ Mit der geplanten Mindestsicherung ist sie mehr als unzufrieden. „Das ist eine verschlechterte Sozialhilfe“, sagt sie. 744 Euro seien nicht genug. Die Mindestsicherung soll nach langen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern am 1. September 2010 endlich in Kraft treten und 744 Euro zwölfmal im Jahr ausmachen. Es wurde ein sogenanntes „Verschlechterungsverbot“ festgelegt: Niemand dürfe mit der Mindestsicherung weniger bekommen als vorher mit der Sozialhilfe. Dafür müssten die Länder sorgen.

Die „Armutskonferenz“ oder auch die Grünen (siehe Interview) bleiben skeptisch bis ablehnend. So auch Traude Lehner. „Würde sie 14-mal im Jahr ausbezahlt, wären wir eventuell noch einverstanden gewesen“, sagt sie. Sie wünscht sich von der Regierung eine Reichensteuer und die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer.

„Ich musste immer kämpfen“

Politisch und sozial denkend sei sie schon immer gewesen, erklärt Lehner eloquent. Und auch arm. Sie stammt aus einer zerrütteten Familie. Die gebürtige Wienerin lebte einige Jahre in Italien. Nach dem tödlichen Unfall ihres damaligen Lebensgefährten rutscht sie finanziell immer mehr ab. Kurz vor ihrer Delogierung in Italien kehrt sie wieder nach Wien zurück. Von ihrer Familie konnte sie keine Hilfe erwarten. Zweieinhalb Jahre lang lebte sie im Obdachlosenheim. Sie schlief in einem sechs Quadratmeter großen Zimmer, musste sich Bad und Küche mit drogenabhängigen, psychisch kranken Menschen teilen. „Es gab keine Intimsphäre, das schlug wahnsinnig auf die Psyche.“ Dazu kam ein Leiden an den Händen.

Dennoch schaffte sie den Aufstieg. „Ich komme aus einer armen Familie und habe immer kämpfen müssen“, erklärt sie, warum sie nie den Mut verloren hat. Sie nahm an der Schreibwerkstatt beim Augustin teil und begann sich für die „Armutskonferenz“ zu engagieren. Sie fand eine neue Liebe und lebt mit dieser in einer betreuten Wohnung. Das Paar hat Aussicht auf eine Gemeindewohnung. Der Armut sind sie aber immer noch nicht entkommen: Zusammen haben sie etwas über 700 Euro im Monat zur Verfügung (abgerechnet der Miete). Davon müssen aber noch Strom, Gas und alles sonstige, was man zum Leben braucht, berappt werden. „Ja, ich bin arm. Ich kann mir nichts leisten“, sagt Lehner deutlich. Aber sie hat nicht aufgehört, für sich und andere Betroffene zu kämpfen.

Sie wird auch am Montag, dem 22. Februar, im Publikum sitzen, wenn unter Beisein von Bundespräsident Heinz Fischer, Sozialminister Rudolf Hundstorfer und Vertretern der EU die österreichischen Aktivitäten im Rahmen des Europäischen Jahres gegen Armut und sozialer Ausgrenzung in Salzburg offiziell eröffnet werden.

Auftakt des EU-Jahres in Salzburg

Anschließend, am 23. und 24. Februar, findet die achte „Armutskonferenz“ ebenso in Salzburg statt. Österreich plant eine Reihe von Projekten und Veranstaltungen im Rahmen des Jahres gegen Armut (siehe Seite 24).

Politisch wird SP-Sozialminister Hundstorfer die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und die Einführung der Mindestsicherung als zentrale Aktivitäten des Landes betonen (siehe Interview unten).

Der „Armutskonferenz“, einem Zusammenschluss von zahlreichen NGOs, ist das zu wenig. Sie verweist zunächst auf die Zahlen für 2008: 12,4 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind armutsgefährdet, das sind knapp über eine Million Menschen. Sechs Prozent leben in manifester Armut. Das bedeutet, sie konnten es sich nicht leisten, die Wohnung warm zu halten oder sich ausgewogen zu ernähren. Doch Armut sei nicht nur ein Mangel an Geld und Gütern, sondern auch an Freiheiten und Möglichkeiten, sich als Mensch in einer Gesellschaft einzubringen und sich zu verwirklichen, betont Michaela Moser, Vizepräsidentin der Europäischen Armutskonferenzen im Vorfeld der österreichischen Veranstaltung. Zentrale Themen der „Armutskonferenz“ sind Verteilungskämpfe, Verwirklichungschancen und Lebensqualität. Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie und Sprecher der „Armutskonferenz“, sieht keinen Grund für Optimismus: Die „soziale Krise steht noch bevor“. Er verweist in dem Zusammenhang auf Studien, die eines klar belegen: „Soziale Ungleichheit schadet – und zwar allen Gruppen in einer Gesellschaft.“

Was da ist, reicht für alle

Armut ist vermeidbar – dieses Credo wird von Martin Schenk und Michaela Moser in ihrem Buch überzeugend belegt. Das Thema Armut wird an der Wurzel gepackt, die Zusammenhänge des Teufelskreises Armut werden umfassend aufgezeigt, von Bildung bis Pflege. Die Argumente werden mit Fakten abgesichert und mit Berichten von Betroffenen ergänzt. Konkrete Vorschläge für Veränderungen zeigen die Auswege. Schlüssig daher die Kernbotschaft des Buches: Die Armut einzelner Gruppen schadet der gesamten Gesellschaft. (bog)

Es reicht! Für alle!

Von Martin Schenk, Michaela Moser. Deuticke 2010, 237 S., brosch., f 20,50

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