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Ehe, Familie, Gesellschaft

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uas gegenwartige österreichische Regierungssystem besteht in einer Koalitionsregierung der beiden Regierungsparteien, die sich auf rund 95 Prozent der Sitze im österreichischen Nationalrat und etwa auf 90 Prozent der Wählerschaft stützen kann.

Mit diesem System hat es zweifellos immer wieder seine Schwierigkeiten — ähnliche Schwierigkeiten hat heute jede demokratische Ordnung. Was heute in jeder modernen Gesellschaft unerläßlich ist, ist die Bereitschaft und die Fähigkeit der in ihrem Rahmen zum Zusammenleben „Verurteilten“, in einer nach beruflichen, sozialen und regionalen Interessen und weltanschaulich differenzierten pluralistischen Gesellschaft zusammenleben.

Damit sind wir schon direkt bei der Bedeutung der Ehe und der Familie für die Gesellschaft schlechthin und für unsere heutige Gesellschaft, für die Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im besonderen. In erster Linie liegt die Bedeutung der Ehe in der Charakter- und Gesinnungsbildung, die sie erfordert und die sie zur Reife bringen soll.

Die Entscheidung zur Ehe und nicht minder zum Ausharren in der Ehe erfordert Verantwortungsbewußtsein, Duldsamkeit und Opferbereitschaft — im Hinblick auf die Unlösbarkeit in noch stärkerem Ausmaß als das demokratische Zusammenleben, im Hinblick auf die persönliche Bindung der Ehegatten, unter Umständen, die dieses Wagnis zu einem nicht unzumutbaren machen.

Es gibt keinen stärkeren Erziehungsfaktor als Ehe und Familie. Der Mensch tritt ins Leben als das körperlich und geistig hilfsbedürftigste Lebewesen. Er ist — vor allem, aber nicht nur in der Kinderzeit — auf den Schutz der Familie angewiesen. Nicht wenige asoziale Erscheinungen werden heute mit Recht auf Mängel in Ehe und Familie zurückgeführt.

Es wurde schon oft aufgezeigt, wie sehr eine glückliche Kindheit für das künftige Leben entscheidend sein kann: die seelischen Reserven, die Fähigkeit, einer eigenen Familie diese Atmosphäre der Solidarität und der Zusammengehörigkeit zu geben und damit die rechte Ordnung der Werte nicht nur zu kennen, sondern auch im wahrsten Sinne spdelend zu erlernen.

Schule, Staat und kirchliche Organisation sind ergänzende Erziehungsgemeinschaften — die primäre ist die Familie. Wer in einer kinderreichen Familie aufgewachsen ist und selbst wieder in einer kinderreichen Familie leben darf, weiß, daß es keine wirksamere Erziehung gibt als die der Eltern untereinander, die der Eltern und Kinder gegenseitig und der Erziehung, die sich Geschwister gegenseitig ange-deihen lassen.

Wenn die Familie auch keine Produktionsgemeinschaft mehr ist, wie dies in der primitiven agrarisch-handwerklichen Gesellschaft weitgehend der Fall war, so bleibt die Familie auch und gerade im modernen Wirtschaftsleben als Wirtschafts- und Konsumgemeinschaft von tragender Bedeutung.

Der Familienhaushalt ist der Ort, wo über einen Großteil des Volkseinkommens disponiert wird. Im Familienhaushalt wird in einer Marktwirtschaft auch über die Richtung der Produktion, über die Höhe der Sparquote, über die Eigentumsbildung und andere grundlegende Fragen der Einkommensverwendung entschieden. In einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung fallen die wichtigsten volkswirtschaftlichen Entscheidungen in den einzelnen Haushalten. Das trägt der Würde und Freiheit des Menschen und seiner Selbstverantwortung Rechnung! Die monatlichen oder wöchentlichen Budgetdebatten in den Millionen österreichischen Haushalten sind von nicht geringerer Bedeutung als die jährlichen Entscheidungen, die in der Budgetnacht am 22. Oktober zu fällen sind.

Als Fretzeitciemeinschaft ist die Familie ein Kulturfaktor, der heute noch viel zuwenig gewürdigt wird. Schließlich ist in einer Massengesellschaft, die weithin zur Anonymität und Formlosigkeit neigt, es immer noch die Familie, in welcher ihre einzelnen Glieder, Vater, Mutter, Kinder, Brüder und Schwestern, sich gegenseitig als Einzelpersönlichkeit und als völlig unersetzbar erleben.

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