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Ideologische Vorgaben

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1978 haben die Sozialisten wohl auch „andere Formen" des Zusammenlebens anerkannt, sich aber zur Familie bekannt. 15 Jahre später fordern dagegen die Sozialdemokraten „die Gleichstellung aller Lebensformen". Unter Hinweis auf Trends, die bei näherer Betrachtung nicht das belegen, was dem Sinneswandel zugrunde liegt.

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1978 haben die Sozialisten wohl auch „andere Formen" des Zusammenlebens anerkannt, sich aber zur Familie bekannt. 15 Jahre später fordern dagegen die Sozialdemokraten „die Gleichstellung aller Lebensformen". Unter Hinweis auf Trends, die bei näherer Betrachtung nicht das belegen, was dem Sinneswandel zugrunde liegt.

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Die SPO-Familie 1978

„Die Sozialisten bekennen sich zur demokratischen, partnerschaftlichenFömj7/e a/sForm dauernden Zusammenlebens, die bewußt die Erziehung der Kinder als ihre Aufgabewahrnimmt und den einzelnen Familienmitgliedern Solidarität, Anteilnahme und Schutz bietet. Die Sozialisten anerkennen auch andere positive Formen menschlichen Zusammenlebens.

Die Familie hat insbesondere den Kindern Geborgenheit und Sicherheit zu gewährleisten. In ihr wird menschliches Verhalten geprägt. Sie wirkt als Brücke zur Gesellschaft. Das Zusammenleben der Menschen in der Familie wird durch die Leistungs- und Konsumgesellschaft bestimmt und ist daher starken Belastungen ausgesetzt. Die Entwicklung der Familie hängt wesentlich von den sozialen und ökonomischen Verhältnissen der Gesellschaft ab."

Aus dem Parteiprogramm der SPÖ, Bundesparteitag 20. Mai 1978 (Hervorhebungen durch die Redaktion)

... und die SPO-Familie 1993

„Familie ist jede Form des dauernden Zusammenlebens in partnerschaftlicher Form, welche den einzelnen Mitgliedern dieser Gemeinschaft Solidarität, Anteilnahme und Schutz bietet. Voraussetzung dafür ist, daß jeder Mensch das Recht hat, die Form seiner Lebensführung nach eigener Überzeugung frei zu gestalten.

Aufgabe einer bedarfsgerechten und zukunftsorientierten Familienpolitik ist es, die notwendigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, die Lebensbedingungen für die Familien zu verbessern und an der Entwicklung einer kinderfreundlichen Gesellschaft mitzuwirken.

Wie die Gesellschaft unterliegt auch die Familie ständigen ökonomischen und sozialen Veränderungen. So steigt die Zahl der Alleinlebenden (Singles), der Alleinerziehenden und der Paare, die unverheiratet zusammenleben, auch weiterhin.

Der Bundesparteitag fordert daher die Gleichstellung aller Lebensformen und den schrittweisen Abbau aller bestehenden Ungleichheiten beziehungsweise Diskriminierungen (Mietrecht, Pensionsrecht, Unterhalt, Erbrecht etc.)." Aus dem Leitantrag Nr. 8, Frauen und Familie, Bundesparteitag 374. Juni 1993 (Hervorhebungen durch die Redaktion)

Wer behauptet da, daß bei der Um-benennung der SPÖ von sozialistisch in sozialdemokratisch Ideologie verdunstet wäre. Was das Familienbild betrifft, überholen heute die neuen Sozialdemokraten die alten Sozialisten links.

Die Gegenüberstellung des SPÖ-Parteiprogramms 1978 mit dem entsprechenden Leitantrag beim vorwö-

Behauptung: Familie Ist out, Single-Dasein Ist in - und das Ist die Realität: Nichtberufstätige -Studenten, vor allem verwitwete Senioren - repräsentieren fast zwei Drittel der Singles (Foto Seidler)

chigen SPÖ-Bundesparteitag in Wien (siehe oben) macht den Sinnes- und Gesinnungswandel augenscheinlich. Die Forderung nach „Gleichstellung aller Lebensformen" bedeutet, daß sie auch in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung gleichwertig auf eine Ebene mit der Familie gestellt werden. Familie ist out, andere Formen des Zusammenlebens sind in.

Das sind ideologische Vorgaben, auch wenn man sich auf gesellschaftliche Trends beruft. Auf Zahlen und Fakten kann man sich dabei freilich nicht unbedingt berufen. □ Die Zahl der Privathaushalte in Österreich ist im Jahrzehnt von 1981 bis 1991 von 2,76 auf 2,99 Millionen, insgesamt um fast 230.000 oder 8,31 Prozent gestiegen. Die Zahl der Sin-

gle-Haushalte hat in diesem Zeitraum von 782.100 auf 847.500 um 8,36 Prozent zugenommen, hat sich also genau im Verhältnis entwickelt.

□ In 62,4 Prozent (1991) der vielzitierten Single-Haushalte leben Nichtberufstätige, Studenten etwa oder Senioren. Genauer noch: In 487.200 Haushalten mit nur einer Person, das sind 57 Prozent, leben Rentner und Pensionisten, in acht von zehn Fällen ist das eine Frau. So sieht der „typische" Single-Trend tatsächlich aus: ein Leben als Witwe, als Witwer. Übrigens haben sich die entsprechenden Relationen im letzten Jahrzehnt praktisch nicht verändert.

□ In 179.200 Haushalten, das ist ein Anteil von 5,98 Prozent, leben alleinstehende Mütter, gehäufter im Alter zwischen 40 und 59 Jahren, mit Kind(em), alleinstehende Väter, ebenso vermehrt zwischen 40 und 59, mit Kind(ern) bestreiten 29.600 Haushai-

Behauptung: Ehe ist out, „ohne Trauschein" ist in - und das Ist die Realität: 94 Prozent der Lebensgemeinschaften sind verheiratet, obwohl die Steuerpolitik Verheiratete benachteiligt (Foto Begsteiger)

te, was einem Anteil von 0,99 Prozent entspricht. Auch in diesem Bereich hat sich seit 1981 keine dramatische Verschiebung ergeben, obwohl die Familienbesteuerung (FURCHE 19/ 1993) gerade Paare, die im gemeinsamen Haushalt leben, gegenüber getrennt lebenden oder getrennt gemeldeten Partnern diskriminiert. □ Die Zahl der verheirateten Ehepaare ist im Zeitraum 1986 bis 1992 (Mikrozensus) um 54.200 auf fast 1,77 Millionen gestiegen, die Zahl der Lebensgemeinschaften ohne Trauschein erhöhte sich, gehäufter in Wien sowie im (groß-)städtischen Bereich, um 37.300 auf 112.300. Im Klartext: 94 Prozent der Paare in Österreich sind verheiratet, eine Minderheit ist es nicht.

□ 62 Prozent dieser Lebensgemeinschaften sind kinderlos, ein Fünftel hat ein Kind unter 15. Die Lebensgemeinschaft, erklären dies die Statistiker, werde eben als Vorstufe zu einer späteren Ehe betrachtet, vor allem, wenn Kinder geboren werden.

□ Das hat auch mit der Alter der Partner zu tun. Ohne Trauschein leben -jenseits der statistischen Fehlergrenze-Paare zwischen 20 und 34 zusammen, deutlich mehr als die Hälfte. Bei den 25- bis 29jährigen lebt überdies noch mehr als ein Viertel als „Kind" bei den Eltern im Haushalt.

Aus diesen Daten und Relationen eine Familienpolitik abzuleiten, die sämtliche Formen des Zusammenlebens über einen Kamm schert, hat mit einer Anpassung an gesellschaftliche Verhältnisse nichts zu tun. Der Leitantrag läuft vielmehr darauf hinaus, gesellschaftliche Verhältnisse ideologischen Vorgaben anzupassen.

Behauptung: Familie ist out, der Alleinerzieher-Trend ist im Vormarsch - und das ist die Realität: Scheidungsprobleme inbegriffen, haben sich die Relationen nicht ganz so dramatisch verändert

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